Samstag, 20. April 2024

Archiv

Außen- und Sicherheitspolitik der USA
"Amerika muss gewinnen, auf Kosten aller anderen"

Der zurückgetreten US-Verteidigungsminister James Mattis sei der letzte in der Regierung Trump gewesen, der noch an Allianzen geglaubt habe, sagte der Politikwissenschaftler Josef Braml im Dlf. Donald Trump dagegen sehe in anderen Staaten nur Rivalen, warnte der USA-Experte.

Josef Braml im Gespräch mit Christine Heuer | 21.12.2018
    US-Präsident Donald Trump vor einer US-amerikanischen Flagge
    Trump "zerstört im Inneren die Strukturen, alles was mit Staat zu tun hat", warnt der Politologe Josef Braml (dpa / abacapress / Olivier Douliery)
    Christine Heuer: Die USA ziehen sich aus Syrien zurück. Diese Entscheidung Donald Trumps war offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte bei James Mattis. Der amerikanische Verteidigungsminister tritt zurück und der Präsident fasst schon den nächsten US-Rückzug ins Auge: den aus Afghanistan. Wie gefährlich ist Donald Trumps Außenpolitik? – Fragen jetzt an Josef Braml, USA-Experte bei der DGAP, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Tag, Herr Braml.
    Josef Braml: Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: James Mattis geht. War er denn wirklich der letzte Erwachsene in Donald Trumps Regierung?
    Braml: Na ja, gut. Wir haben jetzt mehrere gehen sehen, im Handelsbereich und jetzt dann auch im Wirtschaftsbereich. Es gibt sicher Erwachsene. John Bolton würde ich dazuzählen, aber nicht solche, an denen wir uns halten konnten, an denen wir unsere Tagträume von der liberalen Weltordnung weiterhin aufrecht erhalten konnten. Jetzt ist dreckiger Realismus angesagt. Mit Jim Mattis geht der letzte im Sicherheitsbereich, der noch an Allianzen glaubte.
    "Man bereitet einen Militärschlag gegen den Iran vor"
    Heuer: Wenn das stimmt und Donald Trump gefährlich ist, hätte Mattis dann nicht um jeden Preis bleiben müssen?
    Braml: Er ist schon länger geblieben, als ihm zumutbar war. Er wurde ja von Trump schon angezählt. Im Oktober vergangenen Jahres hatte Trump ihn öffentlich als Demokraten verunglimpft. Das war eigentlich ein politisches Todesurteil. Es ist Mattis gutzuschreiben, dass er so lange sich dieses böse Spiel noch mit angeschaut hat. Jetzt müssen wir uns an anderen Strohhalmen klammern.
    US-Präsident Trump spricht beim NATO-Gipfel in Brüssel.
    Nur noch Hardliner um Donald Trump: Außenminister Mike Pompeo (l.) und Sicherheitsberater John Bolton (r.) (Brendan Smialkowski / AFP)
    Heuer: Was ändert sich denn konkret, wenn ein neuer Verteidigungsminister kommt, einer der Trump mehr liegt?
    Braml: Entscheidend ist, dass John Bolton der neue nationale Sicherheitsberater ist, und der ist sehr mächtig und der ist auch kein Teamspieler. Er weiß mit Mike Pompeo einen Außenminister um sich, der ebenso ein Hardliner ist. Beide sind in der Iran-Frage schon hart aufgetreten und ich glaube, die Rückzugsankündigung aus Syrien hängt auch mit dem Iran zusammen. Man bereitet einen Militärschlag gegen den Iran vor. Da wäre es schlecht, wenn amerikanische Soldaten in der Region blieben.
    Für Trump haben Staaten keine Freunde
    Heuer: Das halten Sie für den wahren Grund?
    Braml: Nein, das ist nicht der wahre Grund. Der wahre Grund ist der weltanschauliche Dissens zwischen dem Präsidenten, seinen jetzt engsten Beratern und einem Jim Mattis, der noch näher an unserem Weltbild war. Wir denken nach wie vor in Allianzen, in internationalen regelbasierten Strukturen. Trump denkt wie ein Unternehmer, der gegen andere Unternehmer kämpft. Er ist Realist. Er sieht Staaten, die keine Freunde haben, sondern nur Interessen. Und was hinzukommt: Es gibt keine gemeinsamen Interessen mehr. Amerika muss gewinnen, auf Kosten aller anderen, auch auf Kosten der Europäer.
    Heuer: Aber wenn wir, Herr Braml, das aus Sicht des US-Präsidenten ansehen, hat er nicht recht, dass er sich dann einen Verteidigungsminister sucht, der besser zu seiner Politik passt? Es hat ja auch keinen Sinn, wenn da in der Regierung gegeneinander gearbeitet wird.
