Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

Ausstellung ethnografischer Fotos
Plädoyer für Differenz und Toleranz

"Fragende Blicke" - so der Titel einer Ausstellung mit ethnografischen Fotografien in München. Die Bilder von 1860 bis 1950 erzählen von kulturellen Zusammenhängen, Kolonialismus und Rassenideologie. Sich aufdrängende Vergleiche zur Gegenwart machen die Ausstellung hoch aktuell.

Von Julian Ignatowitsch | 04.07.2018
    1957 fand das erste Treffen statt: "Geschmückt zum Tanz" aus der Ausstellung "Fragende Blicke"
    "Geschmückt zum Tanz" aus der Ausstellung "Fragende Blicke" (Museum "Fünf Kulturen", Eduard Gangl, 1927-30)
    Vom Lehnstuhl aus in die große, weite Welt: zu den scheinbar unsterblichen 100-Jährigen ins Hunza-Tal in Pakistan; zu japanischen Sumo-Ringern und Geishas; zu den indianischen Ureinwohnern nach Nordamerika. Noch dazu in 3D. Die VR-Brille des 19. Jahrhunderts machte es möglich, das Stereoskop.
    "Das sind zwei Bilder vom selben Motiv, die versetzt aufgenommen wurden, und dann gibt es dazu einen Stereo-Betrachter, durch den man blicken kann, wodurch die zwei Bilder dann im richtigen Abstand zu einem verschmelzen, das dann einen leichten 3D-Effekt hat. Man hat das Gefühl, als wenn man durch ein Fenster auf die Landschaft oder die Person blicken würde."
    Sagt die Ethnologie-Studentin Alena Vodde.
    "Es sind zum Teil Gruppen- oder Einzelaufnahmen von Indianern aus Nordamerika aus ganz verschiedenen Regionen, die teilweise unter problematischen Umständen aufgenommen wurden, die letzten sechs stammen aus einem Gefangenencamp."
    Fragende Blicke der Native Americans und sicher auch bei manchem Besucher, denn der Vergleich zur Gegenwart, zu Einwanderern und ihren Kindern, die an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze in Auffanglager gesteckt werden, drängt sich auf. Die Ausstellung in München zu ethnografischer Fotografie und dem Umgang mit Fremden ist also hochaktuell.
    "Ethnografische Fotografie bedeutet eigentlich nur eine völkerbeschreibende Fotografie", erläutert Ethnologe Paul Hempel.
    "Also es geht darum, dass Bilder uns etwas erzählen über kulturelle Zusammenhänge. Hier in der Ausstellung gibt es auch viele Bilder, die nicht von Ethnologen aufgenommen wurden, sondern von Reisenden oder aus Fotostudios stammen, die kann man natürlich auch als ethnografische Quellen verwenden."
    Kolonialer, exotisierender Blick auf die Motive
    Die Fotografen der Ausstellung machten die Bilder zwischen 1860 und 1950 in den unterschiedlichsten Teilen der Welt.
    "Viele Ethnologen sind mit ihren sehr modernen Fotokameras ins Feld gegangen. Die Fotografie hat also die Ethnologie als Disziplin immer begleitet."
    Gleich neben den Bildern der Native Americans hängen Aufnahmen aus Papua-Neuguinea, damals britische Kolonie, die der böhmische Bohrmeister Eduard Gangl von der Bevölkerung dort gemacht hat. Darauf zu sehen sind:
    "Arbeitsverhältnisse, wie dort die lokale Bevölkerung in Arbeitsdienste eingebunden wurde. Es gibt Bilder von europäischen Frauen, die Kinder der dort lebenden Menschen in die Höhe halten, besonders süß finden und dabei gezwungen lachen. Also die Gezwungenheit der Situation kommt in diesen Bildern ganz klar heraus."
    Die Fotografen schauten mit kolonialen, exotisierenden Blicken auf ihre Motive: auf Tänzer und Musiker in Bolivien mit Strohrock und Kerbflöte, auf indigene Yanomami aus Venezuela, die sie nackt und mit Gesichtsbemalung ablichteten. Fotos von hawaiianischen Frauen, nach Typen geordnet, stehen für die rassistischen Denkmuster.
    "Wie 'Pure Hawaiin Type', 'Splendid Specimen' oder 'Native Women': Das sind natürlich klare rassische Zuordnungen - danach, wie die Leute aussehen.
    Erklärt die Kuratorin Anka Krämer de Huerta.
    "Und da wir ja heute davon ausgehen, dass es weder Rassen gibt, noch vertreten wir rassistische Ideologie in unserem Fach, wollten wir das Ganze nicht dadurch wiederholen, dass wir die Vorder- und Rückseiten von den Fotos zuordbar nebeneinander ausstellen, sondern wir haben uns entschlossen, das so zu machen, dass man nicht weiß, welches Bild zu welchem Kommentar gehört."
    Einst Unterhaltung und Statussymbol, jetzt historische Quelle
    Der Blick auf solche Bilder und der Umgang mit ihnen hat sich heute stark verändert: einst Unterhaltung und Statussymbol, jetzt historische Quelle. Und teilweise Warnung. Denn - auch das erzählt die Ausstellung - im amerikanischen Rechtswesen gilt immer noch ein sogenanntes "Blood Quantum", das den Grad der Indigenität eines Menschen misst. Eine weitere Gemeinsamkeit mit der Gegenwart: die Bildbearbeitung - heute Photoshop, damals Stift und Tusche. Ethnologe Paul Hempel sieht - mit dem Blick von heute - in der Ausstellung auch eine zeitlose Befragung des Mediums Fotografie:
    "Was steht hinter diesem Bild, wer steht hinter diesem Bild? Wie bilde ich jemanden ab? Wie vieldeutig ist auch ein Bild? Gerade diese Kontexte, in den problematische Bilder entstehen, gibt es heute auch zu Genüge. Die Frage, wie auch mit Pressebildern heutzutage umgegangen wird. Was darf ich zeigen? Wen darf ich ausstellen auf einem Bild, ohne dass er es weiß, dass er da sein Einverständnis gegeben hat. Diese Fragen stellen sich heute wie damals."
    Die Ausstellung mit historischen Fotos ist ein aktuelles Plädoyer für Differenz und Toleranz, ein kritisches Gedächtnis an Kolonialismus und Rassenideologie, eine Würdigung an Fotografie und deren Pioniere - und in jedem Fall: sehenswert!
    "Fragende Blicke" ist bis zum 31. Juni 2019 im Museum Fünf Kontinente in München zu sehen.