Montag, 29. April 2024

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'Ausschluss von Haider hat nur seiner Popularität gedient'

Remme: Beobachter der gestrigen EU-Außenministerkonferenz in Brüssel erlebten eine interessante Gradwanderung, denn im Umgang mit ihrer neuen österreichischen Amtskollegin Benita Ferrero-Waldner wollten die anderen Außenminister einerseits ihren Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ verdeutlichen, andererseits aber den Arbeitsalltag auf europäischer Ebene nicht blockieren. Arbeit gibt es nämlich genug. Gestern wurde die Regierungskonferenz ins Leben gerufen, die die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Erweiterung der Union schaffen will; heute beginnen die Aufnahmegespräche mit sechs weiteren Beitrittskandidaten. Frau Ferrero-Waldner gab gestern eine Grundsatzerklärung ab. Immerhin verließ keiner ihrer Amtskollegen den Saal, wie das noch vor einer Woche bei ihrem Auftritt vor der OSZE in Wien der Fall gewesen war. Vor wenigen Minuten habe ich mit Benita Ferrero-Waldner gesprochen und sie zunächst gefragt, ob sie im Voraus wusste, dass man ihr zuhören würde, oder ob sie auf alles gefasst war.

15.02.2000
    Ferrero-Waldner: Ich muss Ihnen sagen, ich bin natürlich davon ausgegangen, dass man mir zuhört, denn ich glaube, das mindeste sozusagen als Rechtsgrundsatz ist ja wohl, dass man dem anderen auch eine Gelegenheit verschafft, zuzuhören. Ich hätte mir ja auch gewünscht, dass das natürlich geschieht, bevor überhaupt diese Maßnahmen getroffen worden wären. Das ist ja leider nicht so gewesen. Das wird ja auch dem Geist der Solidarität und Zusammenarbeit, der in der EU, in dieser Familie herrschen soll, widersprochen.

    Remme: In Ihrer Zeit als Staatssekretärin haben Sie ja mit vielen Ihrer jetzigen Amtskollegen gut und eng zusammengearbeitet. Jetzt kommen eben diese Minister symbolisch zu spät, nur um nicht mit Ihnen vor die Kameras zu treten. Wie erleben Sie diesen Protest?

    Ferrero-Waldner: Schauen Sie, ich bin genug Euro-Profi aufgrund meiner früheren Tätigkeit, dass ich weiß, wenn man sich politisch etwas vornimmt, dass man das natürlich dann auch in Gesten umsetzen muss. Ich habe eine gewisse Distanz erwartet. Die ist dann auch in der Früh bei der offiziellen Sitzung zuerst da gewesen, hat sich aber im Laufe des Tages deutlich gemildert.

    Remme: Das heißt, der Umgangston jenseits der Mikrofone und Kameras ist business as usual?

    Ferrero-Waldner: Ist business as usual und zum Teil durchaus auch persönlich herzlich, weil man natürlich Freundschaften nicht von heute auf morgen ändern kann.

    Remme: Nun haben Sie gestern mit Kritik nicht gespart. Sollten Österreichs EU-Partner Ihrer Meinung nach jetzt zur Tagesordnung übergehen, so als sei nichts geschehen?

    Ferrero-Waldner: Ich verstehe, dass man politisch natürlich hier nicht von heute auf morgen Dinge wieder ändern kann, weil Politik sich ja immer den Gegebenheiten anpassen muss. Andererseits glaube ich, es hat sich an der österreichischen Position nichts geändert. Man hat sie nur von Anfang an zu wenig verstanden. Man hat zum Teil das Regierungsprogramm nicht gelesen, in dem sehr klar und deutlich auch eine proeuropäische Ausrichtung da ist, in der alle die Werte klar vertreten werden, für die die Union steht und die uns von manchen der Kollegen vorgehalten werden. Es hat sich ja nichts geändert. Sind wir doch realistisch!

