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Auslöser für eine musikpolitische Krise

Paul Hindemith gilt als einer der produktivsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Oper "Mathis der Maler" setzte sich nicht nur mit den Konflikten in Zeiten der Revolution auseinander, sondern wurde selbst zum Stein des Anstoßes. Am 28. Mai 1938 wurde die Oper in Zürich uraufgeführt.

Von Stefan Zednik | 28.05.2013
    Es ist die Geschichte von Matthias Grünewald, die Paul Hindemith in seiner Oper "Mathis der Maler" erzählt. Zur Zeit der Bauernkriege, im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, gerät ein Künstler in die Wirren der Revolution. Er wird zwischen den katholischen Führern einer korrupten Kirche und den reformierten, aber gewalttätigen Bauern beinahe zerrieben. Mathis kann sich keiner Seite anschließen, verzweifelt flüchtet er in die Arbeit und schafft mit letzter Kraft den "Isenheimer Altar".

    In den beginnenden dreißiger Jahren konzipiert, hätte die von Hindemith selbst verfasste Geschichte als moderne Provokation verstanden werden können. Wie kann sich ein Künstler in Zeiten des Umbruchs verhalten? Muss er Position beziehen oder bleibt ihm nur der Rückzug in seine Kunst? Dabei war die musikalische Sprache der Oper eher konservativ, weit von der Eislers, Schönbergs oder Weberns entfernt.

    In den zwanziger Jahren hatte Hindemith zur Avantgarde gezählt. Er galt als musikalischer Bilderstürmer, der expressionistisch-symbolistische Dramatik ebenso wenig scheute wie die Vertonung von Zeitungsannoncen, etwa in dem Musiktheaterstück "Neues vom Tage" aus dem Jahr 1929.

    Eine Frau sitzt in der Badewanne und preist die Vorzüge der Warmwasserversorgung – das konnte von Opernenthusiasten nur als Blasphemie verstanden werden. Doch obwohl von der rechtskonservativen Presse heftig attackiert, wurde Hindemith auch nach 1933 zunächst weiter aufgeführt. Und arbeitete mit "Mathis" an einer Oper, deren musikalisches Material er 1934 zunächst als Symphonie der Öffentlichkeit bekannt machte.

    "Und zwar war das damals für ein Konzert unter Wilhelm Furtwängler, das in der Berliner Philharmonie stattfand. Das war schon die gefährliche Zeit, wo die ganze Hitlerei anfing, also es war schon etwas nicht ganz geheuer die Sache, dies Konzert kam also gerade in diese gefährliche Zeit hinein, und schließlich wurden diese Stücke denn auch verboten, wie man heute sieht nicht ganz zurecht, denn sie haben ja keinem wehgetan."

    So erinnerte sich, mit offensichtlichem Unverständnis, Paul Hindemith später. Tatsächlich hatte er in nationalsozialistischen Kreisen Fürsprecher, und doch gewannen die Gegner zunehmend die Oberhand. Man warf dem Komponisten seine frühere "Neutönerei" und Kontakte zu jüdischen Kollegen vor. Es drohte ein Verbot der geplanten Uraufführung des "Mathis". Furtwängler, zeitweilig Vizepräsident der Reichsmusikkammer, wand sich 1934 in einem Zeitungsartikel an die Öffentlichkeit – und löste damit eine heftige musikpolitische Krise aus.

    "Wir können es uns nicht leisten, angesichts der auf der ganzen Welt herrschenden unsäglichen Armut an wahrhaft produktiven Musikern, auf einen Mann wie Hindemith so ohne weiteres zu verzichten."

    Doch Hitler kannte die Szene mit der Sopranistin in der Badewanne, "obszön" und "kitschig-gemein" soll er sie genannt haben. Und ließ wenige Tage später seinen getreuesten Mann Stellung beziehen. Joseph Goebbels am 6. Dezember 1934 im Berliner Sportpalast:

    "Gewiss können wir es uns nicht leisten, angesichts der auf der ganzen Welt herrschenden unsäglichen Armut an wahrhaft produktiven Künstlern auf einen echten deutschen Künstler zu verzichten. Aber es soll dann eben ein wirklicher Künstler sein, kein atonaler Geräuschemacher."

    Damit waren die Fronten geklärt. Furtwängler trat von allen öffentlichen Ämtern zurück, dirigierte nur gastweise, blieb aber in Deutschland. Die Musik Hindemiths galt bald als "entartet", und 1937 gab er die fertiggestellte Oper an das Stadttheater in Zürich. Dort erlebte sie am 28. Mai 1938 ihre Uraufführung – drei Monate danach verließ Paul Hindemith Deutschland endgültig.