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Berliner Foto-Ausstellung "Total Records"
Popmusik für die Augen

Plattencover prägen das Image von Popstars. Grace Jones, die Beatles oder David Bowie - undenkbar ohne ihre ikonisch gewordenen Platten-Fotografien. Die Ausstellung "Total Records" im C/O Berlin widmet sich dieser besonderen Form der Fotografie und lenkt den Blick auf die Fotografen hinter den Bildern.

Von Christoph Möller | 12.12.2016
    Die Ausstellung "Total Records" im C/O Berlin widmet sich der Fotografie auf Plattencovern
    Die Ausstellung "Total Records" im C/O Berlin widmet sich der Fotografie auf Plattencovern (Christoph Möller)
    Pinke, gelbe, grüne, blaue, rote Wände. Gesichter überall. Frauen, Männer, Kinder. Im Anzug, nackt, in unmöglichen Posen. Andy Warhol hätte diese Ausstellung gefallen - die so gar keinen roten Faden hat.
    "Das ist eigentlich das Interessante an dieser Ausstellung. Ich habe es am Anfang auch überhaupt nicht verstanden", sagt Felix Hoffmann, Kurator bei C/O Berlin, der den Berliner Teil der Ausstellung kuratiert hat.
    "Es ist eine Fotografie-Ausstellung, und, ja, das muss man immer so im Hinterkopf behalten."
    "Wir haben versucht, im Raum eine fotografische Logik zu finden"
    Eine Herausforderung. Die Musik zerrt an den Fotos. Man sieht das Cover - und hört sofort eine Melodie. Und: Die Cover sind nicht zeitlich oder nach Genre geordnet, sondern hängen - scheinbar - völlig durcheinander. Ein Cover von Kraftwerk nur ein paar Schritte entfernt vom Jazz-Saxophonist Ornette Coleman.
    Man sucht die Verbindung. Und findet sie nicht - oder zumindest: Nicht in der Musik.
    "Wir haben durch die Cover gearbeitet, egal, was die Musik war. Wir haben nicht gesagt, wir müssen eine Hip-Hop-Sektion machen, oder klassische Musik, oder dies oder das. Die Fotografie war Grund Nummer eins", sagt Antoine de Beaupré.
    Er ist Buchhändler für antiquarische Fotobücher und Plattensammler.
    "Ich sammle keine Bücher, ich sammle Platten. Und natürlich, der Zusammenhang ist die Fotografie."
    De Beaupré hat "Total Records" 2015 für eine Fotoausstellung in Arles konzipiert. Jetzt wandern seine Plattencover durch Europa.
    "Wir haben versucht, in dem Raum eine fotografische Logik zu finden. In dem Sinn, dass … der Fotograf sollte durch seine Fotografie identifiziert sein. Das heißt: Man erkennt den Fotografen durch die Fotografie."
    Platten-Nostalgie, Wissen für Fotografie-Fans und wenig Politisches
    Popmusik nicht hören, sondern anschauen. Im Format 31,5 mal 31,5 Zentimeter. Besonders beeindruckend: Die kontrastreichen Schwarz-Weiß-Portraits von Richard Avedon. Jedes Portrait - ein Blick in die gebrochenen Seelen von Pop-Stars wie Joan Baez, Simon & Garfunkel oder Jim Carroll. Oder das Künstlerpaar Grace Jones und Jean-Paul Goude. Goude inszeniert Grace Jones als androgyne übermenschliche Ikone - legendär sein Cover von "Island Life", das Grace Jones mit ausgestreckten Armen und Beinen, in einer anatomisch unmöglichen Körperhaltung zeigt.
    "Das Tolle ist ja, wenn Sie da durchgehen, Sie entdecken dann, wenn Sie lesen, Fotografen-Namen, bei denen Sie sagen: Ach, den Fotografen kenne ich. Ich wusste gar nicht, dass der überhaupt jemals eine Platte gemacht hat! Und das ist so eine Entdeckungsreise. Helmut Newton, Annie Leibovitz, Peter Lindbergh - die haben alle Schallplattencover gemacht!"
    Eine Ansicht aus der Ausstellung "Total Records" im C/O Berlin, die sich sich der Fotografie auf Plattencovern widmet
    Eine Ansicht aus der Ausstellung "Total Records" im C/O Berlin, die sich sich der Fotografie auf Plattencovern widmet (Christoph Möller)
    Was Felix Hoffmann beschreibt, ist der Knackpunkt der Ausstellung: Fotografie-Fans erweitern zwar ihr Wissen. Schön anzuschauen und nostalgisch ist das alles auch. Tiefer geht es aber nicht. Was die Cover über die Zeit, in der sie entstanden sind, erzählen, welche Geschichten hinter den Fotos stehen - bleibt offen. Auch Plattencover mit politischer Message sind in Berlin nicht zu sehen. Platzmangel. Eine Wand jedoch, am Anfang der Ausstellung, ist bildpolitisch interessant: Es geht um Zensur und nackte Haut. Und ein Album der Scorpions aus dem Jahr 1976.
    "Also man kennt es oder hat es noch im Hinterkopf, das Cover von 'Virgin Killer', wo ein junges Mädchen drauf ist, das nackt fotografiert worden ist, und wo quasi davor so ein Glas springt, genau in ihrer Scham", sagt Hoffmann. "Und dieses Plattencover dann eben komplett umgestaltet werden musste, weil es eine große öffentliche Erregung gab."
    In diesem Fall: Vermutlich zu Recht. Das fotografierte Mädchen war erst zehn Jahre alt. Aber auch weniger anstößige Fotografien wurden zensiert.
    "Country Life" von Roxy Music zeigt zwei Frauen in Unterwäsche vor einem Nadelbusch. In den USA wurde das Album zensiert und später neu herausgebracht - ohne Frauen auf dem Cover - sondern nur noch mit Nadelbusch.
    Fokussierterer Blick auf Berliner Ästhetik
    Etwas geordneter wirken die Berliner Exponate von "Total Records".
    "Da haben wir nochmal versucht, so einen Berlin-Teil zu kreieren, wo es um die 'Genialen Dilettanten' geht, um die Frage dieses Aufbruchs in die elektronische Musik in Berlin", so Hoffmann. "Und dann auch den Berührungen wieder mit einem berühmten Fotografen, der in Berlin aktiv war, Jim Rakete. Und dann gibt es eben noch so einen Ausläufer in die Ost-Platten-Region."
    Jim Rakete. Oder: Der deutsche Richard Avedon. Auch Rakete ist bekannt für minimale Schwarz-Weiß-Portraits und fotografierte vor allem Künstlerinnen und Künstler der Neuen Deutschen Welle. Der Berliner Teil der Ausstellung funktioniert auch deshalb besser, weil der Blick fokussierter ist. Es geht nicht um die gesamte Kulturgeschichte des Plattencovers, die immer unvollständig ist - sondern explizit nur um eine bestimmte Berliner Ästhetik. Und die ist technisch, grau, und sonderbar entrückt.
    "Total Records" ist im Ausstellungshaus C/O Berlin zu sehen. Ausstellungszeitraum: 10.12.16 – 23.04.2017