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Ausmaß der Pandemie
Populationsstudien sollen Licht ins Dunkel bringen

Die Studienergebnisse zu Heinsberg wurden veröffentlicht und ergaben dort eine Positivrate von 15,2 Prozent. Solche Populationsstudien sind im unterschiedlichen Maßstab üblich – und ermöglichen eine bessere Einschätzung des Coronaverlaufes.

Von Christine Westerhaus |
Mit einem Abstrichstäbchen nimmt eine Ärztin von einem Patienten in einem Auto eine Probe im Testzentrum für Corona-Verdachtsfälle.
Unterschiedliche Populationsstudien versuchen herauszufinden, wie sich Corona entwickelt - und in einen Kontext einordnen lässt (picture-alliance/ZB/Jens Büttner)

Welche Ergebnisse liefern weltweit durchgeführte Populationsstudien zu den Auswirkungen des Coronavirus?
Momentan gibt es solche Immunitätsstudien in sehr vielen Ländern. Sie liefern sehr unterschiedliche Ergebnisse.
Bei einigen ist das Ergebnis, dass regional bis zu 30 Prozent der Bevölkerung bereits immun sind, zum Beispiel bei Studien aus Stockholm und aus New York. So wurden in New York - zumindest im ärmeren Stadtteil Brooklyn - bei fast 30 Prozent der zufällig getesteten Personen Antikörper gefunden. Im reicheren Manhattan waren es immerhin bei fast 20 Prozent.
Andere Untersuchungen haben ergeben, zum Beispiel in Genf, dass dort 5,5 Prozent der Bevölkerung bereits mit SARS-CoV-2 infiziert waren.
Wo werden Populationsstudien in Deutschland durchgeführt und geplant?
In Deutschland gibt es kleinere, vereinzelte Studien, die in Hamburg, in Fulda und auch in anderen Teilen Deutschlands laufen oder schon gelaufen sind. Und es gibt drei größere Studien, die das Robert-Koch-Institut gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung durchführen will.
In einer dieser drei Studien untersuchen Forscher das Blut von Blutspendern in ganz Deutschland. Diese soll in den kommenden Tagen starten. Dabei soll herausgefunden werden, wie viel Prozent dieser Menschen schon immun sind.
Bei den Studien werden Blutproben der Teilnehmer angeschaut und bestimmt, ob diese Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus gebildet haben.
Was ist die Aussagekraft von Hotspot-Studien, wie zum Beispiel der in Heinsberg?
In den Hotspot-Studien geht es darum, dass man wissen will, wie viele Menschen in besonders betroffenen Regionen immun sind, also die Krankheit schon durchgemacht haben. Sie sollen einen detaillierten Blick auf die Entwicklung ermöglichen.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
Aktuelle Zahlen und Entwicklungen
Im Coronavirus-Zeitalter sind wir alle zahlensüchtig: Wie viele gemeldete Fälle gibt es in Deutschland? Verlangsamt sich die Ausbreitung des Virus, wie entwickeln sich die Fallzahlen international? Wie die Zahlen zu bewerten sind – ein Überblick.
In Heinsberg wurden im kleinen Ort Gangelt über das Einwohnermeldeamt mehrere Hundert Familien ausgewählt, die repräsentativ für die dortige Bevölkerung der 12.000-Einwohnerstadt sind. Bei 987 Personen wurde in der ersten Aprilwoche ein Rachenabstrich und eine Blutabnahme durchgeführt.
Wie sind die Ergebnisse der Heinsberg-Studie zu bewerten?
Es wurde in Heinsberg ( Dunkelziffer im Blick: Erkenntnisse aus der Heinsberg-Studie (05:07) ) eine Positivrate von 15,2 Prozent ermittelt. Für Gangelt wurde zudem festgestellt, wie hoch die Dunkelziffer bei den tatsächlich Infizierten ist. Denn mindestens 80 Prozent der Erkrankten zeigten keine oder nur leichte Symptome, wurden also zuvor nicht getestet und waren deshalb auch nicht Bestandteil der Statistik.
Auch erhoffen sich Forscher Rückschlüsse auf die Sterblichkeitsrate. Zum Studienabschluss gab es in Gangelt sieben Todesfälle, so dass diese dort bei 0,37 Prozent lag. Deutschlandweit wird diese derzeit vom Robert-Koch-Institut mit 0,41 Prozent angegeben.
Zwar gibt es Vorbehalte, ob sich die Ergebnisse einfach übertragen lassen, aber Forscher erhoffen sich dadurch eine bessere Modellierung von Berechnungen, die dann mit weiteren Studien immer mehr verfeinert werden können.
Welche Aussagen lassen sich auf Grundlage der verschiedenen Populationsstudien treffen?
Wenn 15 Prozent der Bevölkerung gegen das Coronavirus immun sind, dann wäre Deutschland auf einem guten Weg zur Herdenimmunität.
Momentan werden mit den Tests, die das SARS-CoV-2 Virus nachweisen, nur diejenigen erfasst, die krank geworden sind und deshalb getestet werden. Mit den Studien könnte man aber die Dunkelziffer der Infektionen besser abschätzen. Damit ließen sich dann auch andere Zahlen sicherer bestimmen, wie etwa die Frage, wie häufig ein schwerer Verlauf der Infektion ist oder wie hoch die Sterblichkeitsrate ist.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Zu wissen, wie viele Menschen in der Bevölkerung schon immun sind, ist beispielsweise wichtig, wenn es darum geht, ob man Schulen wieder öffnet oder andere Lockerungen beschließt.
Wenn bei solchen Studien herauskommt, dass erst wenige Prozent der Bevölkerung immun gegen SARS-CoV-2 sind, dann wären Lockerungen noch nicht ratsam.
Sind die Antikörpertests mittlerweile zuverlässig?
Es gibt sehr viele Antikörpertest auf dem Markt. Forscher haben deshalb zunächst untersucht, welche davon die richtigen Ergebnisse liefern. In einigen Fällen wirken die Tests nämlich auch gegen harmlose Erkältungsviren, die zu Corona gehören, so dass hier falsche Ergebnisse ermittelt wurden. Das Ergebnis: Die sogenannten ELISA-Tests, die im Labor durchgeführt werden, gelten als verlässlich.
Wann liefern die unterschiedlichen Populationsstudien Ergebnisse?
In einer nicht-repräsentativen Studie an den Kliniken in Fulda, bei der 1.000 freiwillige Mitarbeiter getestet wurden, kam heraus, dass nur ein Prozent des Personals immun gegen das Virus ist.
Die meisten Studien laufen aber noch oder sind gerade erst gestartet. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie werden frühestens im Juni erwartet.