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Ausstieg aus Atomenergie

Gerner: Die Energiebetreiber können nach den gestrigen Konsensgesprächen eigentlich zufrieden sein. Gleichwohl hat die Atomindustrie gestern neue Bedingungen für einen langfristigen Ausstieg formuliert. Am Telefon ist Gerhard Goll, Chef von Energie Baden-Württemberg und Teilnehmer an den Konsensgesprächen auf seiten der Energiebetreiber. Herr Goll, der Chef der Viag hat gestern abend gesagt, die Atomkraftwerke müßten noch mindestens 40 Volllastjahre laufen. Mit den Grünen ist das nicht zu machen. Wollen Sie die rot/grüne Koalition zum Platzen bringen?

    Goll: Wir haben die Interessen unserer Branche zu vertreten, und es ist nicht unsere Aufgabe, Politik zu machen. Ich kenne die Äußerung von Herrn Simson nicht. Ich weis aber, daß unsere Branche von Anfang an die Auffassung vertreten hat, daß unsere Anlagen auf zirka 40 Volllastjahre angelegt sind. Das weis übrigens auch die Bundesregierung, und das ist die Basis unserer Position, von der wir wissen, daß sie eigentumsrechtlich und damit auch grundgesetzlich geschützt ist.

    Gerner: Aber was ist da noch Ausstieg?

    Goll: Wir haben von Anfang an gesagt, daß unsere Ausgangsposition unsere Eigentümerposition ist. Die Regierung hat gesagt, daß ihre Position diejenige ist, daß sie die politische Macht auf Zeit hat. Und so wie wir vor einigen Tagen unterschiedliche Positionen vorgefunden haben, die nicht zusammengepaßt haben, zu denen wir aber am Ende doch einen einvernehmlichen Weg gefunden haben - ich meine nämlich die Frage, wann der Entsorgungsgrad Wiederaufarbeitung beendet wird -, so wollen wir auch diese Frage in den Konsensgesprächen behandeln. Wir haben ein Interesse an einem ungestörten Betrieb unserer Anlagen und sind von dieser Interessenlage her gegebenenfalls bereit, auf ein Stück unserer Eigentümerposition zu verzichten. Und die Regierung muß - das ist unsere Forderung, die uns aber gestern sozusagen auch zugebilligt wurde - sicherstellen, daß wir unsere Anlagen ungestört betreiben können. Also noch einmal zu Herrn Simson: Vielleicht muß man nachfragen, ob er wirklich "noch 40 Jahre" gesagt hat.

    Gerner: Die Restlaufzeiten werden im zweiten Teil der Konsensrunde Ende Februar/Anfang März besprochen. Wann sind Sie bereit, das erste AKW auslaufen zu lassen?

    Goll: Sie werden verstehen, daß wir unsere Gespräche nicht in der Öffentlichkeit führen, sondern mit denen, mit denen wir uns verständigen müssen. Sie müssen allerdings auch zur Kenntnis nehmen, daß keine der bestehenden Anlagen bereits einen Zeitraum von Betriebsjahren, also von Volllastjahren, erreicht hat, der daran denken lassen könnte, daß in absehbarer Zeit diese Anlage abgestellt wird.

    Gerner: Das heißt nicht vor 2030?

    Goll: Sie werden mich nicht zu einer Festlegung von Zahlen oder Zeiträumen bringen, sondern ich denke, wir haben vorgestern und gestern einen vernünftigen Beitrag dazu geleistet, daß wir nicht streiten in einer außerordentlich schwierigen Frage, sondern uns vornehmen, eine vernünftige Energiepolitik zu machen.

    Gerner: Herr Goll, auf dem deutschen Atomforum hieß es gestern, Regierungen kommen und gehen, aber die deutsche Kernenergie bleibt bestehen. Herr Steuer, der Präsident, hat das gesagt. Setzen Sie auf die nächste Regierung, um den Ausstieg aus der Atomenergie wieder rückgängig zu machen?

    Goll: Ich glaube, das ist keine Position, von der aus eine konsensuale Begegnung mit der Regierung möglich ist.

    Gerner: Was heißt das? - Das heißt, Sie setzen schon auf eine Regierungsänderung, um möglicherweise das zu revidieren, was jetzt in Konsensgesprächen behandelt wird?

