Freitag, 29. März 2024

Archiv

Ausstellung zum Thema "Ausgrenzung"
"Es ist kein Gleis nach Auschwitz gelegt"

Wie schließt eine Mehrheit eine Minderheit aus? Das fragt das NS-Dokumentationszentrum München in seiner neuen Ausstellung. Ohne die Singularität des Holocaust infrage zu stellen, will Kuratorin Barbara Staudinger die gesellschaftlichen Mechanismen offen legen, die zu Hass und Ausgrenzung führen.

Barbara Staudinger im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 29.05.2019
Unbekannte legten im Winter 2006/2007 einen Schweinekopf mit "Judenstern" vor dem Chemnitzer Restaurant Schalom ab
Unbekannte legten im Winter 2006/2007 einen Schweinekopf mit "Judenstern" vor dem Chemnitzer Restaurant Schalom ab (NS-Dokumentationszentrum München © Privatbesitz Uwe Dziuballa)
Stefan Koldehoff: Freiheit heißt Miteinander: Unterschiede akzeptieren, manchmal auch einfach nur tolerieren, darüber diskutieren. Einer der Orte, an denen das stattfindet, ist die Bürgergesellschaft, die "polis" - die Stadt. Nun wird ab morgen im NS-Dokumentationszentrum in München eine Ausstellung zu sehen sein, die den Titel "Die Stadt ohne" hat. Und darunter steht auf dem Plakat "Juden. Ausländer. Muslime. Flüchtlinge". Dieser Titel bezieht sich auf eine Romanverfilmung von 1924: "Die Stadt ohne Juden" - damals noch eine Satire auf den natürlich längst grassierenden Antisemitismus in Wien: Polarisierung, Ausgrenzung, Vertreibung der angeblichen Feinde der ach so gesunden Volksgemeinschaft. Klingt schlimm aktuell, und deshalb habe ich die Kuratorin, Barbara Staudinger, am Nachmittag gefragt, ob das der Grund für die Ausweitung des Themas war.
Barbara Staudinger: Das Thema der Ausstellung ist: Wie schließt eine Mehrheitsgesellschaft eine Minderheit aus? Damals in den 20er-Jahren war es klar: Die Minderheit, die ausgeschlossen werden soll, die die Sündenböcke für alles sind, sind die Juden. Heute sind es auch noch die Juden, aber es sind auch die Ausländer, die Flüchtlinge, die Muslime, gegen die gehetzt wird.
Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung
Koldehoff: Nun habe ich gelernt und beherzige das auch bis heute, weil ich es verstehe: Die Verfolgung und der Mord an den Juden - das war etwas Singuläres, etwas Einzigartiges. Machen Sie es kleiner, wenn Sie es jetzt in aktuelle Kontexte stellen?
Staudinger: Nein, überhaupt nicht. Wir setzen nichts gleich. Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung. Wer - und das hat auch Michael Köhlmeier neulich gesagt – den Nationalsozialismus mit irgendetwas gleichsetzen will, hat nicht alle Tassen im Schrank. So hat er es, glaube ich, formuliert, und das würde ich so auch voll inhaltlich unterschreiben.
Aber das heißt nicht, dass man nicht einen Vergleich ziehen kann, wenn es darum geht, wie gesellschaftliche Mechanismen funktionieren, die Menschen dann dazu bringen, Sündenböcke zu kreieren, gegenüber denen die Empathie zu verlieren und schließlich deren Ausschluss zu fordern.
Drohbriefe an Hans Rosenthal
Koldehoff: Wie visualisiert man so etwas? Was können Sie zeigen in einer Ausstellung?
Staudinger: Wir sind Ausstellungsmacher, Andreas Brunner, Hannes Sulzenbacher und ich, die versuchen, verschiedene Objekte zu finden, die für mehr stehen als für nur die eine Objektgeschichte. Wir haben - und das haben wir in der Ausstellung absichtlich vermischt - nicht nur den Apparat der großen Politik dargestellt, sondern auch Einzelinitiativen, kleine Gehässigkeiten wie zum Beispiel die vielen, vielen Hass- und Drohbriefe, die Hans Rosenthal bekommen hat, der da auch als Sündenbock für alles fungiert, der aber auch versucht hat, sich zu wehren dagegen - hin und wieder ist es ihm auch gelungen -, der aber auch die antisemitischen Zuschriften gesammelt hat.
Wir zeigen aber auch zum Beispiel die Anschläge der NSU. Wir zeigen einen Stein aus der Grundmauer des Hauses in Solingen, das abgebrannt wurde. Wir zeigen Aufkleber im öffentlichen Raum, der Hass verbreitet, über Graffities bis hin zu Wahlplakaten.
Koldehoff: Der Roman von 1922, der Film von 1924 konnten dieses Thema noch mehr oder weniger satirisch angehen und enden versöhnlich. Die Juden kehren zurück in die Stadt. Wie endet Ihre Ausstellung?
Filter der Schoa vor unseren Augen
Staudinger: Hugo Bettauer hat einen Roman, eine Satire auf den Antisemitismus seiner Zeit geschrieben. Er hat es überspitzt und er konnte nicht ahnen, was passierte. Es ist kein prophetischer Roman. Wir wissen es, was passiert ist. Wir haben sozusagen den Filter der Schoa vor unseren Augen.
Der Film und das Buch enden positiv. Nachdem die Juden vertrieben wurden, verdorft und verelendet die Stadt intellektuell wie auch wirtschaftlich. Durch eine List kommen die Juden wieder zurück und der erste Jude wird dann begrüßt mit "Mein lieber Jude". So endet der Film, und unsere Aufgabe ist es, auf der einen Seite den Vergleich auch enden zu lassen zu heute. Es ist kein Gleis nach Auschwitz gelegt. Man kann jederzeit abbiegen. Auf der anderen Seite aber auch den historischen Teil der Ausstellung fertig zu erzählen mit dem Mord an Hugo Bettauer, der in Österreich das erste Opfer der Nationalsozialisten war, 1925 ermordet wurde, und schließlich der Schoa.
Ganz am Schluss machen wir noch einmal eine Klammer zu Hugo Bettauer und gehen da der Frage nach, was hatte er gemacht und wie würde man das heute übersetzen. Er hat eine politische Satire geschrieben, und Christoph Schlingensief hat 2000 eigentlich ganz etwas Ähnliches gemacht: eine Satire auf die Ausländerfeindlichkeit unserer Zeit mit der Aktion "Bitte liebt Österreich". Man könnte da auch sagen, vielleicht war es prophetisch. Aber nein: Er hat die Ausländerfeindlichkeit seiner Zeit überzeichnet und vor allem mit in die Stadt geholt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.