Ferdos Forudastan: Es sind - vorsichtig ausgedrückt - widersprüchliche Botschaften. Einerseits geben sich die organisierten Sudetendeutschen hierzulande seit einiger Zeit erkennbar Mühe, das Image der Ewiggestrigen, der Rückwärtsgewandten, der Revisionisten abzustreifen. Sie urteilen vergleichsweise moderat über die tschechische Regierung und betonen nicht mehr bei jeder Gelegenheit, was ihnen aus der Zeit der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg noch alles zusteht. Andererseits haben die Sudetendeutschen für ihr diesjähriges Pfingstreffen, das seit Freitag dauert und noch bis heute stattfindet in Nürnberg, ein Motto gewählt, das so scharf ist, als stamme es aus den 50er oder 60er Jahren: "Vertreibung ist Völkermord - dem Recht auf Heimat gehört die Zukunft", so lautet es und sorgt anhaltend für heftige Kritik, vor allem von Historikern. Der erste Teil des Sudetentreffens fand übrigens zu genau der Zeit statt, als die Tschechen ein neues Parlament wählten. Frantisek Cerni, geboren 1931, ist Autor, Übersetzer und er war bis 2001 Botschafter Tschechiens in Berlin. Von ihm wollte ich wissen, ob ihn das aggressive Motto des Sudetentreffens überrascht hat oder ob er darüber sogar erschrocken ist.
Frantisek Cerni: Erschrocken nicht, überrascht eigentlich schon. Es gab eine sehr heftige Diskussion dazu bei diesen alljährlichen Iglauer Gesprächen im Frühjahr dieses Jahres. Da wurde also Bernd Posselt...
Forudastan: Das ist der Bundesvorsitzende.
Cerni: ... der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, er war da also in jener Situation, diese Losung da zu erklären. Aber es ist ihm, glaube ich, nicht gelungen. Oder ich halte sie für politisch mindestens außerordentlich unklug.
Forudastan: Es gibt auch Historiker hier in Deutschland, die sagen, das sei die aggressivste Losung überhaupt...
Cerni: Ja das ...
Forudastan: ... seit Ende des Kalten Krieges ...
Cerni: Ja, ja.
Forudastan: Da setzten die Sudetendeutschen, also vor allen Dingen Herr Posselt, von dem Sie eben gesprochen haben, dagegen: Die Vertreibung der Deutschen aus Tschechien, das war keine Flucht der Deutschen vor der Roten Armee, das war kein Kollateralschaden des Krieges, es war kein spontaner Racheakt, sondern eben eine eiskalt geplante ethnische Säuberung oder der Versuch einer solchen, und deswegen dürfe man das auch so nennen.
Cerni: Das erweckt natürlich, also bei den wahrscheinlich Nicht-Deutschen oder jedenfalls bei den Tschechen also eine Art Negativspirale im Denken und im Reagieren, denn dann hat man den Eindruck, die sudetendeutsche Losung soll also Holocaust und Vertreibung auf eine gleiche Stufe setzen. Das ist etwas, was kein Tscheche je akzeptieren wird.
Forudastan: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass dieses Motto so drastisch ausfällt, dass man fast eine Rückkehr zum Revisionismus praktisch damit einläuten möchte?
Cerni: Ich habe da, ich habe versucht mit Bernd Posselt darüber zu sprechen. Also in meinen Augen ist es vielleicht der Versuch, also das Thema Vertreibung immer noch irgendwie hochzuhalten angesichts der Tatsache, dass sich da so viele Menschen nicht mehr so sehr, so viele Jahre nach dem Krieg, dafür interessieren. Vielleicht kann ich in diesem Zusammenhang etwas nennen, was mich selber überrascht hat: Wir haben jetzt Parlamentswahlen, die stehen natürlich im Mittelpunkt des Interesses, aber es gibt im Unterschied zu all den Sudetentreffen in den vergangenen Jahren praktisch keine einzige,in den Medien, nicht einmal eine richtige Meldung. Also ...
Forudastan: Und hängt das nun damit zusammen, dass alle Aufmerksamkeit auf der Parlamentswahl liegt?