    Goll: Nein. Wir konzentrieren uns auf diese Regierung und das, was mit dieser Regierung tatsächlich möglich ist.

    Gerner: Rot/grün ist gewählt worden, ein politischer Wählerauftrag für den Ausstieg aus der Atomenergie somit aber da. Nehmen Sie die Ängste nicht ernst, betreffend der großen Risiken, die die Atomenergie birgt?

    Goll: Wir haben begründete und unbegründete Ängste immer ernst genommen und haben es als unsere Aufgabe angesehen, uns mit diesen Ängsten auseinanderzusetzen. Unsere Anlagen - das ist unbestritten - sind die sichersten. Es gibt auch keine Technik in der Energieerzeugung, die risikolos ist. Aber die Risiken der Kernenergie sind beherrschbar, und wir haben in 30 Jahren gezeigt, daß wir in der Lage sind, diese Risiken zu beherrschen.

    Gerner: Gerhard Goll war das, der Vorsitzende der Energie Baden-Württemberg und Teilnehmer an den Konsensgesprächen. Aufgezeichnet haben wir das Gespräch vor wenigen Minuten, und mitgehört hat Herta Däubler-Gmelin, die Bundesjustizministerin von der SPD. Schönen guten Morgen!

    Däubler-Gmelin: Guten Morgen Herr Gerner!

    Gerner: Frau Däubler-Gmelin, das Justizministerium hat spät, aber deutlich Bedenken zu dem Projekt angemeldet. Jürgen Trittin hat von Ihnen einen Katalog mit 35 Fragen und Änderungsvorschlägen bekommen. Bis wann muß er sie beantworten und was soll er ändern?

    Däubler-Gmelin: Herr Gerner, das Bundesjustizministerium hat nicht spät, aber deutlich reagiert, sondern wir haben das gemacht, was unsere Aufgabe innerhalb der rot/grünen Regierung ist, die ja den Ausstieg will und nicht nur will, sondern wie wir gestern auch deutlich gemacht haben vollziehen wird und vollziehen kann. Wir haben gesagt, auf der Basis des am 15. 01. vorgelegten Entwurfes gibt es eine Reihe von zivilrechtlichen, europarechtlichen und von völkerrechtlichen Fragen, die aufgearbeitet werden müssen. Das tun wir, und damit machen wir das, was wir vor den Wahlen angekündigt haben, dann in der Koalitionsvereinbarung beschlossen haben und was seit gestern, allem Geklapper zum Trotz, das jetzt von interessierter Seite kommt, auch feststeht: Wir wollen und wir werden den unumkehrbaren Ausstieg aus der Atomenergie zur Energieerzeugung durchführen. Wir werden umstellen auf erneuerbare Energien. Das bringt einen Technikschub und es bringt auch einen Arbeitsplatzschub. Wir machen das aber so, daß es gerichtsfest ist, daß es dem Völkerrecht entspricht und vor allen Dingen auch, daß wir Schadensersatzforderungen auf die Bundesrepublik Deutschland nicht zukommen sehen.

    Gerner: Gerade darauf bezogen, heute soll im Bundestag von den Notenwechseln zwischen Deutschland und Frankreich beziehungsweise Deutschland und Großbritannien die Rede sein. Was steht denn nun wirklich drin?

    Däubler-Gmelin: Es steht eine Menge von Sachen drin, und die Bewertung ist natürlich wie alles mit einer so schwierigen Frage verbunden. Die Details sind natürlich der Wertung von Oppositions- und Regierungsseite überlassen. Das wird sicher eine erhitzte Auseinandersetzung. Ich denke, wir können diese völkerrechtlichen Probleme wirklich lösen.

    Gerner: Droht nach dem aktuellen Stand Schadensersatz?

    Däubler-Gmelin: Nein! Wenn wir es vernünftig machen nicht, und deswegen machen wir das vernünftig.

    Gerner: Was muß geschehen, damit das Verbot der Novelle frei von Entschädigungsrisiken ist?

