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Ausstellung im Belvedere
Wiener Künstlerinnen wiederentdeckt

Teresa Feodorowna Ries und Helene Funke sorgten einst in Wiens Kunstszene mit ihren Skulpturen und Bildern für Furore. Sie leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Wiener Moderne und stellten auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen aus. Jetzt sind ihre Werke in der Wiener Kunstgalerie Belvedere zu sehen.

Von Carsten Probst | 26.01.2019
    Akt einer Frau die in den Spiegel blickt
    Helene Funke, Akt in den Spiegel blickend, 1908-1910 (Johannes Stoll © Belvedere, Wien)
    Teresa Feodorowna Ries gehörte im modernen Wien zur Künstlerprominenz. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Frauen generell noch jede Fähigkeit zum plastischen Denken abgesprochen wurde und sie allenfalls nachahmen durften, was Männer ihnen vorgaben, brach die russischstämmige Künstlerin in die männlichste Kunstdomäne überhaupt ein: die Bildhauerei. Da Frauen der Zutritt zur Kunstakademie verwehrt war, ließ sie sich in Wien bei einem Privatlehrer ausbilden, und ihr erster öffentlicher Auftritt in Wiener Künstlerhaus geriet denn auch gleich zu einem Skandal – nicht nur, weil Feodorowna Ries als Bildhauerin auftrat, sondern auch wegen des ausgestellten Werkes, einer Marmorskulptur, die eine nackte "Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht" zeigte. Der Affront gegen das klassische Figurenideal machte sie aber auch schlagartig berühmt, weil sich Gustav Klimt und sogar Kaiser Franz Josef bewundernd über die Figur äußerten. Später wurde Feodorowna Ries ausgewählt, eine Büste des Schriftstellers Mark Twain anzufertigen, und 1928 veröffentlichte sie sogar ihre Autobiografie.
    Mehr als bloßes Beiwerk zu den Arbeiten der Männer
    Auch Helene Funke war zu ihrer Zeit keine Unbekannte. Ursprünglich aus Chemnitz stammend, hatte sie einige Jahre in Frankreich engen Kontakten zu den Fauves gehabt. Als sie dann nach Wien übersiedelte, gehörte sie zu den führenden Malerinnen, die den Frühexpressionismus in Österreich bekannt machten. Funkes Frauenbildnisse sind grandiose, eigenständige Malereien, die nach dem Zweiten Weltkrieg völlig zu Unrecht bis fast zu Beginn der 2000er Jahre vergessen waren.
    Schon diese beiden Beispiele aus der Wiener Ausstellung zeigen, dass es sich keinesfalls um bloßes Beiwerk zu den Arbeiten männlicher Protagonisten der Moderne handelte, sondern um völlig eigenständige Beiträge, die, so Kuratorin Sabine Fellner, zu ihrer Zeit auch durchaus anerkannt waren.

    "Ich glaube, das Erstaunliche an dieser Ausstellung ist nicht die Tatsache, dass es so viele Künstlerinnen gegeben hat, sondern die Tatsache, dass diese Künstlerinnen ein absolutes Standing hatten damals. Sie haben ausgestellt in der Secession, sie haben ausgestellt im Hagenbund, sie haben ausgestellt in den ersten Galerien Wiens, in den Avantgardegalerien, die van Gogh gezeigt haben, die Gauguin gezeigt haben, die Schiele das erste Mal präsentiert haben, und die Frauen haben auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen dort genauso Ausstellungen gehabt. Und das ist eine Tatsache, die weitgehend vergessen wurde."
    Entdeckungen von einzigartiger Qualität möglich
    Vielfach sind also die Künstlerinnen dieser Ausstellung gar nicht neu, sondern vielmehr wiederzuentdecken. Lili Réthi, 1894 in Wien geboren, machte Karriere als Zeichnerin von Maschinenfabriken, Eisen- und Stahlwerken und suchte sich ihre Ansichten des harten Arbeitsalltages direkt vor Ort. Der zeichnerische Duktus ihrer Arbeiten erinnert an Käthe Kollwitz und steigert ihn zu fast monumentaler Wirkung. Oder wie Erika Giovanna Klien, die ursprünglich aus dem Trentino stammte und in Wien zur bedeutendsten Vertreterin des so genannten Kinetismus wurde, eines halbabstrakten Malereistils, der Futurismus, Kubismus und Konstruktivismus vereinte. Von Klien ist der Ausstellung unter anderem eine siebenteilige Malerei eines Spazierganges durch die Großstadt zu sehen, in der sie Formstrenge, Rhythmus und spielerische Leichtigkeit auf einzigartige Weise zusammenbringt.
    Viele andere Ausstellungen widmen sich derzeit zwar ebenso den Künstlerinnen verschiedener Epochen. Doch Kuratorin Sabine Fellner und die Direktorin des Wiener Belvedere, Stella Rollig, arbeiteten schon zu Zeiten am Thema einer geschlechtsneutralen Kulturgeschichte, als diese noch als "Frauenthema" abgestempelt wurde. Dass diese Vorurteile nun endgültig von gestern sind, ermöglicht dem Publikum heute Entdeckungen von einzigartiger Qualität und Eigenheit.