Cerni: Nein, nein. Ich würde sagen, das hängt vielleicht auch damit etwas zusammen, aber trotzdem ist es also wahrscheinlich vielleicht ein Zeichen - ich halte das für ein gutes Zeichen. Schauen Sie, vor kurzem der Außenminister, Ihr Außenminister hier in Prag und dann hat er dann also zum Beispiel gesagt, dass - ich war dabei -, so dass er gesagt hat, dass der - es war ein schöner Tag, im Unterschied zu heute -, der Himmel über Prag und die deutsch-tschechischen Beziehungen haben etwas Gemeinsames: Es herrscht Schönwetter. Und da gab es also sehr viele Sachen, die sehr wichtig waren. Unter anderem zum Beispiel auch die Einigung darüber zwischen beiden Außenministerien, dass dieser Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, der so viel Gutes getan hat für beide Seiten, dass der - der jetzt auslaufen würde, er ist '97 gegründet für zehn Jahre -, dass der also weiter fortgeführt wird. Und anderes mehr. Ich glaube auch, zu den Sudetendeutschen hat sich hier bei uns ein Verhältnis dazu entwickelt, sich ein bisschen, es ist jetzt nicht nur so eine - wie es lange Zeit der Fall war -, eine klare Gegenüberstellung: Hier die Sudetendeutschen, hier die Tschechen und wir haben überhaupt nichts, also in den Ansichten nichts gemeinsam. Es gibt sehr viele Begegnungen, Kontakte, es gibt sehr viel Zusammenarbeit.
Forudastan: Es gibt eine Untersuchung des Hauses der Geschichte in Bonn und die sagt: 38 Prozent der Tschechen halten es für wahrscheinlich, dass die deutsche Regierung eines Tages ehemalige deutsche Gebiete oder Besitztümer zurückfordern wird oder zumindest auf Entschädigung bestehen wird. Ist das etwas, was Sie unter Tschechen im Alltag auch so mitbekommen, dass da so eine latente Angst oder Sorge herrscht?
Cerni: Sicher gibt es eine latente Angst, aber ich spüre - und ich verfolge das ziemlich aufmerksam -, sie nimmt ab. Sie hat eine gewisse Zeit auch zugenommen. Schauen Sie, schon allein die Tatsache, dass beim letzten Wahlkampf wegen dieser Angst es sich gelohnt hat bei den politischen Parteien, zum Beispiel bei der ODS, diese deutsche Karte zu spielen, die sudetendeutsche. Und da hat man also, um Stimmen zu gewinnen, populistisch, hat man gesagt: Wir sind die Partei, die die nationalen Interessen der Tschechen am besten garantiert und uns also schützen kann vor also diesen jetzt von Ihnen erwähnten möglichen Forderungen und so weiter. Dieses Jahr war das absolut nicht im Gespräch. Also das, wenn diese Angst da tatsächlich wäre, dann hätten also die Wahl..., diesen sonst sehr, sehr harten Wahlkampf vorbereitet, dann hätten sie sie genützt. Aber wie gesagt, das ist überhaupt kein Thema gewesen. Also damit, glaube ich, ist eigentlich auch sehr viel schon erreicht. Denn der Abbau der Angst, der setzt fort.
Forudastan: Sie sagen, die Sorge und die Angst, die bauen sich allmählich ab, die lassen nach. Sie beobachten ja sehr genau das Wirken der Sudetendeutschen hier in Deutschland. Mal abgesehen von diesem drastischen oder vielleicht sogar aggressivem Motto des diesjährigen Treffens, haben Sie den Eindruck, dass auch da die Töne und auch vielleicht die Forderungen milder und moderater werden?
Cerni: Na ich hoffe es. Oder ich kann, diese Hoffnung bezieht sich darauf, dass ich mit denen so viel, ich habe so viele Kontakte mit unseren ehemaligen deutschen Mitbürgern, also den Sudetendeutschen, den Vertriebenen. Und da entwickelt sich also wirklich sehr viel positive Zusammenarbeit, Verständnis. Schauen Sie, es geht sogar so weit, dass jetzt zum ersten Mal damit gerechnet werden kann, dass also zum Beispiel der bayerische Ministerpräsident Stoiber nach Prag kommt, offiziell. War er noch nie, offiziell in Prag. Und das sind also Sachen, die wirklich also ganz neu sind. Und eine andere Sache ist zum Beispiel die von unserem Ministerpräsidenten jetzt also vorgeschlagene - und sie wird durchgeführt - Geste gegenüber den, also, Sudetendeutschen, die vertrieben wurden, ob zwar sie auch als Antifaschisten eigentlich gegen Hitler waren und auf der Seite der damaligen tschechoslowakischen Regierung standen. Also das war, bislang hat man diesen Unterschied eigentlich gar nicht richtig thematisieren wollen. Jetzt wird er thematisiert. Es wird jetzt ein Film zum Beispiel vorbereitet, der also dokumentieren soll, welche Rolle zum Beispiel sudetendeutsche Antifaschisten, sudetendeutsche Sozialdemokraten, sudetendeutsche Christdemokraten hier gespielt haben, welche positive Rolle. Das wäre eigentlich auch noch vor ein paar Jahren nicht besonders, also für einen Politiker hier fördernd geworden, ja? Man hätte gesagt: Ja, das heißt irgendwie eine Art Paktierung mit den Sudetendeutschen, und so. Aber heute, glaube ich, ist das jetzt also, wird das akzeptiert. Und man erwartet sich davon also einen weiteren Fortschritt.