    Däubler-Gmelin: Das ist ja nun einer der Punkte. Deswegen bin ich heute sehr zufrieden mit dem, was gestern war, übrigens keineswegs alleine. Die Seite, die Sie gerade gehört haben oder die die Hörerinnen und Hörer gerade gehört haben, ist es auch, sondern eben auch der Bundesumweltminister. Der Primat der Politik wurde anerkannt. Es ist völlig klar, daß dann, wenn Sie eine so umfassende Branche haben, in die ja nun seit 45 Jahren von konservativen Regierungen und von anderen viel Geld investiert wurde von oben nach unten, wenn Sie da herauswollen und auch herauskönnen, dann geht das halt nicht von heute auf morgen. Es ist dann am besten, Sie machen es im Wege von Vereinbarungen über die kritischen Punkte; dann klagt nämlich keiner.

    Gerner: Gerhard Schröder sagt, das Ende der Wiederaufarbeitung kann erst dann geschehen, wenn die Zwischenlager gerichtsfest sind. Was muß dafür geschehen?

    Däubler-Gmelin: Da müssen die Zwischenlager vorhanden sein, und zwar einfach deswegen: Wenn Sie Müll zurücknehmen, müssen Sie den irgendwo zwischenlagern. Wenn Sie das an den Kernkraftwerken tun, müssen Sie dafür Lager haben. Bei uns ist das Problem, um das zu sagen, Herr Gerner, ein ganz einfaches: Diese Zwischenlager müssen dort, wo sie noch nicht existieren, gebaut werden. Dazu braucht es ein Verfahren. Auch wenn man das verkürzt und die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sieht, läßt sich das halt alles innerhalb eines Jahres nicht machen, sondern da gibt es gewisse technische und gewisse verfahrensmäßige Fristen. Diese muß man einhalten.

    Gerner: Wird die Atomnovelle so wie Sie sie jetzt prüfen nicht zu sehr auf die Bedürfnisse der EVU zugeschnitten?

    Däubler-Gmelin: Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja kein Justiziariat der EVUs, sondern ich bin die Bundesjustizministerin einer rot/grünen Mehrheit, die in ihrer Koalitionsvereinbarung und in ihrem festen Willen entschlossen hat, daß wir unumkehrbar, aber verbindlich aus der Kernenergie aussteigen, und das tun wir.

    Gerner: Können Sie denn garantieren, daß Jürgen Trittin sein Gesicht noch wahren kann, nachdem Ihre Überprüfung abgeschlossen ist?

    Däubler-Gmelin: Wissen Sie, wir machen das ja in enger Kooperation mit dem Umweltminister. Ich meine, es steht mir nicht zu ihn zu loben, aber er ist ein wirklich guter Kollege, daß er sich für seinen Bereich eben so einsetzt wie ich mich für meine Aufgabe. Das gehört zu einer guten Bundesregierung.

    Gerner: Ihre Überprüfung erfolgt doch aber eher im Auftrag von Gerhard Schröder, nicht von Jürgen Trittin?

    Däubler-Gmelin: Sie irren! Es steht schon in unserer Verfassung drin, daß jeder Minister, übrigens auch jede Ministerin, innerhalb der Richtlinienkompetenz ihren Arbeitsbereich selbständig übrigens durchaus auch erwachsen ausübt. Ich mache das!

    Gerner: Wir haben noch ein paar Sekunden, Frau Däubler-Gmelin. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, wie sie Baden-Württemberg und Bayern erwägen, hätte sie Aussicht auf Erfolg nach dem derzeitigen Stand?

    Däubler-Gmelin: Der derzeitige Stand ist ja nun, nach dem was ich gelesen habe, nicht so ganz klar. Bisher hat mir der Herr Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg sein Gutachten noch nicht zur Verfügung gestellt, aber vielleicht tut er das ja noch und unterhält sich mit uns nicht nur über die Presse, was ja auch mal etwas Neues wäre. Soweit ich das aber aus der Presse entnehmen kann, bezieht sich sein Gutachten auf einen Vorentwurf, der wohl schon im Dezember etwas überholt war. Daraus beantwortet sich Ihre Frage. Es hat wahrscheinlich keine Aussichten.

    Gerner: Herta Däubler-Gmelin war das, die Bundesjustizministerin. Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch und einen schönen Tag nach Bonn.