    Remme: Lassen sie Jörg Haider dort wo er ist, haben Sie gestern gesagt, und Sie haben im Zusammenhang mit dem Aufstieg von Herrn Haider gestern auch die Rolle der Medien beklagt, ja ihnen eine gewisse Verantwortung zugewiesen. Da spricht aber doch immerhin der Parteichef der zweitstärksten politischen Kraft Österreichs. Sollen die Medien ihn ignorieren?

    Ferrero-Waldner: Zum einen möchte ich sagen, dass Herr Haider auch nur formell Parteivorsitzender ist. Die geschäftsführende Parteivorsitzende ist in Wirklichkeit die Vizekanzlerin Riess-Passer. Die Medien sollen ihn nicht ignorieren, aber wie ich schon sagte, sollen sie sehen, dass Herr Dr. Haider Landeshauptmann von Kärnten ist und dass in der Bundesregierung eben Personen sprechen, die bekannt sind und die auch Vertrauen schaffen in Europa.

    Remme: Aber ist es nicht zu spät für Protest, wenn man so lange wartet, bis Haider Kanzler ist?

    Ferrero-Waldner: Schauen Sie, wir haben ihn 14 Jahre lang ausgeschlossen, obwohl natürlich diese Partei seit 50 Jahren im Parlament ist. Und was hat der Ausschluss bewirkt? - Nur ein Ansteigen dieser Partei. Ich glaube, in diesem Moment gibt es nur die zweite Variante: Man versucht, diese Partei einzubinden, und diese Partei muss nun Verantwortung für das Land übernehmen und zeigen, dass sie auch fähig ist, die Kritik, die sie immer als Oppositionspartei geäußert hat, nun in positive konstruktive Politik umzusetzen. Das ist der zeit anstehend!

    Remme: Man könnte aber auch genau andersherum argumentieren: Wenn es 14 Jahre lang in Österreich nicht geklappt hat, diese Partei zu isolieren, dann müsste es vielleicht das Ausland versuchen, seinen Aufstieg zu verhindern?

    Ferrero-Waldner: Keineswegs, denn das Ausland macht genau denselben Fehler, den wir gemacht haben. Ich glaube, man hätte Herrn Haider längst einbinden sollen. Dann wäre es gar nicht dazu gekommen. Ich glaube, das Ausland macht hier den Fehler, uns zu wenig genau zu kennen.

    Remme: Um das noch einmal klarzustellen, Frau

    Ferrero-Waldner: Halten Sie die Aussagen Haiders inhaltlich für falsch bewertet oder die politische Bedeutung seiner Person?

    Ferrero-Waldner: Ich halte die Aussagen zum Teil für inakzeptabel. Das ist ganz klar. Ich glaube aber, man muss eben Herrn Haider dort lassen wo er ist. Das habe ich schon gesagt. Das ist derzeit eben als Landeshauptmann in Kärnten.

    Remme: Diese verbalen Ausfälle des Hauptmanns in Kärnten, sie zielen ja auch über die Grenzen Österreichs, vermutlich ganz bewusst. Werden Sie als Außenministerin das auf Dauer tolerieren?

    Ferrero-Waldner: Schauen Sie, ich kann nicht mehr tun. Wir sind eine Demokratie. Es hat also jeder das Recht, natürlich auch zu sprechen. Ich sage aber auch ganz klar, wo diese Aussagen hingehören.

    Remme: Ja nun, aber Sie sind in einer Koalition und eine Bedingung könnte sein, dass Ihnen der Herr Haider nicht länger ins Handwerk pfuscht?

    Ferrero-Waldner: Ich muss derzeit sagen, das kann ich sicher nicht bestimmen. Ich glaube, es ist wesentlich, dass hier Österreich an seinen Taten gemessen wird und selbstverständlich man auch mir zuhört.

    Remme: Jörg Haider hat gestern seine Teilnahme an der Brüsseler Vollversammlung des Ausschusses der Regionen abgesagt, für viele überraschend, auch für Sie?