Forudastan: Das heißt, diese Entwicklung weg von den schrillen Tönen, von der Konfrontation hin zu den moderaten Tönen und dem Miteinander, die beruht eben auch auf ganz bestimmten Handlungen?
Cerni: Ja.
Forudastan: Das ist nicht nur dem Zeitablauf geschuldet?
Cerni: Ja, ja. Das - und der Zeitablauf hat also wahrscheinlich dazu beigetragen, dass es also bestimmte, also, Schritte gibt in diese Richtung, ja? Und natürlich auch zum Beispiel wahrscheinlich, nicht also wahrscheinlich, aber höchstwahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass derjenige, der jetzt diese Schritte gemacht hat - ich meine diese Geste gegenüber Sudetendeutschen -, dass der ein Sozialdemokrat ist, der sehr enge Kontakte hat mit Ihrem ehemaligen Bundeskanzler Schröder - der ist übrigens vorgestern wieder hier gewesen, quasi als Wahlhelfer der tschechischen Sozialdemokraten, ja? Also dieses Schönwetter über den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ist, glaube ich, Tatsache - trotz immer, es kommen ja immer wieder welche Sachen vor, nicht? Also zum Beispiel der Streit darüber, dass also der Abfall aus Deutschland hierher gebracht wird und dann gab es wieder nationalistische Bemerkungen, die sagten: Schaut her, die Deutschen schicken uns ihren Schmutz. Aber da hat man dann vergessen, inzwischen hat man das berichtigt, dass da auch sehr geschäftstüchtige tschechische Leute dabei aktiv waren. Ohne sie hätte man ja das nicht machen können. Nur, solche Störungen gibt es immer. Aber insgesamt, glaube ich, ist es so, dass das wirklich mit "Schönwetter" bezeichnet werden kann. Und das gilt, glaube ich, teilweise auch schon - und ich hoffe, dass das weiter noch sich festigen wird - im Verhältnis zwischen den, unseren ehemaligen Mitbürgern deutscher Nationalität, die '45 das Land verlassen mussten und die inzwischen also häufig sehr aktiv hier tätig sind bei der Renovierung zum Beispiel in ihren ehemaligen Wohnorten von verschiedenen Denkmälern und so weiter. Da könnte man lange darüber sprechen.
Forudastan: Das war ein Gespräch mit Frantisek Cerni, dem früheren Botschafter Tschechiens in Berlin.
Frantisek Cerni: Erschrocken nicht, überrascht eigentlich schon. Es gab eine sehr heftige Diskussion dazu bei diesen alljährlichen Iglauer Gesprächen im Frühjahr dieses Jahres. Da wurde also Bernd Posselt...
Forudastan: Das ist der Bundesvorsitzende.
Cerni: ... der Bundesvorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, er war da also in jener Situation, diese Losung da zu erklären. Aber es ist ihm, glaube ich, nicht gelungen. Oder ich halte sie für politisch mindestens außerordentlich unklug.
Forudastan: Es gibt auch Historiker hier in Deutschland, die sagen, das sei die aggressivste Losung überhaupt...
Cerni: Ja das ...
Forudastan: ... seit Ende des Kalten Krieges ...
Cerni: Ja, ja.
Forudastan: Da setzten die Sudetendeutschen, also vor allen Dingen Herr Posselt, von dem Sie eben gesprochen haben, dagegen: Die Vertreibung der Deutschen aus Tschechien, das war keine Flucht der Deutschen vor der Roten Armee, das war kein Kollateralschaden des Krieges, es war kein spontaner Racheakt, sondern eben eine eiskalt geplante ethnische Säuberung oder der Versuch einer solchen, und deswegen dürfe man das auch so nennen.
Cerni: Das erweckt natürlich, also bei den wahrscheinlich Nicht-Deutschen oder jedenfalls bei den Tschechen also eine Art Negativspirale im Denken und im Reagieren, denn dann hat man den Eindruck, die sudetendeutsche Losung soll also Holocaust und Vertreibung auf eine gleiche Stufe setzen. Das ist etwas, was kein Tscheche je akzeptieren wird.
