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Ausstellung in Wien
Unscheinbare Schätze auf Leinwand

Sie ist flüchtig, provisorisch und schnell angefertigt und wird seit Jahrhunderten gemalt. Im Wiener Schloss Belvedere würdigt nun eine eigene Ausstellung die Kunstform der so unscheinbaren Ölskizze - und zeigt auch, warum sie so häufig unterschätzt wird.

Von Julian Ignatowitsch | 27.05.2019
Caspar David Friedrich, Abendlicher Wolkenhimmel (1824)
Caspar David Friedrich, Abendlicher Wolkenhimmel (1824) in der Ausstellung "Spontan erfasst. Faszination Ölskizze" in Wien (Belvedere Wien / Johannes Stoll)
Wie eine Feder schwebt die Schleierwolke in Caspar David Friedrichs Ölskizze "Abend" über dem Horizont. Die Sonne ist gerade untergegangen; Land und Bäume liegen im Schatten, darüber mischen sich sanft Gelb-, Violett- und Blautöne zu einer stimmungsvollen Dämmerung. "Hier ging es ihm rein um das Lichtphänomen: bewölkter Himmel und untergehende Sonne", sagt der Kurator der Ausstellung Rolf H. Johannsen. Das 20 mal 27,5 Zentimeter große Bild ist das Herzstück der Schau. Laut Johannsen hat Caspar David Friedrich die Skizze mit der Pinselrückseite datiert. Und hinzugeschrieben: "Abend, September, 1824". Für den Kurator der erste Hinweis darauf, dass es sich um eine Skizze handele.
Auf eine standesgemäße Signatur (in Farbe) verzichtete der berühmteste deutsche Romantiker in diesem Fall, ging es ihm doch um eine flüchtige Illustration, nur für sich selbst, und ohne den Gedanken der Exposition. Wie ein Merksatz oder Aphorismus in einem Notizbuch. Fast 200 Jahre später hängt das Bild nun doch im Museum.
Flecke werden zu Kühen
"Ich glaube, der Reiz der Skizze liegt im Unmittelbaren", sagt Johannsen. "Die Reflektionsebenen fallen weg, man ist viel dichter dran und kann einen Pinselstrich verfolgen. Zwei Flecke werden plötzlich zu zwei Kühen."
Wie bei Wilhelm Busch, der regelmäßig Ölskizzen malte, sich selbst als Rotmantel im Wald neben Kühen ins Bild setzte und das Ergebnis gerne lapidar als "Geschmier" bezeichnete. Ist es natürlich nicht!
Der Blick auf diese scheinbar unfertigen Bilder hat sich verändert. Die Ausstellung in Wien zeigt in den drei Kapiteln "Wolke - Landschaft - Figur", welche Könnerschaft und Spontanität hinter den Bildern stecken. Sie bedient sich dazu überwiegend österreichischer Maler wie Emil Jakob Schindler, Theodor von Hörmann oder Tina Blau.
Gleichzeitig macht sie chronologisch die Umbrüche der Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert deutlich - von der Romantik Caspar David Friedrichs zum Realismus und Biedermeier des Dichtermalers Adalbert Stifter bis hin zum Historismus eines Hans Canon.
Der Maler geht in die Natur und skizziert einfach
Ölskizzen, seit dem 16. Jahrhundert beliebte Arbeitspraxis, dienten anfangs in erster Linie als Orientierungspunkt, Kommunikationsmittel und Vertragsgrundlage. Peter Paul Rubens beispielsweise setzte sie regelmäßig ein, um seine Ideen zu überprüfen und an Auftraggeber zu vermitteln. Diesen Aspekt klammert die Ausstellung aus, was etwas schade, aber aus Platzmangel notwendig ist. Dafür konzentriert sie sich ganz auf die Zeit kurz vor Beginn der modernen Kunst: Denn im 19. Jahrhundert wird die Ölskizze autonom, erklärt Rolf H. Johannsen: "Das heißt: Sie entsteht, ohne dass ein Auftrag im Hintergrund ist, sondern der Maler geht in die Natur und skizziert einfach - aus Spaß an der Freude, oder weil ihn gewisse Naturphänomene interessieren."
Neue Transportwege, sprich: Züge, die die Fahrt aufs Land erleichterten, sowie die Ölfarbtube machten die Ölskizze auch in praktischer Hinsicht zu einer populären Fingerübung. Die Abgrenzung von Skizze und Studie legt die Schau großzügig aus, indem sie Letztere als Teil Ersterer begreift. So sind auch Entwürfe nebst den daraus entstandenen Gemälden zu sehen, wie zum Beispiel Schindlers "Moorlandschaft bei Lundenburg". Die größte "Skizze" der Ausstellung ist schließlich fast 2 x 2 Meter groß. Hans Makarts "Sieg des Lichtes über die Finsternis" sollte das Treppenhaus im Kunsthistorischen Museum dekorieren, wurde aber nie vollendet, weil er vorher starb.
Impressionismus verliert Interesse an der Skizze
Anfang des 20. Jahrhunderts verliert die Ölskizze dann mit dem Impressionismus ihre Bedeutung, weil plötzlich generell schemenhaft, skizzenartig und mit Alltagsmotiven gearbeitet wird. Hörmanns bunt-getupftes "Am Flussufer" unterscheidet sich, so gesehen, auch nur durch das kleine Format: "Wenn man so will, ist der Impressionismus eine ins Großformat gebrachte Ölskizze", so der Kurator Rolf H. Johannsen.
In der zeitgenössischen Kunst findet die "klassische" Handskizze so gut wie gar nicht mehr Verwendung. Dafür werden die gut erhaltenen Stücke aus dem 19. Jahrhundert heute teils hoch gehandelt. Friedrichs "Abend", damals natürlich nicht für den Verkauf gedacht, dürfte heute wohl eine sechsstellige Summe erzielen.