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Auslese: Science oder Fiction?
Wissenschafts-Thriller auf dem Prüfstand

Packende Sommerlektüre oder an den Haaren herbei gezogene Geschichten? Das Dlf-Sachbuchtrio rezensiert die Thriller "Der Klon" von Jens Lubbdeh und "Die Apollo-Morde" von Chris Hadfield und stellt deren wissenschaftliche Fakten auf den Prüfstand.

Ralf Krauter im Gespräch mit Dagmar Röhrlich und Michael Lange |
Die Bücher von Jens Lubbadeh "Der Klon" und von Chris Hadfield "Die Apollo-Morde"
Die Cover der neuen Bücher von Jens Lubbadeh und Chris Hadfield. (Ralf Krauter / Deutschlandfunk)
Was wäre, wenn Wissenschaftler auf die Idee kämen, Klone von Menschen zu erzeugen, die zu ihren Lebzeiten großes Leid verursacht haben? Menschen wie Adolf Hitler zum Beispiel. In seinem neuen Science-Thriller „Der Klon“ spielt der Wissenschaftsjournalist und Autor Jens Lubbadeh dieses Szenario in einer nicht allzu fernen Zukunft durch. Das Dlf-Sachbuchtrio verrät, was Bioforscherinnen heute wirklich draufhaben und wie realistisch der Plot ist.

Auch beim aktuellen Bestseller „Die Apollo-Morde“ des Astronauten Chris Hadfield schauen die Rezensenten genau hin, ob die wissenschaftlichen Fakten stimmen. Und verraten außerdem, welche Wissensbücher Sie selber mit in den Urlaub nehmen.

Jens Lubbadeh: Der Klon
Eine Rezension von Michael Lange

Als 1997 die Nachricht von Dolly, dem geklonten Schaf, um die Welt ging, regte das nicht nur die Fantasie der Wissenschaftler an, sondern auch die von Journalisten und Autoren. Der Spiegel ließ sogleich Dutzende Einsteins und Hitlers auf der Titelseite aufmarschieren. Und die gleiche Idee greift der Wissenschaftsjournalist Jens Lubbadeh auf und verarbeitet sie zu einem respektablen Thriller.

Der geklonte Führer  

Wie wäre es, wenn ein Klonspezialist aus Südkorea, der wegen Betruges verurteilt wurde und inzwischen eine neue Klonfirma betreibt, den Auftrag erhielte, aus einem alten Zahn einen Klon von Adolf Hitler zu erzeugen. Biologisch wäre das keinesfalls unmöglich. Die Expertise dazu ist vorhanden. Auch aus Proben eines Verstorbenen lässt sich unter günstigen Umständen klonfähiges Erbmaterial gewinnen. Diese Grundidee liefert jede Menge Stoff für einen spannenden Thriller mit allerlei Drehungen und Wendungen. Hinter dem Klonprojekt stecken natürlich ein paar rechtsnationale Dunkelmänner, die nur zu gerne die Auferstehung des ehemaligen Führers bejubeln würden.

Ein Klon ist keine Kopie

Berichte über das Klonen von Lebewesen stecken stets voller Klischees. Jens Lubbadeh lässt kaum eines davon aus und legt sie seinen Protagonisten genüsslich in den Mund. Das größte davon steht im Vordergrund. Demnach ist ein Klon die 1:1-Kopie seiner Vorlage. Und folglich hat ein Hitlerklon genau die Gene, die es braucht, um das „Dritte Reich“ im heutigen Deutschland wieder auferstehen zu lassen. Das klingt spannend, ist aber leider vielfach widerlegter Blödsinn. Denn ein Klon ist nur eine biologische Kopie. Seine Gene wurden kopiert, nicht seine Persönlichkeit. Die Umwelt prägt zu einem großen Teil das Wesen einer Person. Ein Hitlerklon muss also kein verrückter Diktator werden. Er könnte auch zu einem liebenswerten, schrulligen Künstler oder zu einem braven Bäckermeister heranreifen. Alles ist möglich, aber kein spannender Thriller. So basiert die Story des Thrillers letztlich auf einem großen Missverständnis, das die Geschichte am Laufen hält. 