Forudastan: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass dieses Motto so drastisch ausfällt, dass man fast eine Rückkehr zum Revisionismus praktisch damit einläuten möchte?
Cerni: Ich habe da, ich habe versucht mit Bernd Posselt darüber zu sprechen. Also in meinen Augen ist es vielleicht der Versuch, also das Thema Vertreibung immer noch irgendwie hochzuhalten angesichts der Tatsache, dass sich da so viele Menschen nicht mehr so sehr, so viele Jahre nach dem Krieg, dafür interessieren. Vielleicht kann ich in diesem Zusammenhang etwas nennen, was mich selber überrascht hat: Wir haben jetzt Parlamentswahlen, die stehen natürlich im Mittelpunkt des Interesses, aber es gibt im Unterschied zu all den Sudetentreffen in den vergangenen Jahren praktisch keine einzige,in den Medien, nicht einmal eine richtige Meldung. Also ...
Forudastan: Und hängt das nun damit zusammen, dass alle Aufmerksamkeit auf der Parlamentswahl liegt?
Cerni: Nein, nein. Ich würde sagen, das hängt vielleicht auch damit etwas zusammen, aber trotzdem ist es also wahrscheinlich vielleicht ein Zeichen - ich halte das für ein gutes Zeichen. Schauen Sie, vor kurzem der Außenminister, Ihr Außenminister hier in Prag und dann hat er dann also zum Beispiel gesagt, dass - ich war dabei -, so dass er gesagt hat, dass der - es war ein schöner Tag, im Unterschied zu heute -, der Himmel über Prag und die deutsch-tschechischen Beziehungen haben etwas Gemeinsames: Es herrscht Schönwetter. Und da gab es also sehr viele Sachen, die sehr wichtig waren. Unter anderem zum Beispiel auch die Einigung darüber zwischen beiden Außenministerien, dass dieser Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, der so viel Gutes getan hat für beide Seiten, dass der - der jetzt auslaufen würde, er ist '97 gegründet für zehn Jahre -, dass der also weiter fortgeführt wird. Und anderes mehr. Ich glaube auch, zu den Sudetendeutschen hat sich hier bei uns ein Verhältnis dazu entwickelt, sich ein bisschen, es ist jetzt nicht nur so eine - wie es lange Zeit der Fall war -, eine klare Gegenüberstellung: Hier die Sudetendeutschen, hier die Tschechen und wir haben überhaupt nichts, also in den Ansichten nichts gemeinsam. Es gibt sehr viele Begegnungen, Kontakte, es gibt sehr viel Zusammenarbeit.
Forudastan: Es gibt eine Untersuchung des Hauses der Geschichte in Bonn und die sagt: 38 Prozent der Tschechen halten es für wahrscheinlich, dass die deutsche Regierung eines Tages ehemalige deutsche Gebiete oder Besitztümer zurückfordern wird oder zumindest auf Entschädigung bestehen wird. Ist das etwas, was Sie unter Tschechen im Alltag auch so mitbekommen, dass da so eine latente Angst oder Sorge herrscht?
Cerni: Sicher gibt es eine latente Angst, aber ich spüre - und ich verfolge das ziemlich aufmerksam -, sie nimmt ab. Sie hat eine gewisse Zeit auch zugenommen. Schauen Sie, schon allein die Tatsache, dass beim letzten Wahlkampf wegen dieser Angst es sich gelohnt hat bei den politischen Parteien, zum Beispiel bei der ODS, diese deutsche Karte zu spielen, die sudetendeutsche. Und da hat man also, um Stimmen zu gewinnen, populistisch, hat man gesagt: Wir sind die Partei, die die nationalen Interessen der Tschechen am besten garantiert und uns also schützen kann vor also diesen jetzt von Ihnen erwähnten möglichen Forderungen und so weiter. Dieses Jahr war das absolut nicht im Gespräch. Also das, wenn diese Angst da tatsächlich wäre, dann hätten also die Wahl..., diesen sonst sehr, sehr harten Wahlkampf vorbereitet, dann hätten sie sie genützt. Aber wie gesagt, das ist überhaupt kein Thema gewesen. Also damit, glaube ich, ist eigentlich auch sehr viel schon erreicht. Denn der Abbau der Angst, der setzt fort.
