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Ausstellung
Nackte Körper in der Renaissance

Adam und Eva, der Heilige Sebastian und Nackte, die fröhlich herumtollen: Eine Ausstellung in der Royal Academy in London zeigt den Akt in der Kunst um 1500. Männer- und Frauenakte sind gleichermaßen vertreten - das sorgte im Vorfeld für eine kleine Kontroverse.

Von Hans Pietsch | 06.03.2019
 Ausstellung "Der Akt in der Renaissance" in der Royal Academy in London
Besucher vor dem Gemälde "Der Heilige Sebastian" (um 1500-02) von Cima de Conegliano in der Royal Academy (imago / ZUMA Press / Stephen Chung)
Die nackte junge Frau steht bis zu den Schenkeln im Wasser, neben ihr schwimmt eine Muschel, auf der sie über die Wellen geglitten ist. Versonnen trocknet sie sich die Haare, mit dem Blick nach links, als wisse sie nicht, dass sie beobachtet wird. Die Erotik der Szene wird noch dadurch verstärkt, dass eine Locke zwischen ihre Brüste gefallen ist.
Wenn man an den Akt in der Renaissance denkt, dann denkt man auf Anhieb an Michelangelos David oder Botticellis Geburt der Venus. Oder eben an Tizians Venus Anadyomene, mit der der Venezianer dem berühmten, verlorengegangenen Gemälde des antiken Malers Apelles seinen Tribut zollen wollte.
Komplexe Renaissance
Doch nicht nur die italienische Renaissance widmete sich dem Akt. In Nordeuropa tat sich gleichzeitig Ähnliches, wie Kurator Per Rumberg von der Royal Academy erläutert:
"Die Ausstellung pendelt zwischen dem Süden und dem Norden hin und her. Wir wollen zeigen, dass es neben dem klassischen italienischen Akt auch anderswo Ähnliches gab. Die Renaissance war viel komplexer, als wir oft annehmen."
Als ein Höhepunkt der nordeuropäischen Aktdarstellung galt schon immer Albrecht Dürers berühmter Stich Adam und Eva, der die beiden in dem Augenblick zeigt, da sie den verbotenen Apfel pflückt. Lucas Cranach der Ältere malte das Paar gleich mehrmals, und auf dem "Jüngsten Gericht" des Niederländers Dierick Bouts schreiten die Seligen bekleidet ins Paradies, während die Verdammten nackt in die Hölle stürzen.
Heiliger Sebastian als Liebhaberporträt?
Durch die gesamte Schau zieht sich die Figur des Heiligen Sebastian, dessen Märtyrertum die Stärke seines Glaubens dokumentiert. Der Körper gespickt mit Pfeilen, Blut fließt an ihm herunter. Doch immer mehr wird aus dem Leidenden ein Held, bis ihn dann Agnolo Bronzino als kecken Jüngling malt, sitzend, wie auf einem Porträt. Der Pfeil, der in seine linke Seite eingedrungen ist, scheint nebensächlich. Ist es vielleicht das versteckte Porträt eines vom Auftraggeber angebeteten jungen Liebhabers?
Ganz besonders gelungen ist der Raum mit den Studien des nackten Körpers. Genaue Vermessungen des Körpers von Cesare Cesariano, aber auch von Dürer, ein männlicher Akt von Michelangelo mit an den Rand des Blattes geschriebenen Körperproportionen. Und vor allem eine anatomische Studie von Leonardo, der Schulter und Nacken eines Mannes seziert und gezeichnet hat. Anticos Bronzestatue von Herkules und Antaeus zeigt die Früchte solcher Studien. Jeder angespannte Muskel der beiden Kämpfenden ist zu sehen - wenn man um sie herumgeht, bringt jeder Blickwinkel eine neue Überraschung.
Kritik an Kuratoren
Im Vorfeld der Ausstellung war es zu einer kleinen Kontroverse gekommen: Eine Londoner Zeitung warf den Kuratoren politische Korrektheit im Zuge der #MeToo-Bewegung vor. Sie hätten bewusst eine Balance zwischen männlichen und weiblichen Akten hergestellt. Noch einmal Per Rumberg:
"Die Ausstellung wurde lange vor der #Me-Too-Bewegung konzipiert. Und wenn man sich anschaut, was aus der Zeit überlebt hat, dann sieht man, dass der männliche und der weibliche Akt gleich stark vertreten sind."
Die hochakademische Ausstellung ist gleichzeitig ein wahrer Augenschmaus, und das nicht nur wegen Tizian und Dürer. Piero de Cosimos Satyr, der den Tod einer Nymphe beweint, ist von großer Zärtlichkeit, auf seiner Entdeckung des Honigs durch Bacchus toben Nackte fröhlich herum, Perugino malt den tödlichen Zweikampf von "Venus und Diana", Antonio Pollaiuolo zeigt eine Horde junger Männer, die sich gegenseitig abschlachten. Man braucht starke Nerven. Die Gewalt, die nackten Menschen angetan wird, ist manchmal schwer zu ertragen. Was man als Künstler mit dem nackten Körper nicht alles anstellen kann!