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Außenpolitik
"Die deutsche Diplomatie fährt auf der Felge"

Angesichts des Kurses von US-Präsident Donald Trump fordert der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff eine neue deutsche Sicherheitspolitik. Es ärgere ihn "maßlos", dass so getan werde, als ob die Erhöhung der Verteidigungsausgaben die soziale Balance hierzulande gefährde, sagte Lambsdorff im Dlf.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 28.12.2018
    Der Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) spricht bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag.
    Alexander Graf Lambsdorff ist Außen- und Europaexperte der FDP (picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Jörg Münchenberg: Viele Kommentatoren bezeichnen Donald Trumps Politikstil gerne als disruptiv, also zerstörend oder auch zerreißend, das Gegenteil in jedem Fall von Kontinuität, und dieser Charakterisierung hat der US-Präsident erst jüngst wieder mal alle Ehre gemacht mit der Ankündigung, die US-Truppen aus Syrien zurückzuziehen, ohne vorher die Verbündeten zu konsultieren, aber Trump hat seine Entscheidung jetzt noch einmal bei einem überraschenden Truppenbesuch in Syrien bekräftigt. Man wolle nicht länger Weltpolizist spielen.
    Am Telefon ist nun der außenpolitische Experte der FDP, Alexander Graf Lambsdorff. Herr Lambsdorff, einen schönen guten Morgen!
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Münchenberg!
    Münchenberg: Herr Lambsdorff, wie tief reicht die Zäsur in der Weltpolitik mit dem Rückzug jetzt der Amerikaner aus Syrien und womöglich auch aus Afghanistan?
    Lambsdorff: Natürlich ist die gesamte Außenpolitik von Donald Trump in gewisser Weise eine Zäsur. Was er sagt, das ist wirklich völlig neu aus Washington, man wolle nicht länger Weltpolizist sein. Er knüpft damit zwar an eine amerikanische Tradition an, an die des Isolationismus, aber die war im Grunde ja gescheitert, und die war auch im Konsens in Washington als gescheitert angesehen. Wenn man überlegt, wie die USA die Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt haben und auch nach dem Kalten Krieg wirklich die dominierende Macht waren, dann ist diese Politik von Donald Trump heute eine wirklich massive Zäsur.
    Wie weit das gehen wird - und das ist, glaube ich, wichtig, dass man sich das klarmacht -, wie weit das geht wird, ist unklar, denn es ist nicht ein Rückzug aus allen Bündnissen, aus allen Verpflichtungen. Die Amerikaner sind in der NATO engagiert, bilateral mit Japan und Australien verbunden. Das heißt, es gibt nach wie vor militärisches und politisches Engagement. Die Frage ganz konkret also: Wie weit wird er gehen? Syrien ist hier ein Warnschuss in gewisser Weise. Man will das Land anderen Mächten zur Nachkriegsstabilisierung überlassen, aber dort nicht mehr mitmachen, weil es aus Washingtoner Sicht, aus der Sicht der Administration einfach nicht wichtig genug ist.
    "Verweigerungshaltung der Europäer"
    Münchenberg: Aber auf der anderen Seite gab es doch auch schon unter Barack Obama Anzeichen dafür, dass die USA nicht bereit sind, länger hier Weltpolizist spielen zu wollen.
    Lambsdorff: Na ja, Weltpolizist schon, also dass die USA die Ordnung, die internationale Ordnung, die sie selbst etabliert haben, verteidigen und schützen, das war eigentlich schon Politik auch der Obama-Administration, allerdings gab es auch damals schon erhebliche Kritik am Verhalten der Europäer insbesondere in Bezug auf die Finanzierung der eigenen sicherheitspolitischen Verantwortung. Das Zwei-Prozent-Ziel ist keine Erfindung von …
    Münchenberg: Also der NATO.
    Lambsdorff: Genau, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO, also dass alle Verbündeten zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für ihre Verteidigung ausgeben sollen, ist keine Erfindung von Donald Trump, sondern das ist zur Zeit Obamas beschlossen worden, und der Verteidigungsminister Obamas war in Brüssel zu seiner Abschiedsreise, war zutiefst frustriert, dass hier in Europa überhaupt keine Bewegung ist. Ich glaube, dass ein Teil der drastischen Maßnahmen, die jetzt von Donald Trump hier zu sehen sind, auch auf die Verweigerungshaltung der Europäer zurückzuführen ist.
    Münchenberg: Also sind die Europäer auch ein bisschen daran schuld, dass der US-Präsident jetzt einfach sagt, ich mache hier einen radikalen Schnitt.