    Ferrero-Waldner: Absolut, aber ich muss Ihnen sagen, seit Frühjahr vorigen Jahres hat der Rat der Außenminister beschlossen, dass Herr Haider eben der Chef im Rat der Regionen sein wird. Niemand hat daran etwas gefunden. Ich glaube, er hat inzwischen an zwei Räten teilgenommen. Jetzt nur plötzlich die Aufregung, weil man hier Österreich eben an den Pranger stellen will.

    Remme: Welche Befürchtungen haben Sie für den Fall, dass die Sanktionen, diese Haltung der anderen EU-Partner für längere Zeit in Kraft bleiben?

    Ferrero-Waldner: Ich muss Ihnen sagen, das wäre für die österreichische Bevölkerung sehr schlimm, denn Sie wissen, dass über zwei Drittel in Österreich sehr pro-europäisch sind und sehr positiv der EU gegenüber eingestellt waren. Ich fürchte, dass hier dann eine negativere Stimmung Platz greifen würde, weil man kein Verständnis dafür hat, wie das Ausland einen beurteilt, vor allem mit Vorverurteilungen. Was wir brauchen ist eine realistische Politik, die auch darauf Rücksicht nimmt, was die Regierung tatsächlich macht.

    Remme: Ist dort durch den Protest der letzten Wochen bereits Schaden entstanden?

    Ferrero-Waldner: Ich glaube, es ist Schaden entstanden!

    Remme: Können Sie den beschreiben?

    Ferrero-Waldner: Ja eben dadurch, dass eine Verbitterung in der Bevölkerung eingetreten ist, weil man glaubt, dass hier einem kleinen Land Unrecht getan wird, anstatt es - da sind wir absolut bereit - zu beobachten.

    Remme: Und wenn Sie jetzt für eine Rückkehr zur Normalität plädieren, kann Deutschland da eine besondere Rolle spielen?

    Ferrero-Waldner: Ich glaube, Deutschland kann eine ganz besondere Rolle spielen, weil Deutschland, nachdem es Österreich besser kennt, hier mit mehr Realismus und mehr Augenmaß vorgehen kann.

    Remme: Was wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang konkret?

    Ferrero-Waldner: Ich würde mir wünschen, dass eine Strategie von Deutschland ausgeht, wie man aus dieser schwierigen Situation, die ja für beide Teile schwierig ist, wieder herauskommt.

    Remme: Können Sie die erkennen?

    Ferrero-Waldner: Schauen Sie, ich könnte mir vorstellen, gestern hat der EU-Kommissar Michel Barnier, der zuständig ist für die Regierungskonferenz, von einem "Monitoring-System" gesprochen. So etwas begleitend zu sehen, wie Österreich reagiert, könnten wir uns durchaus vorstellen, denn das haben wir ja fast selber angeboten.

    Remme: Wie soll das konkret aussehen?

    Ferrero-Waldner: Nun einfach, dass man begleitet, wie die Maßnahmen Österreichs derzeit, wie die Umsetzung des Regierungsprogramms ist.

    Remme: Soll das institutionalisiert werden?

    Ferrero-Waldner: Ich könnte mir vorstellen, dass die Kommission hier eine wichtige Rolle spielt.

    Remme: Das heißt, die schauen sich an wie das in Österreich geht und kommentieren das regelmäßig?

    Ferrero-Waldner: Natürlich! Und dann nach einer bestimmten Phase, die nicht zu lange dauern sollte, denn sonst gibt es hier wirklich Schaden, und zwar nicht nur Schaden für Österreich, sondern auch Schaden für die Bevölkerung in der Union. Sie werden sehen, hier werden sich die Meinungen doch sehr auseinanderentwickeln.

    Remme: In den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk die österreichische Außenministerin Benita Ferrero-Waldner.

    Link: (Interview mit Alois Glück (CSU)==>/cgi-bin/es/neu-interview/552.html)

    /cgi-bin/es/neu-interview/544.html