Forudastan: Sie sagen, die Sorge und die Angst, die bauen sich allmählich ab, die lassen nach. Sie beobachten ja sehr genau das Wirken der Sudetendeutschen hier in Deutschland. Mal abgesehen von diesem drastischen oder vielleicht sogar aggressivem Motto des diesjährigen Treffens, haben Sie den Eindruck, dass auch da die Töne und auch vielleicht die Forderungen milder und moderater werden?
Cerni: Na ich hoffe es. Oder ich kann, diese Hoffnung bezieht sich darauf, dass ich mit denen so viel, ich habe so viele Kontakte mit unseren ehemaligen deutschen Mitbürgern, also den Sudetendeutschen, den Vertriebenen. Und da entwickelt sich also wirklich sehr viel positive Zusammenarbeit, Verständnis. Schauen Sie, es geht sogar so weit, dass jetzt zum ersten Mal damit gerechnet werden kann, dass also zum Beispiel der bayerische Ministerpräsident Stoiber nach Prag kommt, offiziell. War er noch nie, offiziell in Prag. Und das sind also Sachen, die wirklich also ganz neu sind. Und eine andere Sache ist zum Beispiel die von unserem Ministerpräsidenten jetzt also vorgeschlagene - und sie wird durchgeführt - Geste gegenüber den, also, Sudetendeutschen, die vertrieben wurden, ob zwar sie auch als Antifaschisten eigentlich gegen Hitler waren und auf der Seite der damaligen tschechoslowakischen Regierung standen. Also das war, bislang hat man diesen Unterschied eigentlich gar nicht richtig thematisieren wollen. Jetzt wird er thematisiert. Es wird jetzt ein Film zum Beispiel vorbereitet, der also dokumentieren soll, welche Rolle zum Beispiel sudetendeutsche Antifaschisten, sudetendeutsche Sozialdemokraten, sudetendeutsche Christdemokraten hier gespielt haben, welche positive Rolle. Das wäre eigentlich auch noch vor ein paar Jahren nicht besonders, also für einen Politiker hier fördernd geworden, ja? Man hätte gesagt: Ja, das heißt irgendwie eine Art Paktierung mit den Sudetendeutschen, und so. Aber heute, glaube ich, ist das jetzt also, wird das akzeptiert. Und man erwartet sich davon also einen weiteren Fortschritt.
Forudastan: Das heißt, diese Entwicklung weg von den schrillen Tönen, von der Konfrontation hin zu den moderaten Tönen und dem Miteinander, die beruht eben auch auf ganz bestimmten Handlungen?
Cerni: Ja.
Forudastan: Das ist nicht nur dem Zeitablauf geschuldet?
Cerni: Ja, ja. Das - und der Zeitablauf hat also wahrscheinlich dazu beigetragen, dass es also bestimmte, also, Schritte gibt in diese Richtung, ja? Und natürlich auch zum Beispiel wahrscheinlich, nicht also wahrscheinlich, aber höchstwahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass derjenige, der jetzt diese Schritte gemacht hat - ich meine diese Geste gegenüber Sudetendeutschen -, dass der ein Sozialdemokrat ist, der sehr enge Kontakte hat mit Ihrem ehemaligen Bundeskanzler Schröder - der ist übrigens vorgestern wieder hier gewesen, quasi als Wahlhelfer der tschechischen Sozialdemokraten, ja? Also dieses Schönwetter über den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ist, glaube ich, Tatsache - trotz immer, es kommen ja immer wieder welche Sachen vor, nicht? Also zum Beispiel der Streit darüber, dass also der Abfall aus Deutschland hierher gebracht wird und dann gab es wieder nationalistische Bemerkungen, die sagten: Schaut her, die Deutschen schicken uns ihren Schmutz. Aber da hat man dann vergessen, inzwischen hat man das berichtigt, dass da auch sehr geschäftstüchtige tschechische Leute dabei aktiv waren. Ohne sie hätte man ja das nicht machen können. Nur, solche Störungen gibt es immer. Aber insgesamt, glaube ich, ist es so, dass das wirklich mit "Schönwetter" bezeichnet werden kann. Und das gilt, glaube ich, teilweise auch schon - und ich hoffe, dass das weiter noch sich festigen wird - im Verhältnis zwischen den, unseren ehemaligen Mitbürgern deutscher Nationalität, die '45 das Land verlassen mussten und die inzwischen also häufig sehr aktiv hier tätig sind bei der Renovierung zum Beispiel in ihren ehemaligen Wohnorten von verschiedenen Denkmälern und so weiter. Da könnte man lange darüber sprechen.
Forudastan: Das war ein Gespräch mit Frantisek Cerni, dem früheren Botschafter Tschechiens in Berlin.