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Ausstellung in Darmstadt
Kronjuwelen der Menschheitsgeschichte

Das Hessische Landesmuseum Darmstadt zeigt in der Ausstellung "Expanding Worlds" die Kronjuwelen unserer eigenen Geschichte: Für sechs Wochen können Besucher weltberühmte Hominidenfossilien im Original nebeneinander sehen.

Von Mirko Smiljanic |
    Hessisches Landesmuseum Darmstadt in den Räumen der Sonderausstellung "Expandig Worlds". Schwarz gehaltene Wände, kaum Beschreibungen, ein paar Bilder mit nachempfundenen Szenen aus dem Leben von Früh-und Urmenschen. Dämmerlicht auch in den sechs Häusern, in sich abgeschlossene Räum mit den Exponaten. Fotos von den Entdeckern der Funde, ein paar erklärende Sätze, mehr nicht. Mitten in den kleinen Räumen stehen hell ausgeleuchtete Vitrinen, darin Kissen, auf den Kissen liegen die Ausstellungsstücke.
    "Hier sehen wir das älteste Stück in der Ausstellung, das geologisch älteste, 2,5 Millionen Jahre alt, aus Malawi. Einer unserer eigenen Funde. Das ist mit der älteste Angehörige der Gattung Mensch, der überhaupt existiert."
    Professor Friedemann Schrenk vom Forschungsinstitut Senckenberg ist einer von zwei Kuratoren der Ausstellung "Expanding Worlds". Mit Ehrfurcht zeigt er auf einen schwarz-braunen Unterkiefer, erklärt ein paar anatomische Details, um dann mit wenigen Schritten ein Haus weiterzugehen und dabei 700.000 Jahre Evolution des Menschen zu überbrücken.
    "Wir sehen hier einen Schädel aus Dmanisi. Dmanisi ist eine Fundstelle in Georgien, überhaupt die wichtigste und berühmteste Fundstelle inzwischen in Europa. Das ist ein relativ kleiner Schädel, also ein kleines Gehirn, das bedeutet, die sind sehr alt, ungefähr 1,8 Millionen Jahre alt, die ersten Europäer."
    Dieser Schädel und weitere Funde aus Dmanisi belegen die Expansion früher Hominiden aus Afrika nach Eurasien. Wobei man sich "Expanding Worlds" nicht als geplante und gezielte Wanderung vorstellen dürfe, so Friedemann Schrenk, eher als langsamen und für den Einzelnen kaum spürbaren Prozess. Pro Generation dehnte die Gattung Homo ihren Lebensraum um etwa vier Kilometer aus. Nach 1.000 Generationen beziehungsweise 20.000 Jahren überbrückte sie so 4.000 Kilometer. Die allmähliche Out-of-Africa-Migration erkläre auch, warum der bis vor einigen Jahren noch angenommene Stammbaum des Menschen, sich in einen Stammbusch gewandelt hat:
    "Es gibt ganz viele ursprüngliche Gruppen bei der Gattung Homo, also bei der Gattung Mensch. Ob das nun unterschiedliche Arten sind oder ob das unterschiedliche geografische Varianten sind, das wissen wir zum Teil überhaupt nicht. Was wir wissen, ist, dass zur selben Zeit an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Populationen gelebt haben, die sich kaum vermischt haben. Und deswegen sehen sie ja auch unterschiedlich aus. Das gilt für Afrika, das gilt für Asien, das gilt aber auch, wie wir seit einigen Jahren wissen, für Europa. Denn in Europa gab es vielleicht, drei, vier, fünf, möglicherweise viel mehr Menschenarten, die wir noch gar nicht entdeckt haben."
    Und möglicherweise nie entdecken werden, weil es entweder keine Funde gibt oder vorhandene Funde niemand ausgräbt. Alle Theorien über die Entstehung des Menschen basieren auf fossilen Resten, die problemlos die Ladefläche eines LKW füllen. Trotz dieser mageren Basis kommt die Paläoanthropologie zu erstaunlich breiten und tiefen Erkenntnissen. Erstaunlich sei aber auch, wie unterschiedlich die Interpretationen waren und immer noch sind, so Oliver Sandrock, der andere Kurator von "Expandig Worlds":
    "Es geht auch um die Änderung und Weiterentwicklung von Weltbildern, wie wir Funde beurteilen. Und das Weltbild war zunächst eurozentrisch. Das finde ich wichtig, dass man versucht, den Leuten das zu erklären. Auf der anderen Seite wurde das Weltbild dann asienzentrisch, weil man dann dachte, die konnten ja auf keinen Fall in Afrika leben. Und erst Ende der 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts war es so, dass an dieser Out-of-Africa-Geschichte wirklich was dran war, das heißt, das Out-of-Africa-Bild hat sich erst eher spät entwickelt."
    Zeitleisten mit Daten aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur vermitteln Hintergrundinformationen. Dass zum Beispiel 1884 auf der Berliner Kongo-Konferenz Afrika in Kolonien aufgeteilt wurde und der belgische König Leopold den Kongo als Privatbesitz bekam, ...
    "... und auf der anderen Seite greifen wir die Geschichte dieses Pygmäen Uta Benga auf, der in New York mit einem Orang-Utan ausgestellt wird und als Missing Link verkauft wird, überlegen Sie das."
    Die bekannteste paläoanthropologische Fehlinterpretation betrifft aber einen Fund aus Deutschland, der mit Fug und Recht zum zentralen Kristallisationspunkt der Urgeschichtsforschung avancierte: der Neandertaler.
    "In dieser Vitrine ist der Original-Neandertaler, der 1856 gefunden wurde. Es war das erste Mal, dass ein fossiler Mensch zutage kam, der auch entsprechend interpretiert wurde."
    Allerdings abenteuerlich falsch, so Oliver Sandrock:
    "Es gab zum Beispiel eine Publikation in Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts, die den Neandertaler als total primitives, behaartes, dummes, tumbes, aggressives Wesen beschrieb. Und das hat man einfach übernommen. Wir wissen heute, dass die alles andere als tumbe Toren waren, die waren hochkomplex, hatten ein ganz komplexes Sozialgefüge, hatten alte Menschen – deswegen gibt es ja überhaupt die Alten - bis ins hohe Alter durchgeschleppt. Die waren auch krank, hatten zum Teil keine Zähne, das heißt, sie haben sich um Alte gekümmert, sie haben höchstwahrscheinlich Schmuck getragen, sie haben beerdigt."
    Und sie haben sich mit Homo sapiens vermischt: Vier Prozent des Erbgutes von Europäern stammt vom Neandertaler, so die Resultate neuer DNA-Analysen. So wie sich viele Arten der Gattung Homo im Laufe der Jahrmillionen miteinander vermischt haben. Zu den Botschaften von "Expanding Worlds" zählt: Wir alle sind miteinander verwandt. Und zwar weit enger als es äußere Unterschiede wie Hautfarbe und Körperbau suggerieren. An diesem Punkt erreicht die weit in die Vergangenheit blickende Ausstellung unsere Gegenwart. Die Flüchtlinge aus Afrika sind nichts weiter als Teil des ständigen Austauschs von Menschen über den Globus, so Oliver Sandrock.
    "Die haben natürlich alles Recht der Welt, zu sagen, wir möchten auch einen Teil dessen, weil die Welt gehört auch uns, wir sind eine biologische Art."
    Eine Welt ohne Expansion ist nicht möglich:
    "Die hat es niemals gegeben und die wird es niemals gegeben. Und es werden immer wieder Fremde auf Fremde treffen. Und das ist eigentlich, was wir als ganz wichtigen Punkt in der Ausstellung sehen."