Freitag, 19. April 2024

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Ausstellung "German Angst" in Bonn
Angst - Eine deutsche Gefühlslage?

Die Flüchtlingsproblematik steht am Anfang der Ausstellung "German Angst" im Bonner Haus der Geschichte. Die Ausstellung spüre nicht nur diversen Angstwellen in der deutschen Geschichte nach, sagte Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt im Dlf, sondern zeige auch Wege auf, mit Angst umzugehen.

Thorsten Smidt im Gespräch mit Michael Köhler | 11.10.2018
    "Flüchtlingswelle" Motivwagen des Künstlers Jacques Tilly beim Rosenmontagszug 2016 in Düsseldorf
    "Flüchtlingswelle" - Der Motivwagen des Künstlers Jacques Tilly beim Rosenmontagszug 2016 in Düsseldorf (Jacques Tilly; Stiftung Haus der Geschichte/Axel Thünker)
    Michael Köhler: Angst zu haben und mit Abwehr zu reagieren, ist eine natürliche Reaktion. Sie ist ein Schutzreflex, sie lehrt uns Dinge zu meiden. Mit Angst wird aber auch Politik gemacht. Echte und falsche Ängste werden heraufbeschworen, vergrößert. Man könnte im Zuge der Flüchtlingskrise, sogar von Angstpolitik sprechen. Angst kann man vor Vogelgrippe und BSE haben, aber auch vor den Folgen der Wiedervereinigung oder sozialem Abstieg. Deutsche Grübelei und Zukunftsangst lähmen.

    Thorsten Smidt ist Ausstellungsdirektor im Bonner Haus der Geschichte der BRD. Sie haben sich in ihrer neuen Ausstellung der "German Angst" gewidmet. Ihre Wechselausstellung heißt "Angst. Eine deutsche Gefühlslage." An welche Ängste denken sie, wenn sie von "German Angst" sprechen?
    "Über die Jahrzehnte hinweg immer wieder Angstwellen"
    Thorsten Smidt: "German Angst" ist zunächst eine Zuschreibung, die aus dem angelsächsischen Bereich stammte, in den 80er-Jahren aufgekommen ist, als es hier um die Nachrüstung ging und man sich im Ausland gefragt hat: Was machen die da eigentlich, dass die sich so darüber aufregen, wo es doch eigentlich um Sicherheit geht. Wir versuchen das in einem großen Überblick über die gesamte Nachkriegszeit in den Blick zu nehmen, was Angst in Deutschland bedeutet hat. Das ist sehr spannend zu sehen, dass eigentlich über die Jahrzehnte hinweg immer wieder Angstwellen hochgeschwappt sind. Dann aber auch mehr oder weniger schnell wieder abgeebbt sind, häufig auch zu denselben Themen.
    Köhler: Herr Smidt, Sie vergleichen deutsche Ängste also der verschiedenen jüngeren Jahre, der letzten Jahrzehnte, ist das so richtig?
    Smidt: Ja, genau.
    Köhler: Welche Beispiele führen Sie da auf?
    Smidt: Also wir beginnen die Ausstellung mit dem Thema "Flüchtlingskrise" oder "Flüchtlingsthematik" und springen da von der Jetztzeit oder von den Jahren 15 bis 18 in die frühen 90er-Jahre, um zu zeigen, dass da im Zuge der damals auch sehr deutlich steigenden Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen Debatten hochgekocht sind und Metaphoriken aufkamen, die wir heute wieder erleben. Und die wir damals auf "Spiegel"-Covern gesehen haben und in anderen Presseorganen, die wir heute dann eher am rechten Spektrum bei entsprechenden Parteien finden.
    Ausstellung mit Soundtrack
    Köhler: Es ging wesentlich damals ums Wettrüsten, um die Angst vor atomarer Bedrohung, auch all jene Jahrgänge, die noch die Weltkriegserfahrungen in den Knochen hatten, wussten, was das heißt. Sie schreiben, dass Sie auch Klänge dazu geschaffen haben in Ihrer Ausstellung. Wie muss ich mir das bitte vorstellen, also zu den Bereichen Zuwanderung, Atomkrieg, Umweltzerstörung, Überwachung et cetera?
    Smidt: Wir haben in dieser Ausstellung erstmalig versucht, wenn man so will, einen Soundtrack zu entwickeln. Jeder der vier Ausstellungsräume hat einen eigenen Klangteppich, der von einem Sounddesigner nach einer Regieanweisung, nach einem Drehbuch von uns entwickelt wurde. Das ist jemand, der sonst auch für Film und Fernsehen die Tonuntermalung entwickelt. Wir kennen das ja alle: Wenn wir einen Film schauen, dann ist eine spannende Szene häufig vor allen Dingen auch deshalb spannend. Eine Tür geht auf - ist erst mal nichts Besonderes, wenn sie aber entsprechend untermalt ist, dann steigt der Adrenalinspiegel.
    Das versuchen wir in der Ausstellung, ohne dadurch jetzt ein Gruselkabinett aufzubauen. Sondern wir wollen unseren Besucherinnen und Besuchern nicht nur vor Augen führen, sondern sie erleben lassen, was das bedeutet, dass Angst ein Gefühl ist, dem wir kaum ausweichen können. Dass wir aber damit umgehen können und dass wir, so wie wir das in der Ausstellung versuchen, bei der historischen Einordnung und dann sehen, dass vieles, wovor wir früher einmal geradezu hysterisch Angst hatten als Deutsche, sich ein Stück weit relativiert hat oder dann vielleicht auch unter neuem Vorzeichen wiederkommt.
    Köhler: Warum ist die deutsche Bevölkerung eigentlich für diese Angst, die "German Angst", von der Sie gesprochen haben, also die Zukunftsängste, den Reformstau oder die Reformunwilligkeit so empfänglich?
    Smidt: Das ist eine gute Frage, die wir uns auch jetzt über die zwei Jahre, in denen wir an der Ausstellung gearbeitet haben, immer wieder gestellt haben. Wir haben den Untertitel unserer Angstausstellung ja mit einem Fragezeichen versehen: "Eine deutsche Gefühlslage?" – fragen wir. Man kann das, glaube ich, nur mit einem sehr vorsichtigen Ja, wenn überhaupt, beantworten, dass das nun wirklich so typisch deutsch ist, Angst zu haben. In der Beschäftigung mit den verschiedenen Angstwellen über die Jahrzehnte sieht man schon, dass es eine spezifisch deutsche Eigenschaft ist, vielleicht Dinge, vor denen man auch in anderen Ländern Angst hat, hier etwas emotionaler wahrzunehmen. Und inwieweit das dann mit Kriegserfahrungen, mit Not, mit vielleicht auch ganz konkreten Erlebnissen, wie eben Fliegeralarm, zu tun hat, das ist tatsächlich noch nicht wirklich so untersucht worden, dass man das jetzt fundiert sagen könnte.
    Postvermerk nach Tschernobyl: "Wegen Regen nicht zugestellt"
    Köhler: Gibt es ein Ausstellungsstück, woran Ihr Herz hängt?
    Smidt: Also ein besonders skurriles Objekt ist ein Brief, der durch die Deutsche Bundespost damals befördert wurde, der ist auch ordnungsgemäß abgestempelt, alles wunderbar. Da hat aber der Briefträger dann handschriftlich draufgekritzelt: "Wegen Regen nicht zugestellt". Das war im Jahr 1986 kurz nach Tschernobyl, wo die Hysterie dazu geführt hat, dass also der Briefträger dann nicht mehr auf die Straße gegangen ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.