Donnerstag, 25. April 2024

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Ausstellung "Shared History"
Deutsch-jüdische Geschichte im Bundestag

Seit mindestens 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Deutschland. Im Festjahr 2021 wird dieser gemeinsamen Geschichte gedacht - auch mit einer Ausstellung im Bundestag. Sie erzählt von dunklen Kapiteln, aber auch von Zeiten des friedlichen Miteinanders.

Von Pia Behme | 27.01.2021
Die Ausstellung „Shared History“ über 1700 Jahre jüdisches Leben im deutschsprachigen Raum, die das Leo Baeck Institute New York | Berlin (LBI) im Auftrag des Deutschen Bundestages erarbeitet hat.
1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland - Blick in die Ausstellung "Shared History" im Bundestag (DBT/Simone M. Neumann)
Im Foyer des Paul-Löbe-Haus ist an diesem Morgen wenig los. Vereinzelt eilen Handwerkerinnen udn Handwerke, Verwaltungsangestellte und Journalistinnen udn Journalisten durch die große Eingangshalle - vorbei an der "Shared History"-Ausstellung, die dort in der Mitte aufgebaut ist. Manchmal bleibt jemand kurz stehen und wirft einen Blick auf die Glastafeln, die mit dicken silbernen Stangen verbunden sind.
Wer an diesem silbernen Zeitstrahl entlang spaziert, trifft auf Abbildungen von Objekten, die für die deutsch-jüdische Geschichte stehen sollen. Eine gemeinsame Geschichte, die mindestens 1700 Jahre alt ist. Eine der ersten Glastafeln zeigt ein Dekret des römischen Kaisers Konstantin des Großen aus dem Jahr 321. Es ist das erste Dokument, das eine jüdische Gemeinde im Gebiet des deutschsprachigen Raums erwähnt. Konstantin antwortet darin auf eine Forderung des Stadtrats von Köln und erlaubt, auch Menschen jüdischen Glaubens zur Ausübung öffentlicher Ämter zu verpflichten.

"Holocaust keine historische Zwangsläufigkeit"

Ein Goldohrring aus dem 11. Jahrhundert soll nahelegen, dass Juden und Christen gemeinsam in den Goldschmieden Kölns arbeiteten. Ein Gewürzturm, der im 18. Jahrhundert für die Hawdala-Zeremonie am Ende des Schabbats genutzt wurde, soll von christlichen Handwerkern hergestellt worden sein. Und mit der Entwicklung des Syphilis-Medikaments "Salvarsan" gelang dem jüdischen Arzt Dr. Paul Ehrlicher Anfang des 20. Jahrhunderts eine medizinische Sensation.
Deutsch-jüdische Geschichte ist eben nicht nur der Holocaust, betonte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner Ansprache zur virtuellen Eröffnung der Ausstellung:
"Wir werden weder den Toten noch unserer gemeinsamen Geschichte gerecht, wenn wir die Geschichte jüdischen Lebens allein als Vorlauf zur Vernichtung lesen. Der Holocaust war keine historische Zwangsläufigkeit. Und trotz vieler Rückschläge und eines immer wieder aufkeimenden Antisemitismus, zeigt die Ausstellung auch lange Zeiten des friedlichen Miteinanders."

Holocaust als deutlicher Bruch

Doch die Exponate, die ein Miteinander darstellen sollen, zeigen oft auch ein Gegeneinander. Die gemeinsame Arbeit in den Goldschmieden lässt sich nur herleiten, weil sie schließlich verboten wurde. Die Alte Synagoge Erfurt erinnert an Jahrhunderte jüdischer Präsenz im Herzen der Stadt, doch wurden hier im Jahr 1349 Jüdinnen und Juden während eines Schabbat-Gottesdienstes getötet.
Der Holocaust zeigt sich als deutlicher Bruch im silbernen Zeitstrahl der Ausstellung. Eine schwarze Wand stoppt die Betrachter*innen. An den Exponaten aus den 1930er- und 40er-Jahren lässt es sich nicht so einfach entlanggehen. Da ist die selbstgemalte, bunte Landkarte der Flucht des zwölfjährigen Fritz Freudenheim, der 1938 Nazideutschland mit seiner Familie verlassen musste. Da ist die Puppe der kleinen Inge Pollak, die ein Jahr später ohne ihre Eltern aus Österreich flüchtete. Da ist der gelbe sogenannte "Judenstern" - das Symbol der Judenverfolgung, das in einer Fabrik produziert wurde, die die Nationalsozialisten jüdischen Eigentümern enteignet hatten.
Die deutsch-jüdische Geschichte endet hier nicht. Der silberne Zeitstrahl führt weiter zur Simson-Schwalbe in den 1950ern, zu jüdischen Veteranen der Roten Armee in Frankfurt und zu einem Stolperstein für Anne Frank in Aachen.

"Deutschland nicht immun gegen Judenhass"

"Auch heute, 76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, wissen die meisten Menschen in Deutschland kaum etwas über das Judentum. Gerüchte kennen sie dagegen viele, die meisten sind falsch."
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, verbindet mit der "Shared History"-Ausstellung das Ziel, Menschen in Deutschland das Judentum näher zu bringen. Die Geschichte habe gezeigt, dass Nicht-Wissen über eine Minderheit zu Vorurteilen, Ausgrenzung und Hass führe:
"Wir bräuchten dringend auch einen Impfstoff gegen Antisemitismus. Der ist leider noch nicht fertig. Trotz der Schrecken der Shoa ist Deutschland nicht immun gegen den Judenhass. Mit dem Festjahr kommen wir allerdings der Herdenimmunität beim Antisemitismus hoffentlich doch einen kleinen Schritt näher."