    Lambsdorff: Die Europäer haben eine eigene Verantwortung für ihre eigene Sicherheit. Die unsere sicherheitspolitische Umgebung wird ja immer schwieriger. Wir haben ja einen Krieg in der Ukraine, wir haben in der Türkei einen extrem schwierigen Partner, der in Syrien militärisch engagiert ist, wir haben im Süden Afrika, wo vom Arabischen Frühling nicht mehr viel übrig ist, und dahinter haben wir mit Mali ein Land, in dem wir auch eine Mission unterhalten, also Schwarzafrika, ein Kontinent, der sicherheitspolitisch von uns auch bearbeitet werden muss auf die eine oder andere Art und Weise. Aber wenn man noch mal zurückdenkt nach 2011, 12, die Kampagne gegen Libyen: Selbst die stärksten europäischen Länder - Großbritannien und Frankreich - waren nicht in der Lage, länger als 48 Stunden militärisch zu operieren, bevor man in Washington anrufen und um Hilfe bitten musste. Also mit anderen Worten: Ja, in gewisser Weise ist das, was die Amerikaner uns vorwerfen, jetzt in einem neuen Ton vorgebracht, aber es ist in der Sache, in der Sache ist es, A, nicht völlig neu, und, B, auch nicht völlig unberechtigt.
    "Die USA werden dann keine Rolle mehr im Land selber haben"
    Münchenberg: Also ist die Kritik auch an Donald Trump, an diesen harten Schnitt jetzt nicht berechtigt.
    Lambsdorff: Naja, die Art und Weise wie er vorgeht ist natürlich eine, die das gesamte System der multilateralen Zusammenarbeit gefährdet, wenn wir an die Vereinten Nationen denken, wenn wir ans Klimaabkommen denken, wenn wir an das Atomabkommen mit dem Iran denken. Sie haben ja die Dinge in der Anmoderation eben erwähnt. Das ist natürlich kritikwürdig, und natürlich macht die Trump-Administration eine Außenpolitik, die einem Sorge machen muss, denn der Multilateralismus, also das regelbasierte Vorgehen verschiedener Länder zur Bearbeitung von Interessenkonflikten, das ist ja gerade für ein Land wie Deutschland oder ein Kontinent für Europa absolut zentral, und es ist im Übrigen auch für ein Land wie die USA zentral. Vergessen wir nicht, die Vereinten Nationen sind von den Amerikanern mitbegründet worden. Im Juni 1945 wurde die Karte der Vereinten Nationen in San Francisco unterschrieben, nachdem im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg gerade zu Ende gegangen war, im Pazifik sogar noch andauerte. Also mit anderen Worten, auch aus amerikanischer Sicht ist das multilaterale System sinnvoll. Das sieht man zum Teil dort heute nicht mehr, aber ich glaube, das ist einfach eine falsche Sichtweise in der US-Administration.
    In einer Rede an die Nation erläutert US-Präsident Trump die Luftangriffe auf mehrere Ziele in Syrien.
    Die Politik von US-Präsident Donald Trump erfordert laut Laumbsdorff eine "reifere" Debatte über deutsche Sicherheitspolitik (AFP / Mandel Ngan)
    Münchenberg: Aber noch mal: Sie sagen, der Ton stimmt nicht, man müsste mehr konsultieren, aber rein sachlich ist die amerikanische Reaktion jetzt für Syrien durchaus nachvollziehbar.
    Lambsdorff: Nein, die Situation für Syrien ist deswegen nicht nachvollziehbar, weil der Abzug der amerikanischen Soldaten ja die absehbare Arbeit an der Nachkriegsordnung in Syrien erheblich schwieriger macht. Die USA werden dann keine Rolle mehr im Land selber haben. Deswegen haben ja auch der Verteidigungsminister James Mattis, der daraufhin sogar zurückgetreten ist, aber auch der ansonsten recht isolationistische Sicherheitsberater John Bolton den Präsidenten ja dahingehend beraten, er möge die Soldaten in Syrien lassen, weil man sich selbst aus dem Spiel nimmt, und genau das hat Trump ignoriert, hat den Beschluss zum Abzug verkündet und ist damit in der Tat ganz klar verantwortlich für eine Schwächung der amerikanischen Rolle im Nahen Osten, was die Kurden zu spüren bekommen werden, was auch Israel zu spüren bekommen wird, einer unserer engsten Verbündeten. Also mit anderen Worten, diese Entscheidung ist ein schwerer Fehler.
    Münchenberg: Aber noch mal jetzt auf die europäische Rolle zu sprechen zu kommen, die haben Sie ja auch schon erwähnt: Ist es da nicht einfach wohlfeil, zu sagen, die Amerikaner müssen den Kopf hinhalten, und es gibt im Augenblick nur Franzosen eigentlich, die jetzt noch sich in dem Gebiet bewegen, auch an der Grenze zur Türkei. Anders gefragt: Müsste auch nicht Deutschland sich viel stärker engagieren?
    Lambsdorff: Deutschland braucht eine völlig andere sicherheitspolitische Debattenkultur. Wir haben ja eine Situation, in der es mit Mühe und Not gelingt, unseren Verteidigungshaushalt etwas anzuheben, wo es mit Mühe und Not gelingt, den Haushalt für die Entwicklungszusammenarbeit etwas anzuheben. In der Diplomatie bei der Finanzierung des Auswärtigen Amtes tut sich überhaupt nichts. Die deutsche Diplomatie fährt auf der Felge. Deswegen gibt es ja den Vorschlag über die zwei Prozent hinaus, die sich auf die Verteidigung beziehen, drei Prozent für die internationale Verantwortung Deutschlands auszugeben.
