Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Ausstellung in Berlin
Kunst, Geschichte und Verschwörungstheorien

Die Ausstellung "History is a warm gun" des Berliner Kunstvereins zeigt, dass Geschichte nicht unbedingt im Kollektiv wahrgenommen werden muss: Auch individuelle, persönliche Erlebnisse haben historischen Charakter. In der Ausstellung geben Künstler Einblicke in ihre Geschichten.

Von Carsten Probst | 04.03.2015
    "History is a warm gun."
    In Abwandlung eines berühmten Beatles-Titels handelt diese Ausstellung von der Verwendung aktueller Geschichte, buchstäblich also von Geschichte, die noch raucht, für vielfältige Zwecke.
    Die Vermutung, dass ein Ereignis historische Auswirkungen haben werde und man Zeuge von etwas war oder ist, wovon sich noch die Enkel erzählen werden, ist spätestens seit der Wiedervereinigung zum beliebten Sinnstiftungsritual des neuen Bürgertums geworden. Nicht nur das eigene Leben und eigene Ansichten lassen sich damit quasi historisch rechtfertigen, indem man eigentlich alles immer schon vorausgesehen hat. Auch Verschwörungstheorien und wutbürgerliche Untergangsfantasien bezüglich des Abendlandes nähren sich aus solchen Spekulationen. Die verbreitete Annahme, Deutschland sei durch die Wiedervereinigung quasi über Nacht zu einer "ganz normalen Kulturnation" geworden, scheint ganz besonders nachhaltig in den Sinnstiftungshaushalt eingegangen zu sein. Die historische "Stadtreparatur" etwa mittels des Berliner Stadtschlossneubaus beschwört geradezu im 3D-Cineplex-Format die historische Mission von uns Zeitgenossen.
    Insofern ist dies hier das richtige Thema am richtigen Orte: an der historischen Nahtstelle des Kalten Krieges, in der Berliner Chausseestraße, wo der Neue Berliner Kunstverein seinen Sitz hat.
    Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung, allesamt nicht früher als in den Siebzigerjahren geboren, lassen sich klugerweise nicht zu großen Gesten verleiten, wie so manche ihrer Zeitgenossen.
    Eva Könnemann zum Beispiel, Jahrgang 1973, beginnt, scheinbar bescheiden, mit Geschichte im Allerkleinsten: im nordrhein-westfälischen Örtchen Emmelsum, Kreis Dinslaken: 300 Einwohner, ein Ort ohne besondere Sehenswürdigkeiten. Für Fremde also kein Grund sich hier aufzuhalten. Viele Wochen verbringt aber die Künstlerin und Filmemacherin an diesem Ort ohne Eigenschaften, ohne besondere Geschichte, sammelt ihre Eindrücke aus Begegnungen und Gesprächen und bietet sich den Einwohnern damit als Medium ihrer eigenen Alltagsgeschichte an. Und aus Erzählungen und kleinen örtlichen Traditionen entwickelt sich plötzlich eine Geschichte im Kleinen, die einem schlagartig bewusst macht, dass es für Geschichte keineswegs der großen, von allen geteilten Ereignisse bedarf.
    Geschichte als hochindividuelle Angelegenheit
    Dass Geschichte immer eigentlich eine hochindividuelle Angelegenheit ist, unterstreicht auch die in vielen künstlerischen Medien tätige Sonya Schöneberger. Ihr Thema ist die Archäologie, aber nicht etwa von alter, sondern der jüngsten deutschen Geschichte. Zusammen mit dem Künstler Christof Zwiener sammelte Schöneberger auf den heute begrünten Berliner Trümmerbergen Fragmente von Alltagsgegenständen, die man immer noch dicht unter der darüber aufgeschütteten Erde finden kann. Mithilfe eines Experten erscheinen hinter diesen auf den ersten Blick unkenntlichen Bruchstücken plötzlich Alltagsmomente aus der Zeit des Dritten Reiches, Erinnerungsmomente einer verschwindenden Generation.
    Dani Gal, 1975 in Jerusalem geboren und jetzt in Berlin lebend, nähert sich dieser Geschichte von einer anderen, aktuell nach wie vor hochpolitischen Seite: Mit einer Bild- und Text-Recherche in Lifta, einem ehemaligen palästinensischen Dorf am Nordrand Jerusalems, das nach dem Zweiten Weltkrieg durch gezielte Sprengungen der Häuser unbewohnbar gemacht wurde. Die einstigen Bewohner wurden zu Flüchtlingen. Dokumente und Fotografien, die Dani Gal gesammelt hat, spiegeln Weltgeschichte im Kleinen: So erwächst der heutige Ruinenort zu einer Metapher der Geschichte des modernen Israels und des Nahost-Konflikts.
    Oder Claudia Angelmaier: die ebenfalls mit vorgefundenen Materialien arbeitet. Doch die 1972 geborene Göttingerin bedient sich vor allem der allgemein bekannten Bilder und Topoi, etwa Fotografien von Michelangelos David oder der Uta vom Naumburger Dom, die seit jeher zum Grundschatz bildungsbürgerlicher Geschichtsbildung gehören. Angelmaier zeigt die Bilder als das, was sie sind: als Platzhalter für bestimmte Haltungen. Mit leichter perspektivischer Verschiebung gedoppelt und mit Rasterpunkten versehen, wirken sie eigentlich fast wie kleine Warhols. Wie speziell designte Markenprodukte, mit denen sich ein bestimmtes Image kaufen lässt.