So viel vorweg: Wer an diesem ausufernden Theaterabend zuweilen nur Bahnhof versteht oder wem Thema, Ort und Zeit mehrheitlich böhmische Dörfer bleiben, braucht sich mit Selbstzweifeln nicht zu quälen. Worum es geht, bzw. welche Konstellationen zum final angekündigten "Duell" führen, bleibt weithin konsequent unklar. Denn als wären die Wege der Handlung nicht schon verschlungen genug, hat Frank Castorf der kleinen Geschichte obendrein eine gehörige Menge Überbau verordnet – und war schon durch die und mit der Besetzung.
Die zwei Männer, deren kontrastreiche Lebens-Entwürfe Tschechow ausbreitet, zeichnen bei Castorf zwei Frauen nach, Castorfs theaterlebenslange Arbeitsgefährtin Silvia Rieger und die beim Nachwende-Neustart der Volksbühne vor zwanzig Jahren zu Castorfs ewigem Dreamteam gestoßene Sophie Rois. Auch um diese beiden herum agieren darüber hinaus nur Frauen; und Heiner Müllers Weggefährte Hermann Beyer ist als einziger Mann, als Arzt, Drogen- und Geldbeschaffer, der männliche Joker in diesem Feminat. Konsequenterweise schießen im finalen Duell auch nicht die Männer-Frauen aufeinander, sondern der einzige Mann auf sich selbst.
Aber so weit sind wir noch nicht.
Zunächst mal lebt Lajewski, Bohemien, Trinker, Spieler und einer der Protagonisten der Fabel, in nervenzerfetzendem Konkubinat mit Nadeshda Fjodorowna, die außerdem noch von mindestens zwei anderen Männern (also Frauen) umworben wird: Lilith Stangenberg ist das großäugige, stets in durchsichtiges Schwarz gekleidete Dornröschen neben Rumtreiber Rois.
In dieser tristen Kleinstadt im Kaukasus und (vermutlich) am Schwarzen Meer, wo Wein wächst und am Rande auch das Durcheinander von Tscherkessen und Abchasen und anderen Völkern beschworen wird. Das ständig auf der Bühne kreiselnde Holzhaus, das Aleksandar Denic auf die Drehbühne und mitten in viel Müll, Ölfässer und eine Art Abraumhalde gestellt hat, ist ein Labyrinth; und wie so oft bei Castorf bleiben nur die beiden Video-Künstler allen Handlungen auf der Spur – mit der Kamera, die immer mehr sieht als das Publikum.
Der Wissenschaftler von Koren, aus jüdisch-deutscher Familie, ist Lajewskis Gegenspieler – Käfer erforscht er, das Meer, die Küsten; von Korens Gedanken und Pläne folgen genauen Koordinaten und politisch-moralischen Maximen, und er weiß genau, was für eine bessere Zukunft überlebenswert ist und wer nicht. Lajewski jedenfalls ist es nicht. Silvia Riegers diabolische Strenge ist mindestens so aufregend wie die hinreißende Verspieltheit von Sophie Rois, deren Lajewski die Rollenverteilung klar benennt, lange vor dem Duell:
Die Szene spielt im zweiten Teil, am Beginn der dritten von vier Stunden ... und zuvor war viel Gegrübel nötig für das Publikum, um von allein zu so viel Klarheit gelangen. Castorf stülpt der Fabel kaukasische Bürgerkriegsphantasien hinzu, unter visionärem Einbezug der hochgerüsteten amerikanischen Welt-Polizei. Viel außerordentliche Musik durchzieht den Abend (und wie immer fehlt eine Liste der benutzten Titel!), und auch der Horizont der zwischen die Livevideos montierten Kinoschnipsel ist weit – "Stille Tage in Clichy", das Hippieerotikon nach Henry Miller, und die Knastausbrecherballade um "Papillon" sind nur die auffälligsten. Dazwischen kreiert das noch an den Rändern, konkret: bis zur wunderbar alten, religiös verbrämt vor sich hin brabbelnden Bärbel Bolle, brillant besetzte Ensemble einen sehr speziellen Drahtseilakt zwischen originalem Text und freier, im Probenprozess zusammenphantasierter Improvisation.
Im hinreißendsten Beispiel für diese Methode entwirft Kathrin Angerer kurz vor Schluss einen derart schrillen Exkurs über "den Glauben" und "die Tat" (und die elende Erkenntnis, dass eins nichts ist ohne das andere, und umgekehrt!), dass auch die sonst so streng beherrschte Kollegin Rieger sich das Lächeln nicht verkneifen kann.
