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Studie
Jeder zweite EU-Bürger sieht Antisemitismus als Problem

Die Hälfte der EU-Bürger empfindet Antisemitismus als Problem in ihrem Land. Das hat eine Studie der EU-Kommission zur Wahrnehmung von Antisemitismus innerhalb der Europäischen Union ergeben. Als besonders problematisch wird die Leugnung des Holocaust wahrgenommen.

Von Ramona Westhof | 23.01.2019
    Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus!" prangt an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg.
    90 Prozent der jüdischen EU-Bevölkerung gaben an, einen Anstieg von Antisemitismus in ihrem Land wahrzunehmen. (picture alliance / dpa/ Arne Dedert)
    Die Studie wurde im Jüdischen Museum in Brüssel vorgestellt. Dort waren 2014 bei einem Anschlag vier Menschen ums Leben gekommen. Pacale Alhadeff, Direktorin des Museums, betonte, dass die Studie nicht nur helfen könne, Antisemitismus sichtbarer zu machen, sondern vor allem Diskriminierung gegen Juden besser zu bekämpfen. Dies sei dringend notwendig: "Es gibt in der EU weiterhin Antisemitismus und er ist verstörend alltäglich geworden. Antisemitismus tötet wieder, in Europa, heutzutage. Der terroristische Anschlag auf das jüdische Museum 2014 richtete sich gegen Juden, aber auch gegen Kultur und gegen Demokratie."
    Für die Eurobarometer-Umfrage zur Wahrnehmung von Antisemitismus wurden im vergangenen Dezember knapp 28.000 Menschen aus allen EU-Staaten befragt. Die Hälfte von ihnen gab dabei an, dass sie Antisemitismus für ein Problem in ihrem Land halten. Etwa ein Drittel der Befragten fand zudem, dass in ihrem Land der Antisemitismus in den letzten Jahren zugenommen habe. Diese Einschätzung unterscheide sich deutlich von der der jüdischen Bevölkerung, betonte EU-Justizkommissarin Vera Jourova. Das zeige der Vergleich mit einer Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte, bei der - ebenfalls im Dezember - nur die jüdische Bevölkerung in zwölf EU-Staaten befragt wurde. Dort gaben etwa 90 Prozent an, sie nähmen einen Anstieg des Antisemitismus wahr.
    "Vielfältigkeit der jüdischen Kultur schützen"
    Der Kampf gegen Antisemitismus sei Teil des Grundverständnisses der Europäischen Union, betonte Jourova. Niemand dürfe in Europa Angst haben, eine Kippa zu tragen oder in die Synagoge zu gehen: "Die Europäische Union basiert auf Respekt für Werte wie Menschenwürde, Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Wir sind dazu verpflichtet, die Vielfältigkeit der jüdischen Kultur und ihren Beitrag zu Europa zu schützen und zu stärken."
    Die Studie der EU-Kommission untersuchte auch, wie sich verschiedene Faktoren auf die Wahrnehmung von Antisemitismus auswirken. Befragte, die sich einer Minderheit zugehörig fühlen, gaben zu 60 Prozent an, Antisemitismus als Problem wahrzunehmen. Ebenso scheint das Problembewusstsein stärker zu sein in Ländern, in denen es größere jüdische Gemeinden gebe, so EU-Justizkommissarin Jourova:
    "Um genau zu sein: Schweden, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Italien, das Vereinigte Königreich und Belgien. Das Bewusstsein ist also größer in diesen Ländern, wo viele Menschen angeben, dass sie jüdische Freunde haben. In Schweden sind das etwa 45 Prozent der Befragten. Oder in Ländern, in denen es Angriffe auf die jüdischen Gemeinden gab, über die in den Medien berichtet wurde."
    Leugnung des Holocaust besonders problematisch
    In Deutschland sehen etwa zwei Drittel der Befragten Antisemitismus als Problem, in Frankreich gut 70 Prozent, in Schweden über 80. Eine Form des Antisemitismus wird als besonders problematisch wahrgenommen, so Jourova. Aber auch hier sei die Diskrepanz zwischen jüdischer Bevölkerung und Allgemeinbevölkerung groß:
    "Von allen Formen des Antisemitismus wird die Leugnung des Holocaust auch von der allgemeinen Bevölkerung als besonders problematisch wahrgenommen. Dabei gilt: Je geringer die Bildung, desto geringer das Bewusstsein. Bildung ist der Schlüssel."
    EU-weit gaben etwa 40 Prozent an, der Holocaust müsse in der Schule stärker thematisiert werden. In Deutschland sagten dies 36 Prozent. Über ein Drittel gab an, nicht zu wissen, ob es in Deutschland erlaubt sei, den Holocaust zu leugnen oder nicht.