    Braml: Ja, damit hat er recht, und auch der scheidende Verteidigungsminister hat genau mit diesem Spruch seinen Rückzug begründet. Nur ob das dem Weltfrieden dient, sei dahingestellt.
    Heuer: Wie gefährlich finden Sie denn die Entwicklung?
    Braml: Ich finde die Entwicklung sehr gefährlich, weil Amerika das Weltbild, die Haltung preisgibt, die es 40 Jahre auch uns Europäern, vor allem uns Deutschen beigebogen hat, diese regelbasierte Ordnung. Wir leben jetzt in einer unübersichtlicheren Welt, und das ist umso bedrohlicher, zumal Russland und China jetzt auch nicht an regelbasierte Ordnungen glauben. Wir müssen uns in Europa jetzt aufraffen und den Zusammenhalt hinbiegen. Alleine wären wir in dieser neuen realistischen Welt, in der jeder gegen jeden kämpft, heillos überfordert.
    Werte der NATO sind erledigt
    Heuer: Die EU alleine auf weiter Flur, das ist irgendwie nicht eine gemütliche Aussicht, oder? Sind wir mächtig genug, um da ein wichtiger Player zu sein?
    Braml: Ich sehe die Aussichten noch trüber, weil nicht mal die EU als Ganzes zusammenhalten muss. Wir haben da auch aktive Nachhilfe nicht zuletzt von der ehemaligen Schutzmacht, die Europa teilen will, um es besser beherrschen zu können. Das ist Trumps Idee. Er sieht Europa als Rivalen, nicht mehr als Verbündeten. Mit Jim Mattis ist einer der wenigen noch gegangen, die die NATO aufrecht erhalten wollen. Das zu begreifen, das fällt uns schwer. Wir haben auch aktive Nachhilfe jetzt bei den Wahlen, wo ein Stephen Bannon die Nationalisten auf unserem Kontinent unterstützen will, damit wir wieder in diese nationalistischen Abgründe schauen müssen, die uns nicht wieder hoffentlich in dieses Debakel führen wie schon zweimal vorher in unserer Geschichte.
    Heuer: Was ist die NATO noch wert, wenn die USA sich immer weiter zurückziehen?
    Braml: Die NATO war ohnehin nicht mehr viel wert, wenn man das als Werte- und Vertrauensgemeinschaft sieht. Die Werte sind mit Trumps Wahl mehr oder weniger schon erledigt worden und auch das Vertrauen ist massiv gestört. Wenn eine deutsche Kanzlerin im Bierzelt mutmaßt, dass wir uns auf andere, sprich die Amerikaner nicht mehr völlig verlassen können und unser Schicksal selber in die Hand nehmen sollten, dann stimme ich dieser scharfen Analyse völlig zu. Nur es ist seitdem wenig, bis überhaupt nichts passiert. Wir müssen endlich unseren Analysen Taten folgen lassen.
    Europa sollte sich ein eigenes Militär leisten
    Heuer: Welche denn?
    Braml: Ein vereintes Europa, das wirtschaftlich sich auf die Beine stellt, eine europäische Leitwährung etabliert. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder der Euro fällt auseinander, oder wir bauen auch die politischen Strukturen darum herum, damit aus der Wirtschaftsunion dann auch eine politische Union wird. In dieser Welt, denke ich, sollten wir uns auch ein eigenes Militär leisten. Wir haben bis dato unsere Währungsüberschüsse, unser Erspartes, das wir durch unsere Exportweltmeisterschaften erwirtschaftet haben, immer dem Land der Freien gegeben, es in die tiefen, abgrundtiefen Märkte gesteckt. Wir könnten das Geld ja viel sinnvoller in Europa anlegen, auch in militärische Infrastruktur.
    Heuer: Herr Braml, Sie haben gerade gesagt, die Bundeskanzlerin hat schon vor einiger Zeit analysiert, dass Europa stärker sich selbst verteidigen und positionieren muss in der Welt. Was Sie gerade geschildert haben, mehr Integration in verschiedenen Politikbereichen Europas, auch das hören wir nicht zum ersten Mal. Aber es passiert ja eher das Gegenteil.
    Braml: Na ja, vielleicht ist Trump jetzt der Geburtshelfer. Die Europäische Union ist ja auch immer eine Geschichte von Krisen gewesen.
    Heuer: Aber das hoffen wir auch schon lange. Entschuldigung, dass ich Ihnen ins Wort falle. Das hören wir in jedem Interview zu diesem Thema von verschiedensten Seiten immer wieder, auch schon lange.