Nationalsozialismus als Frage der Biologie

Nur ein paar Außenseiter widersprechen dem verbreiteten genetischen Determinismus. Nebenbei wird so der Massenmord an den Juden zu einer Frage der Biologie. Verantwortlich sind die Gene des Führers. Das verharmlost Nationalismus und Rassismus in der Bevölkerung, denn die wurde angeblich von einem genialen Agitator manipuliert und ist unschuldig. Jens Lubbadeh teilt diese Einschätzung übrigens nicht, aber sie zieht sich über viele Seiten seines Buches. Schließlich landet der Hitlerklon sogar vor einem israelischen Gericht und soll für die Untaten seines Zellspenders büßen. Solche und andere überraschende Wendungen sorgen immer wieder für ungläubiges Kopfschütteln. Auch die Erinnerung der geklonten Menschen an den Tod des Zellspenders ist reine Esoterik und wissenschaftlich nicht begründbar. Die Epigenetik hat, anders als im Buch dargestellt, genau wie die Genetik keinen Einfluss auf Erinnerungen.

Nicht realistisch, aber lesenswert

Trotz und vielleicht sogar wegen mancher Übertreibung und Fehlinterpretation gelingt es dem Autor, seine Leser:innen immer wieder zu überraschen. Er erzeugt Spannung und regt an zum Nachdenken, auch über das „wirkliche Klonen“. Wie sollen wir mit menschlichen Embryonen umgehen? Sind die Wünsche, die wir mit dem Klonen verbinden, realisierbar? Was darf die moderne genetische Medizin? Insofern ist das Buch trotz aller Missverständnisse eine Bereicherung.
Der Klon
Von Jens Lubbadeh
Heyne Taschenbuch, 480 Seiten, 15 Euro
Ein Astronaut auf dem Mond
Ein Astronaut neben einem Felsen auf dem Mond (NASA)

Chris Hadfield: Die Apollo-Morde
Eine Rezension von Dagmar Röhrlich

Man kann sich kaum mehr von einem Thriller wünschen: eine spannende Handlung, in der Fiktives mit Realem vermischt wird und ein Autor, der die Materie kennt. Chris Hadfield, ehemaliger kanadischer Astronaut, hat einen rasanten Roman geschrieben – über eine Apollo-Mission, die es nie gab.

Das Ziel der Mission ändert sich

Houston 1973. Eine letzte, geheime Mondmission, finanziert vom Verteidigungsministerium: Apollo 18. Die Astronauten sollen zum Mond fliegen um Bodenproben zu nehmen und herauszufinden, was dieser sowjetische Rover Lunochod eigentlich so treibt. Unterstützt werden sie dabei von Kaz Zemeckis, einem ehemaligen Testpilot, der bei einem Flugzeugunfall ein Auge verlor und seine Astronautenkarriere aufgeben musste: Er fungiert als Verbindungsmann zwischen dem Apollo-Programm und der National Security Agency und nimmt in dem Buch eine zentrale Rolle ein. In den Wochen vor dem Start erfahren die USA von einer Bedrohung: Die Sowjets haben eine geheime Spionagestation im Orbit. Ihr Name: Almas. Also ändert sich das Ziel der Mission: Es geht nicht mehr nur um den Mond, sondern auch darum, die Almas zu zerstören.

Astronauten gegen Kosmonauten

Was die Amerikaner nicht wissen: In ihrem Team ist ein sowjetischer Spion. Der sabotiert auf einem Übungsflug den Helikopter des Missions-Kommandanten und steigt dadurch selbst in diese Position auf. So weit, so gut. Der whodunnit-Krimi ist nicht weiter wichtig. Was den Reiz des Buches ausmacht ist der Technothriller. Denn im Orbit werden die Dinge kompliziert, weil die Amerikaner auch nicht wussten, dass Almas bemannt ist. Es kommt zu einem tödlichen Kampf zwischen Astronauten und Kosmonauten – und auch die Almas ist Geschichte, weil eine von den Sowjets gebaute Waffe nicht so funktioniert, wie gedacht. Unter Wasser und im Orbit ist es halt schwierig mit dem Schießen. Wie dem auch sei: Zu guter Letzt fliegen zwei Amerikaner und eine Russin zum Mond...

Technische Details für Weltraumfans

Zwar startet die Handlung der „Apollo-Morde“ etwas langsam und manche Personenbeschreibungen sind dem Autor einfach zu langatmig und platt geraten. Doch davon abgesehen schafft er es, mehrere Handlungsstränge zu einer mitreißenden Erzählung zu verbinden und all‘ die technischen Details einzuarbeiten, die Weltraumfans begeistern. Geschickt mischt er auch historische Figuren unter seine fiktiven Charaktere, Menschen wie Gene Kranz, Alan Shepard, Sam Phillips, Henry Kissinger oder Vladimir Tschelomei. Das verleiht der Erzählung besondere Authentizität. Man merkt, dass Chris Hadfield selbst Astronaut war – und dass er sowohl die amerikanische, wie auch die russische Seite gut kennt.