    Münchenberg: Noch mal konkret, Herr Lambsdorff, würden Sie auch soweit gehen und sagen, dann brauchen wir zum Beispiel auch Bodentruppen in Syrien?
    Lambsdorff: Nein, um Gottes Willen. Wir brauchen aus Deutschland keine Bodentruppen in Syrien. Die Bundeswehr ist jetzt schon mit Afghanistan, mit Mali, mit anderen Missionen, Irak, ja wirklich gefordert. Das kann die Bundeswehr einfach nicht leisten. Wir müssen uns nur in die Lage versetzen in fünf, zehn oder 15 Jahren, für den Fall, dass unsere eigenen europäischen sicherheitspolitischen Interessen so etwas erfordern, in der Lage wären, dort auch mitzuhandeln, und das ist der Punkt, um den es heute geht.
    "Wir haben eine Schieflage in der Diskussion"
    Münchenberg: Aber was heißt konkret mitzuhandeln?
    Lambsdorff: Das heißt beispielsweise, dass man das tut, was wir jetzt im Irak tun mit den Tornados, das heißt, dass wir das tun, was wir in Mali tun mit Bodentruppen, das heißt Ausbildungsmissionen machen, wenn die politische Situation einen Konsens ergibt, auch im Deutschen Bundestag, natürlich auch die Bundeswehr in Kampfeinsätze zu schicken. Wir haben das ja auch getan in Afghanistan, das war ja ein Kampfeinsatz. Also mit anderen Worten, die Bundeswehr, die Diplomatie, die Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland müssen ganz anders diskutiert werden.
    Es ärgert mich maßlos, dass so getan wird, als ob eine moderate Erhöhung unserer Ausgaben für unsere internationale Verantwortung in dieser wahnsinnig schwierigen Zeit die soziale Balance in Deutschland gefährden könnte. Wir müssen uns das nur mal klarmachen von den Zahlen her: Wir haben einen Verteidigungshaushalt von ungefähr 43 Milliarden Euro, und wir haben im letzten Jahr Sozialtransfers in Deutschland gehabt von 965 Milliarden Euro. Also wir haben eine Schieflage in der Diskussion, und ich glaube, wir brauchen eine reifere sicherheitspolitische Debatte in Deutschland.
    Münchenberg: Aber wiederholt sich jetzt nicht wieder das gleiche Spiel, was wir seit Jahren beobachten? Sie verweisen auch in die Zukunft, aber konkret müsste sich ja jetzt Europa stärker in Syrien engagieren, auch wenn es zum Beispiel geht, es könnte ja auch eine neue Flüchtlingswelle losbrechen, wenn ein Krieg ausbricht in der Region, und davon wäre Europa ja zuerst betroffen.
    Lambsdorff: Ja, das ist richtig, aber die Erwartung, dass es eine neue große Flüchtlingswelle gibt, die sehe ich zurzeit, ehrlich gesagt, nicht. Ich glaube, dass Europa im Syrienkonflikt militärisch keine Rolle spielt, auch keine Rolle mehr spielen kann. Ohne die USA ist Europa dort nicht handlungsfähig, und die USA ziehen sich jetzt vollends zurück. Also mit anderen Worten, das ist eine rein theoretische Erwägung. Das sehe ich nicht. Die Russen sind in das Vakuum gestoßen, das die Amerikaner erzeugt haben, schon in der Vergangenheit, als Präsident Obama sich sehr zurückgehalten hat nach dem Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Die Saudis sind aktiv, die Iraner und die Türken. Es wird hauptsächlich auf diese Länder hinauslaufen, wenn es darum geht, die Nachkriegsordnung dort zu gestalten.
    Münchenberg: Ganz kurz noch, letzte Frage, Herr Lambsdorff, fast Halbzeitbilanz jetzt von Donald Trump - was, würden Sie sagen, ist von den transatlantischen Beziehungen noch übrig?
    Lambsdorff: Viel mehr als es die Schlagzeilen geben. Die transatlantischen Beziehungen sind ja viel breiter und viel tiefer als die reine Politik. Denken wir an den Wissenschaftsaustausch, den Kulturaustausch, den Handel. Es gibt eine ganze Reihe von Schülerinitiativen, Schüleraustauschprogramme. Also die Beziehungen zu den USA und Kanada sind breit und tief, aber politisch sind sie zurzeit in wirklich schwerem Fahrwasser, und unsere Verantwortung ist, dafür zu sorgen, dass das in den nächsten Jahren sich wieder stabilisiert und wir eine auch politisch stabile Beziehung bekommen.
    Münchenberg: Sagt der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Herr Lambsdorff, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
    Lambsdorff: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.