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Ausstellung
Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme

Eine Wanderausstellung denkt die oft unvorhersehbaren Entwicklungen zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen Parlamentarismus, Nazismus und Sozialismus zusammen. Sie soll nicht nur deutsche, sondern auch europäische Geschichte erzählen.

Von Cornelius Wüllenkemper | 15.01.2014
    Debatten vor den Schautafeln der Ausstellung "Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme"
    Debatten vor den Schautafeln der Ausstellung "Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme" (Bundesstiftung Aufarbeitung)
    "Wie ein Mann hat sich Deutschland erhoben, um in blutigen Schlachten deutsche Ehre und deutsches Eigentum zu schützen. Wir aber wollen einstimmen in den Ruf: Unser geliebtes Regiment, Hurra! Hurra! Hurra!"
    In einer Tonaufnahme ist zu hören, wie ein sächsisches Regiment des deutschen Heeres in den Ersten Weltkrieg verabschiedet wird. Der Auftakt eines Jahrhunderts, das der britische Historiker Eric Hobsbawm so einfach wie treffend als "Zeitalter der Extreme" bezeichnete. Die oft unvorhersehbaren Entwicklungen zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen Parlamentarismus, Nazismus und Sozialismus denkt die Ausstellung "Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme" zusammen. Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur spannt den Bogen weit: vom langen Vorlauf bis zur erst kurzen Nachgeschichte des real existierenden Sozialismus. Zudem schaut man nicht nur nach Deutschland, sondern will zugleich europäische Geschichte erzählen. Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte bei der Eröffnung im Souterrain des Paul-Loebe-Bundestagsgebäudes
    "Jedenfalls ist allein der Umstand, dass wir heute – jetzt auch schon wieder seit fast einem Vierteljahrhundert – in Europa in Verhältnissen leben, die 25 Jahre vorher kaum jemand für möglich gehalten hätte, ein Indiz dafür, dass die Geschichte manchmal erstaunliche Wendungen nimmt. Dass an all diesen großen Ereignissen des vergangenen Jahrhunderts Deutschland in einer besonderen Weise beteiligt war, wird durch diese Ausstellung in besonderer Weise verdeutlicht."
    Auf 26 Schautafeln mit kurzen Erläuterungstexten und Audio-Einspielern, die per Smartphone geladen werden können, und insgesamt 190 zeitdokumentatorischen Fotos erzählt die Schau über die großen Umwälzungen des Kontinents: von der Urkatastrophe und Lenins Revolutionsreden, von der Demokratie auf dem Rückzug in Deutschland und dem Faschismus in Italien, von Stalinismus und Nazismus, von Weltkrieg, Holocaust und Widerstand bis hin zur Teilung des Kontinents, der Friedlichen Revolution und dem vereinten Europa. Diese schiere Menge des Stoffs reißt die Wanderausstellung freilich nur an. Die Schau ist nicht im Sinne einer historisches Forschung zu verstehen, sondern
    "als Auftakt für eine Kampagne politischer Erinnerungskultur, für die wir in Deutschland längst eine sehr solide Grundlage geschaffen haben."
    Das betonte Bundestagspräsident Lammert. Die Schautafeln erscheinen in einer Auflage von 3000 Exemplaren und sind bereits jetzt für knapp 1400 Orte in der ganzen Republik bestellt. Der Bürger kann hier sehen, was er vermutlich bereits wusste, aber vielleicht nie im Jahrhundertzusammenhang gedacht hat. Die Wanderausstellung, die in Rathäusern, Schulen, Kirchen, bei der Bundeswehr oder in Verbänden zu sehen sein wird, gibt in Zeiten der Europamüdigkeit klar zu verstehen, dass unser heutiger, friedlicher Kontinent nicht selbstverständlich ist. Um so bedauerlicher ist der vergebliche Versuch der Stiftung Aufarbeitung, die EU-Kommission und das Parlament dafür zu gewinnen, in einem "Europäischen Jahr der Zeitgeschichte" die Ausstellung zu übernehmen und allen EU-Staaten zur Verfügung zu stellen. Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundestiftung Aufarbeitung:
    "Wir haben das auch als einen Beitrag verstanden für die Pläne, die es ja in Brüssel gibt, ein Haus der Europäischen Geschichte einzurichten. Wir haben gedacht, wenn man ein solches Haus der Europäischen Geschichte einrichtet und damit auch viele Bürger erreichen will, wäre es doch sinnvoll, dass man da auch einen demokratischen und transparenten Diskussionsprozess hat."
    Angesichts von Eurokrise und der Angst vor Armutseinwanderung aus dem Osten der EU steht schließlich die Frage im vorerst leeren Raum, was Europa eigentlich ausmacht, wenn nicht eine gemeinsame und dabei je unterschiedlich erlebte Geschichte. Die Wanderausstellung über "Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme" ruft das ebenso einfach wie eindringlich in Erinnerung.