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Ausstieg aus dem Ausstieg

Nach der Entscheidung Schwedens, neue Atomkraftwerke zu bauen, hat der energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Herbert Reul, auch für Deutschland eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken gefordert. Auch den Bau neuer Atommeiler dürfe man nicht "tabuisiereren", sagte Reul.

Herbert Reul im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.02.2009
    Sandra Schulz: Wir machen eine Rückblende. Im Jahr 1980, vor rund 30 Jahren, beschloss das schwedische Parlament den Ausstieg aus der Atomenergie nach einem Referendum. Schweden galt darum vielen Atomkraftgegnern als leuchtendes Beispiel. Nun kündigte die konservative Regierung in Stockholm einen Ausstieg aus dem Ausstieg an. Nicht nur eine Verlängerung der Laufzeiten ist geplant, sondern es sollen auch alte Meiler durch neue ersetzt werden.

    Wir sind jetzt telefonisch verbunden mit Herbert Reul. Er ist energiepolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Guten Tag!

    Herbert Reul: Schönen guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Reul, steht jetzt die Atomkraft vor einer Renaissance?

    Reul: Ich glaube, dass die Atomkraft seit geraumer Zeit und durch diesen Beschluss erst recht wieder in eine sachliche und nüchterne Debatte zurückkehrt, und das ist zwingend.

    Schulz: Die CDU trägt ja auch dazu bei, unter anderem mit Ihrer Ankündigung, den Ausstieg aus dem Ausstieg in Deutschland auch im Bundestagswahlkampf zum Thema zu machen. Wann fordern Sie für Deutschland den Neubau von Atomkraftwerken?

    Reul: Ich habe, was mich persönlich angeht, seit geraumer Zeit darum gebeten, dass wir diese Frage vorurteilsfrei, nicht ideologisch betreiben. Wissen Sie, wir können doch nicht mehr Versorgungssicherheit für die Energie fordern, günstigere Preise fordern, uns andererseits auch noch darüber beklagen, dass wir Klimaprobleme haben, und dann eine Energieart, die dafür eine Lösung anbietet, die Kernenergie, einfach tabuisieren. Tabuisieren hilft nie weiter und insofern, finde ich, muss auch in Deutschland, genau wie in anderen europäischen Staaten, diese Frage offen angegangen werden.

    Schulz: Jetzt tabuisieren Sie aber meine Frage, denn ich hatte mich ja danach erkundigt, wann Sie den Neubau neuer Atomkraftwerke propagieren wollen.

    Reul: Wenn Sie mich persönlich fragen, ich habe seit geraumer Zeit gesagt, ich bin auch für den Neubau von Kernkraftwerken, nicht nur für die Verlängerung.

    Schulz: Da haben Sie einen Dissens mit CDU-Generalsekretär Pofalla, der das schon ausgeschlossen hat. Ist das nicht ein Widerspruch?

    Reul: Natürlich gibt es Widersprüche innerhalb Parteien. Das ist aber auch nichts Schlimmes. Ich halte es für zwingend, dass Kernkraft zu dem Mix von Energien in Zukunft dazu gehört. Das heißt für uns in der ersten Stufe - und da sind wir einig -, dass wir nicht abschalten dürfen. Es wäre doch Unsinn, abzuschalten und dann nachher hinterherzueilen, sondern wir müssen zumindest über eine Verlängerung der Laufzeiten nachdenken. Und wenn ich weiter denke, glaube ich, dass es klüger ist, neue Systeme zu bauen, als alte Systeme auf Dauer am laufen zu halten.

    Schulz: Und was passiert mit dem Atommüll?

    Reul: Es gibt für den Atommüll - wir haben dafür eine Anhörung im Europäischen Parlament vor geraumer Zeit gehabt - durchaus Lösungen, wie man es sicher lagern kann. Das ist eine politische Frage. Sie wissen, dass in Deutschland sowohl beim Schacht Konrad die Entscheidung getroffen ist. Sie ist jetzt nur politisch nicht realisiert. Die Gerichte haben sogar schon entschieden, aber die Politik traut sich nicht, ja zu sagen.

    Schulz: Die Lager müssen ja mehrere hunderttausend Jahre sicher sein, um sicherzustellen, dass die langen Halbwertszeiten sich nicht an der Oberfläche auswirken. Was macht Sie da so sicher bei diesen langen Laufzeiten, dass die Frage geklärt ist?

    Reul: Diejenigen, die davon mehr verstehen als ich, nämlich die Techniker und Geologen, die einem kluge Argumente vortragen und Beweise vortragen, dass das möglich ist. Im Übrigen ist die Frage der Kernkraft der Zukunft ja auch eine Frage an neue Technologien im Kernkraftbereich. Wir wissen, dass da auch Weiterentwicklungen unterwegs sind, die erstens weniger Reste, weniger Müll haben, die zweitens der Frage nachgehen, wie Sicherheit im System erhöht werden kann, und drittens auch der Frage nachgehen, wie kann man denn das, was an nuklearem Abfall da ist, recyceln. In der allgemeinen Mülldebatte diskutieren wir immer darüber, dass Müll reduziert werden muss dadurch, dass man ihn recycled und dadurch geringere Mengen am Ende hat. Auch die Frage ist für nuklearen Abfall zu diskutieren.

    Schulz: Aber wenn wir bei der Endlagerfrage bleiben und Sie mir sagen, es gebe sichere Lösungen, dann verstehe ich nicht, warum Ihre Parteifreunde in Deutschland, namentlich in Niedersachsen, Herr McAllister, davon ausgehen, dass eine Lösung noch nicht in der Welt sei.

    Reul: Also das Problem bei diesem Thema ist, dass man sehr schwer darüber nüchtern und sachlich diskutieren kann. Das ist emotional ungeheuer aufgeladen. Da gibt es entweder Befürworter oder Gegner, und ich glaube, das können wir uns nicht erlauben bei einer so spannenden Frage, bei einer so wichtigen Frage wie der ausreichenden Energieversorgung oder auch dem klugen, vernünftigen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Klima. Wir können nicht alles haben, und wenn man in dieser Frage voran kommen will, dann finde ich die Entscheidung in Schweden sehr vernünftig und sehr intelligent, die Kernkraft mit einzubeziehen.

    Ich will jetzt nicht in den Wettbewerb einsteigen, wann, zu welchem Zeitpunkt in Deutschland ein neues Kernkraftwerk gebaut werden muss. Ich will nur dafür werben, dass man das nicht weiter tabuisiert. Ich will dafür werben, dass man sie nicht abschaltet, sondern Laufzeiten eher verlängert, und drittens, dass man darüber offen redet und auch Forschung und Entwicklung weiter vorantreibt. Denn woher wissen wir eigentlich mit absoluter Sicherheit, dass nicht im Bereich auch der Technologie solcher Anlagen neue Systeme vorstellbar sind, deren Sicherheit wesentlich höher noch ist als die, die wir heute schon haben.