Freitag, 19. April 2024

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Ausstellung im Whitney Museum
"Spilling Over" der 1960er Jahre

Farbe als Metapher und erlebte Wirklichkeit: Das Whitney Museum in New York zeigt unter dem Titel "Spilling Over" wilde Interpretationen von Künstlern der 1960er Jahre, darunter Carmen Herrera, Alex Katz oder Josef Albers. Die Ära des Abstrakten Expressionismus endete mit viel Farbe.

Von Sacha Verna | 31.03.2019
Kenneth Nolands "Plunge" (1958-9), ausgestellt beim Knoedler Gallery Shut Down, Juli 1981.
Kenneth Nolands "Plunge" (1958-9) (imago / United Archives )
Bei Richard Anuszkiewicz scheinen die grünen und blauen Quadrate aus dem Bild herauszutreten und sich dann wieder in den tiefroten Hintergrund zurückzuziehen. Morris Louis hat Rot und Blau, Grün und Gelb direkt auf die Leinwand gegossen, so dass die Farben zum unteren Bildende hin wie Flüsse zusammenlaufen, während zwischen ihnen ein großes Stück des unbearbeiteten Stoffes leer bleibt. Kenneth Noland wiederum lässt waagerechte Farbstreifen dicht an dicht mit der rohen Leinwand verschmelzen - was abwechselnd an einen schimmernden Horizont und ans Testbild eines Fernsehers erinnert. Kurator David Breslin:
"Im Abstrakten Expressionismus ist es um das gegangen, was auf dem Bild geschieht. Bei diesen Werken dagegen ist es wichtig, was außerhalb von ihnen passiert. Diese Künstler benutzen Farbe, um die Betrachter direkt anzusprechen, um ihre Wahrnehmung zu stimulieren und dadurch vielleicht zu verändern."
Bunt, stark konturierte Formen und Flächen
Von den achtzehn Künstlerinnen und Künstlern in dieser Ausstellung werden manche mit der Op-Art in Verbindung gebracht, andere mit der Farbflächenmalerei - wieder andere entziehen sich der Kategorisierung. Zu letzteren gehört der Afroamerikaner Bob Thompson, von dem eines der wenigen figurativen Werke in der Ausstellung stammt. "Triumph of Bacchus" entstand 1964 und zeigt ein ausgelassenes Fest mit gelben Menschen, roten Giraffen und blauen Elefanten. Es ist eine jener Szenen, die Thompson den Ruf einbrachten, er male, wie ein Jazz-Musiker improvisiere.
Die versammelten Arbeiten sind zweifellos alle bunt, mit oft stark konturierten Formen und Flächen. Sie entsprechen auch alle dem, was vor ungefähr dreißig Jahren in einer populistischen Karikatur «moderne Kunst» symbolisiert hätte. Weil diese Gemeinsamkeiten aber doch eine etwas bescheidene Basis für eine thematische Schau bilden, hat man sich beim Whitney Museum eine Prämisse ausgedacht, die hervorragend zum modischen Diskurs über Identität, Inklusion und Diversität passt. Nämlich: Farbe als Metapher und erlebte Wirklichkeit. David Breslin:
"Die Vorstellung von der Wechselwirkung zwischen Farben hat natürlich politische Implikationen. Farbe ist etwas, das wir sehen, sie ist aber auch das, wodurch wir uns definieren."
Mit zeitgeistigem Eifer zusammengerührtes Farbenmeer
So klärt ein Schild neben einem Bild von Kay WalkingStick von 1972 über allerlei von dem auf, was es offenbar impliziert. Danach hat die Künstlerin in einer orangen Silhouette eine Form gefunden, die ihre multiplen Identitäten als Frau, Mutter und Mitglied der Cherokee Nation von Oklahoma umfasst. Zu einer blau gefleckten Leinwand von 1968, die Sam Gilliam wie für ihn typisch vorhangartig drapiert hat, heißt es: Gilliam beweise damit, dass abstrakte Malerei die Erfahrung des Schwarzseins ebenso gut darstellen könne wie die gegenständliche Malerei. Naja: Hätte Josef Albers gewusst, dass er die Betrachter mit seinen Farbstudien auf ihr soziales Umfeld aufmerksam macht, wäre ihm vor Überraschung vermutlich der Pinsel aus der Hand gefallen. Ein Beispiel aus seiner berühmten Serie "Huldigung an das Quadrat" hängt jedenfalls ziemlich verloren in einer Ecke.
Das ist schade. Doch in diesem mit zeitgeistigem Eifer zusammengerührten Farbenmeer sind selbst die sehenswertesten Werke dazu verurteilt, auf Grund zu laufen.