Klar, so ganz stimmig ist die Erzählung nicht. Wie konnten die Amerikaner glauben, den Sowjets würde nicht auffallen, dass die Apollo-18 mit einer orbitalen Ausrichtung startet, die sie zur Almas-Station bringen würde? Nun ja, irgendwie muss man die Geschichte ja in Gang bringen. Eine unterhaltsame Lektüre mit einem Showdown in einer gewasserten Apollokapsel. Ja, das waren noch Zeiten...
Die Apollo-Morde
Von Chris Hadfield
Aus dem Englischen übersetzt von Charlotte Lungstrass-Kapfer
Erschienen als Taschenbuch bei der dtv-Verlagsgesellschaft
640 Seiten, 12.95 Euro

Außerdem empfiehlt das Dlf-Sachbuchtrio

Life-Changer: Zukunft made in Germany
Wie moderner Erfindergeist unser Leben verändert und den Planeten rettet
Von Christoph Keese
Penguin-Verlag, 336 Seiten, 24 Euro

Eine Rezension von Ralf Krauter

Der Innovationsexperte Christoph Keese hat Start-Up-Firmen besucht, die an disruptiven Technologien tüfteln, die unseren Alltag nachhaltig verändern könnten. Zum Beispiel Flugtaxis, Kernfusionsreaktoren, Billigraketen und personalierte Krebsmedikamente. Der Autor ist überzeugt: Der technische Fortschritt wird uns helfen, viele drängende Probleme in den Griff zu bekommen - sei es bei Energieversorgung, Mobilität, Kommunikation oder Gesundheitsvorsorge. Christoph Keeses Tech-Optimismus erinnert stark an den Geist von Silicon-Valley-Vordenkern wie Elon Musk. Man kann das naiv finden, doch das Buch liefert hintergründige Gedanken zur Natur des Fortschritts und eröffnet interessante Perspektiven auf die Zukunft.
Der unbekannte Kontinent
Mein Leben und Forschen in der Welt der Baumkronen
Von Meg Lowman
Aus dem Englischen übersetzt von Elsbeth Ranke
Blessing, 446 Seiten, 25 Euro


Eine Rezension von Michael Lange

Einen erheblichen Teil ihres Lebens hat die Biologin Meg Lowman in den Kronen der Bäume verbracht. Ausgerüstet mit Seilen und Klettergurten hat sie dort oben einen Kontinent entdeckt, der der Wissenschaft lange verborgen geblieben war. Ausführlich, lebendig, einfühlsam und manchmal mit einem Augenzwinkern beschreibt sie ihren weiten Weg aus einer US-amerikanischen Kleinstadt in die Baumkronen der Welt. Sie erforscht nicht nur die riesige Artenvielfalt, sie kann und will dem Verschwinden der Wälder nicht länger tatenlos zuschauen. Aus der Baumforscherin wird eine Baumschützerin. Sie verbündet sich mit afrikanischen Priestern, um die Kirchenwälder Äthiopiens zu retten, und sie entwickelt Konzepte für schonenden Waldtourismus. Das alles in dem Wissen: Ein Leben ohne Wälder ist nicht nur sinnlos, sondern unmöglich.
Atomare Demokratie
Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland

Von Frank Uekötter
Franz Steiner Verlag, 380 Seiten, 29 Euro

Eine Rezension von Dagmar Röhrlich


Über Jahrzehnte zog sich in Deutschland der Streit um die Atomkraft hin. Die Debatte war oft hitzig und vor allem mühsam, doch am Ende stand ein Kompromiss, der von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurde. Der Historiker Frank Uekötter erzählt in seinem Buch „Atomare Demokratie“ nun die Geschichte der Atomenergie in Deutschland, wobei er dem Leser zeigt, dass diese mühsamen Jahre eine Erfolgsgeschichte der Demokratie waren. In der nukleare Kontroverse, schreibt er, wurden die großen Themen verhandelt: demokratische Teilhabe, Widerstandsrecht, Rechtsstaatlichkeit und Entscheidungsbefugnisse, Energie, Risiken für Mensch und Umwelt und die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Es war ein Diskursprojekt, das großen Fragen auf handhabbare Größe herunterbrach – und nur so konnte die bundesdeutsche Demokratie sie entscheiden: im gesellschaftlichen Diskurs, nicht in einem einzigen großen Kampf. Ein lesenswertes Buch – vor allem angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die vor uns liegen, beispielsweise durch den Klimawandel.