Castorfs Theater bleibt einzigartig in besseren Inszenierungen; also an diesem erschöpfenden Abend. Nirgends sonst liegen schönste Freiheit und schlimmster Zwang, lichteste Momente und völlige Unverständlichkeit so nahe beieinander wie hier. Wer behauptet, "Das Duell" verstanden zu haben, lügt; wer Castorfs Theater für verzichtbar hält, irrt sich gewaltig.
Die zwei Männer, deren kontrastreiche Lebens-Entwürfe Tschechow ausbreitet, zeichnen bei Castorf zwei Frauen nach, Castorfs theaterlebenslange Arbeitsgefährtin Silvia Rieger und die beim Nachwende-Neustart der Volksbühne vor zwanzig Jahren zu Castorfs ewigem Dreamteam gestoßene Sophie Rois. Auch um diese beiden herum agieren darüber hinaus nur Frauen; und Heiner Müllers Weggefährte Hermann Beyer ist als einziger Mann, als Arzt, Drogen- und Geldbeschaffer, der männliche Joker in diesem Feminat. Konsequenterweise schießen im finalen Duell auch nicht die Männer-Frauen aufeinander, sondern der einzige Mann auf sich selbst.
Aber so weit sind wir noch nicht.
Zunächst mal lebt Lajewski, Bohemien, Trinker, Spieler und einer der Protagonisten der Fabel, in nervenzerfetzendem Konkubinat mit Nadeshda Fjodorowna, die außerdem noch von mindestens zwei anderen Männern (also Frauen) umworben wird: Lilith Stangenberg ist das großäugige, stets in durchsichtiges Schwarz gekleidete Dornröschen neben Rumtreiber Rois.
In dieser tristen Kleinstadt im Kaukasus und (vermutlich) am Schwarzen Meer, wo Wein wächst und am Rande auch das Durcheinander von Tscherkessen und Abchasen und anderen Völkern beschworen wird. Das ständig auf der Bühne kreiselnde Holzhaus, das Aleksandar Denic auf die Drehbühne und mitten in viel Müll, Ölfässer und eine Art Abraumhalde gestellt hat, ist ein Labyrinth; und wie so oft bei Castorf bleiben nur die beiden Video-Künstler allen Handlungen auf der Spur – mit der Kamera, die immer mehr sieht als das Publikum.
Der Wissenschaftler von Koren, aus jüdisch-deutscher Familie, ist Lajewskis Gegenspieler – Käfer erforscht er, das Meer, die Küsten; von Korens Gedanken und Pläne folgen genauen Koordinaten und politisch-moralischen Maximen, und er weiß genau, was für eine bessere Zukunft überlebenswert ist und wer nicht. Lajewski jedenfalls ist es nicht. Silvia Riegers diabolische Strenge ist mindestens so aufregend wie die hinreißende Verspieltheit von Sophie Rois, deren Lajewski die Rollenverteilung klar benennt, lange vor dem Duell:
Die Szene spielt im zweiten Teil, am Beginn der dritten von vier Stunden ... und zuvor war viel Gegrübel nötig für das Publikum, um von allein zu so viel Klarheit gelangen. Castorf stülpt der Fabel kaukasische Bürgerkriegsphantasien hinzu, unter visionärem Einbezug der hochgerüsteten amerikanischen Welt-Polizei. Viel außerordentliche Musik durchzieht den Abend (und wie immer fehlt eine Liste der benutzten Titel!), und auch der Horizont der zwischen die Livevideos montierten Kinoschnipsel ist weit – "Stille Tage in Clichy", das Hippieerotikon nach Henry Miller, und die Knastausbrecherballade um "Papillon" sind nur die auffälligsten. Dazwischen kreiert das noch an den Rändern, konkret: bis zur wunderbar alten, religiös verbrämt vor sich hin brabbelnden Bärbel Bolle, brillant besetzte Ensemble einen sehr speziellen Drahtseilakt zwischen originalem Text und freier, im Probenprozess zusammenphantasierter Improvisation.
Im hinreißendsten Beispiel für diese Methode entwirft Kathrin Angerer kurz vor Schluss einen derart schrillen Exkurs über "den Glauben" und "die Tat" (und die elende Erkenntnis, dass eins nichts ist ohne das andere, und umgekehrt!), dass auch die sonst so streng beherrschte Kollegin Rieger sich das Lächeln nicht verkneifen kann.
Castorfs Theater bleibt einzigartig in besseren Inszenierungen; also an diesem erschöpfenden Abend. Nirgends sonst liegen schönste Freiheit und schlimmster Zwang, lichteste Momente und völlige Unverständlichkeit so nahe beieinander wie hier. Wer behauptet, "Das Duell" verstanden zu haben, lügt; wer Castorfs Theater für verzichtbar hält, irrt sich gewaltig.