    Braml: Na ja, gut! Ich bin jetzt kein Europa-Experte, aber wenn die Gefahren, die Mehrfach-Gefahr, jetzt durch China, die auch raumgreifen durch Russland und durch die ehemalige Schutzmacht, die Europäer nicht zwingen können, ihre nationalen Egoismen zu überwinden, dann sehe ich für das neue Jahr nicht ganz so rosig. Mehr bessere Aussichten kann ich Ihnen auch nicht machen.
    Trump wird maßlos unterschätzt
    Heuer: Sie sind pessimistisch, was die Zukunft ohne die USA angeht?
    Braml: Ich bin realistisch. Meine schlimmsten Befürchtungen, die ich auch in Büchern da niedergeschrieben habe, unter anderem mit dem Titel "Trumps Amerika auf Kosten der Freiheit", werden bei Weitem übertroffen.
    Heuer: Man kann auch sagen, wenn wir das jetzt mal innenpolitisch betrachten: Dieser US-Präsident hält seine Wahlversprechen. Er tut ja nichts anderes als das, was er angekündigt hatte.
    Braml: Er hält seine Wahlversprechen und er setzt das auch um und er wird auch hierzulande maßlos unterschätzt. In Deutschland haben wir schon einmal einen Führer unterschätzt, das sollten wir nicht ein zweites Mal machen. Er geht sehr strategisch vor. Er zerstört im Inneren die Strukturen, alles was mit Staat zu tun hat, das nichts mit Militär zu tun hat, ein Staat, der regulieren, der besteuern kann, und er weiß dabei auch Milliarden hinter sich, mächtige Interessengruppen, die seine Wiederwahl befördern könnten. Und er nutzt dann dieses Militär im internationalen Bereich, wo es künftig dann auch keine Regeln mehr geben wird, wo sich das Recht des militärisch Stärkeren durchsetzen wird. Wie wir uns da behaupten wollen als Deutschland, das sich kein eigenes Militär leistet, das weiß ich nicht.
    Heuer: Stichwort Führer, Herr Braml. Haben Sie Donald Trump gerade mit Adolf Hitler verglichen?
    Braml: Oh nein! Das überlasse ich den Edelfedern in Hamburg. Aber wir sollten aus der Geschichte lernen. Wir sollten wirklich alles für möglich halten. Wir sollten zusehen, dass das Glück, das wir hatten seit den beiden Weltkriegen, nicht immer weiter bestehen muss. Das war eher eine Ausnahme in der Geschichte, diese liberale Weltordnung. Der dreckige Realismus ist der Großteil der Geschichte, und da gibt es viel mehr Führer, die uns nichts Gutes wollen.
    Trumps Politik tut auch den USA nicht gut
    Heuer: Werden die jüngsten außenpolitischen Entscheidungen, Syrien, Afghanistan und der Rückzug von James Mattis, wird das alles Donald Trump in den USA eher schaden oder nutzen?
    Braml: Es wird ihm nutzen! Er hat es ja versprochen im Wahlkampf. Er wollte ja Amerika rausholen aus diesen internationalen Verpflichtungen. Das hat übrigens auch sein Vorgänger, Friedensnobelpreisträger Barack Obama schon gemacht und damit auch gepunktet. Auch Obama sagte schon, wir müssen zuhause die Nation auf Vordermann bringen, Nation Building at Home. Er hat ja auch Amerika aus dem Irak zurückgezogen, ein Vakuum hinterlassen, das dann auch desaströse Konsequenzen nicht zuletzt auch für unseren Kontinent hatte. Da sehen wir gerne auch darüber.
    Da ist übrigens auch eine Linie Amerikas, Rückzug aus diesem humanitären teilweise und auch internationalistischen Engagement. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Das heißt nicht, dass Amerika sich ganz ins Schneckenhaus zurückziehen wird. Es wird weiterhin eingreifen - dann, wenn es um das vitale Interesse geht, wenn es darum geht, China zu bekämpfen. Das kann übrigens auch im Nahen und Mittleren Osten geschehen, indem man dort Instabilität schafft. Das ist der dreckige Realismus. Diese Instabilität wird uns Europäer betreffen und die Europäer sind ja wie gesagt aus Trumps Sicht auch Feinde.
    Heuer: Für Europa - das haben wir schon besprochen – finden Sie das alles schlecht. Aber kann man vielleicht auch sagen, Donald Trump macht eine Politik, die den USA jedenfalls gut tut?
    Braml: Nein, die tut den USA genauso wenig gut, wie es schon in den 20er-, 30er-Jahren war. America first ist ja auch eine Anspielung an die Politiken Lindbergs und anderer, die Amerika aus Europa raushalten wollten, als die Nazis hier ihr Unwesen trieben. Wohin diese Politik führt, sollte uns diese Geschichte gelehrt haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.