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Vor 150 Jahren
Suzanne Valadon entmystifizierte die Aktmalerei

Sie arbeitete als Modistin, Artistin und als Modell für Renoir und Toulouse-Lautrec: Suzanne Valadon. Dann begann sie, selbst zu zeichnen, zu malen und hatte für eine Frau Ende des 19. Jahrhunderts Erfolg. Heute ist ihr Werk allerdings so gut wie unbekannt - auch wenn Valadon die Aktmalerei entmystifizierte.

Von Carmela Thiele | 23.09.2015
    Das Bild "La femme aux bas blanc" von Suzanne Valadon
    Das Bild "La femme aux bas blanc" von Suzanne Valadon (AFP - PHILIPPE MERLE )
    Zahllose Künstlerinnen blieben unbekannt. Und sollte eine unter ihnen gewesen sein, deren Namen sich im kollektiven Bewusstsein dennoch verankert hat, dann meist aufgrund ihres persönlichen Schicksals. Dies trifft vor allem auf Suzanne Valadon zu, Malerin in Paris, vielleicht eine der besten Frankreichs, wie sie selbst im Alter kämpferisch postulierte. Sie hatte nur wenig Förderer, doch einer der Besten erkannte ihr Talent: Edgar Degas.
    "Von Zeit zu Zeit betrachte ich Ihre Rötelzeichnung in meinem Esszimmer, die dort immer noch hängt. Und ich sage mir immer, diese Teufelin Maria war ein Zeichengenie. Warum zeigen Sie mir nichts mehr? Ich gehe auf die 67 zu. Alles Gute für Sie, Degas."
    Mit 25 Jahren stellt sie erste Zeichnungen aus
    Degas nannte Valadon bei ihrem Geburtsnamen: Marie, eigentlich Marie-Clémentine. Am 23. September 1865 kam die Künstlerin als Tochter einer Wäscherin nördlich von Limoges zu Welt. Die Mutter zog mit dem unehelich geborenen Kind nach Paris, wo das Mädchen früh zum Lebensunterhalt beitragen musste, - als Modistin, als Gelegenheitsarbeiterin, als Zirkusartistin. Im Alter von 16 Jahren fand sie einen Broterwerb, der ihr gefiel. Sie wurde Maler-Modell, bei Puvis de Chavannes, bei Pierre-Auguste Renoir, bei Henri Toulouse-Lautrec. Der klein gewachsene Baron war es auch, der ihre ersten Zeichnungen entdeckte. Er gibt Valadon einen neuen Namen, Suzanne, und empfiehlt sie weiter. Degas schließlich nimmt sich ihrer an, bringt ihr die Radiertechnik bei, macht sie mit Händlern bekannt. Im Alter von 25 Jahren stellt sie erste Zeichnungen aus, sie lebt am Montmartre, gehört zur Bohème.
    "Liebe kleine Biqui - Kann unmöglich aufhören, an dich zu denken; ...; überall sehe ich nur deine liebreizenden Augen, deine sanften Hände und deine Kinderfüße. Ich küsse dich auf's Herz, Erik Satie."
    Der Komponist ist verliebt, sie hingegen hat keine Illusionen mehr, ist bereits Mutter eines kleinen Jungen. Aber sie malt ein Porträt von Satie, ihr erstes Ölbild. 1892 ist aus der Zeichnerin eine Malerin geworden. Es folgen Stadtlandschaften, ein Zirkusbild, Selbstporträts, Akte.
    "In dieser Beschäftigung mit dem Akt ist sie wirklich eine Pionierin gewesen, sie hat diesen Akt nie idealisiert, sondern sie hat den Körper gezeichnet, wie er ist, in einem rigorosen Realismus", sagt die Kunsthistorikerin Karoline Hille, die sich intensiv mit Künstlerinnen der frühen Moderne befasst hat.
    Suzanne Valadon malte bis ins hohe Alter wie besessen. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die nächtlichen Straßenszenen ihres Sohnes Maurice Utrillo später Spitzenpreise erzielen sollten, während sie wenig verkaufte. Der junge Mann war schwerer Alkoholiker, mit der Malerei hatte Valadon eigentlich nur versucht, ihn zu therapieren. Sie wohnten zusammen. 1909 kam Maurices Freund, der Maler André Utter, dazu. Er war 23 Jahre jünger als Suzanne Valadon und wurde ihre letzte große Liebe.
    "Dass sie sich ihren Geliebten zum Modell genommen hat, das war ja auch eine ganz außergewöhnliche Geschichte. Da ist sie ihrer Zeit weit voraus."
    Valadon malte ein gleichberechtigtes Paar
    Sie malt sich und Utter als Adam und Eva, um 1909 ist das skandalös! Sie führt uns ein gleichberechtigtes Paar vor. Beide greifen nach dem verbotenen Apfel, beide sind am Sündenfall beteiligt. Die in Ocker, Orange und Grün modellierten jungen Körper wirken wie bekleidet vom Licht. Durch ihre Farbigkeit scheinen sie Teil der Landschaft zu sein, beide Figuren sind leicht geneigt, wie der Apfelbaum hinter ihnen. Bevor Valadon das Gemälde mehr als zehn Jahre nach seiner Entstehung ausstellen durfte, musste sie das Geschlecht Adams hinter Feigenblättern verbergen. Indem sie jedoch eine übertrieben große Girlande über seine Lenden legte, wirkte die Zutat wie ein ironischer Kommentar.
    Suzanne Valadon starb 1938 in Paris. Sie entmystifizierte die Aktmalerei, vor allem den weiblichen Akt. Statt Projektionsfläche männlicher Fantasien zu sein, erschien der entblößte Körper nun auf der Leinwand als das, was er ist: pulsierend, metabolisch, vital.