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Ausweitung des Rechtsstaats-Dialogs mit China

Heuer: Der deutsche Bundespräsident bereist China. Ein riesiges Land mit ebenso großem wirtschaftlichen Potential und ähnlich großen Mängeln bei der Einhaltung von Menschenrechten. In China werden besonders viele Menschen unter Todesstrafe gestellt und tatsächlich exekutiert, es werden Regimekritiker nach wie vor verfolgt, die Mitglieder der Meditationsgemeinschaft "Falun Gong" unterdrückt, der Zugang zum Internet beschränkt und es herrscht immer noch Zensur. In China ist, mit dem Bundespräsidenten Johannes Rau, die bündnisgrüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, unterwegs. Frau Müller, welche Ziele verfolgen Sie denn mit dieser Reise nach China zu diesem Zeitpunkt?

    Müller: Für die Bundesregierung ist diese Reise des Bundespräsidenten eine sehr wichtige Reise, denn China ist für uns ein sehr wichtiger Partner. Zum einen aus wirtschaftlichen Gründen, China ist für uns der wichtigste Handelspartner in Asien, und Deutschland ist für China der wichtigste Markt in Europa. Chinas Wirtschaft wächst wie kaum eine andere und deshalb ist ja auch eine große Wirtschaftsdelegation mit. Sichtbarstes Zeichen war der Beitritt zur WTO, wo es natürlich noch um die Umsetzung geht. Zweitens nimmt China seine Rolle in der Welt sehr selbstbewusst war, so auch im Sicherheitsrat und in den internationalen Organisationen. Wir haben sehr konstruktiv im Zusammenhang mit der Irak Krise mit China zusammen gearbeitet. Auch heute wurde noch einmal in den Gesprächen betont, dass wir gemeinsam den Multilateralismus stärken wollen. Und drittens geht es uns um den Ausbau des Rechtsstaats-Dialoges, der 1999 von Bundeskanzler Schröder und dem chinesischen Ministerpräsidenten angestoßen wurde.

    Heuer: Die Grünen gehörten ja vor ihrem Regierungsantritt zu den schärfsten Kritikern der chinesischen Regierung. Wie erleben Sie denn jetzt auf Ihrem Staatsbesuch das Land und die Männer, die es regieren?

    Müller: Der erste Eindruck ist sicherlich so, dass sich sehr viel verändert hat. Ich war 1995 anlässlich der internationalen Frauenkonferenz der Vereinten Nationen das letzte Mal in China. Schon der erste Eindruck ist so, es hat sich sehr viel verändert. Es gibt eine neue politische Führung, etwa der stellvertretenden Außenminister Wang Yi, den ich heute getroffen habe, gehört sicherlich zur neuen Generation. Er verfolgt eine völlig neue Form der Außenpolitik, die lösungsorientiert, pragmatisch und modern ist. Viele Fragen, die man selbst 95 noch nicht ansprechen konnte, etwa im Bereich der Menschenrechte, können wir heute sehr offen mit den chinesischen Gesprächspartnern diskutieren.

    Heuer: Was haben Sie denn da konkret angesprochen zum Beispiel in ihrem Gespräch heute mit dem stellvertretenden Außenminister?

    Müller: Mit dem stellvertretenden Außenminister ging es vor allem um Außenpolitik, dass heißt, um die Zukunft des Multilateralismus, dass wir auch im Hinblick auf die jetzt verhandelte Resolution bei den Vereinten Nationen weiter zusammenarbeiten wollen. Und die Frage Nordkorea, wo China eine wichtige, stabilisierende Rolle hat und auch weiter die Rolle der Vermittlung einnehmen wird. Aber ich habe mit dem Minister im Rechtsamt ein sehr intensives Gespräch über Menschenrechte und Rechtsstaat geführt und dort eigentlich alles angesprochen, was uns Sorgen macht. Die exzessive Anwendung der Todesstrafe, notwendige Reformen bei der so genannten Administrativhaft, die Beschränkung der Religionsfreiheit und die Einschränkung von Meinungsfreiheit. Wir sind alle Themen in einem sehr offenen Gespräch angegangen. Und ich muss wirklich sagen, ich glaube, ein solches Gespräch wäre vor acht Jahren noch nicht möglich gewesen.

    Heuer: Und hat der Minister denn auch angekündigt, daraus, aus diesem Gespräch Konsequenzen zu ziehen, Frau Müller?

    Müller: Hat er. Erstens muss man sehen, der Rechtsstaats-Dialog, den wir ja seit 1999 mit der chinesischen Regierung führen, hat natürlich auch Ergebnisse gezeigt. Es ist enorm, was im Bereich der Gesetzgebung, im Bereich von Rechtsverordnungen erlassen und geschehen ist. Warum ist das wichtig? Bürgerinnen und Bürger, auch in China, können sich heute gegen Verwaltungsakte wehren und das tun sie auch zunehmend, dass heißt, es hat auch wirklich die Lebenswirklichkeit der Menschen verändert. Es schafft Rechtssicherheit, zunehmend Rechtssicherheit für Unternehmen, auch für internationale oder deutsche Unternehmen, die hier investieren wollen, obwohl es da natürlich noch viel Nachholbedarf gibt. Und im Bereich der Menschenrechte haben wir etwa darüber gesprochen - die Verfassung soll ja geändert werden -, dass der Minister sich dafür ausspricht, die Achtung und den Schutz der Menschenrechte in die Verfassung aufzunehmen. Das nächste Symposium, das in Berlin im November stattfinden wird, behandelt die Informationsfreiheit, das heißt, hier geht es um Probleme im Bereich Internet, wo wir uns eben dafür einsetzen, dass die Meinungsfreiheit auch hier gelten muss und gelten soll in der Zukunft. Aber auch die Fragen des Schutzes von Minderheiten haben wir sehr offen angesprochen und ich habe dort angemahnt, dass wir es begrüßen würden, wenn es Reformen gäbe.

    Heuer: Eine Minderheit im eigenen Land sind inzwischen die Tibeter. China hat Tibet ja annektiert und es wird beschuldigt, nach wie vor die Tibeter regelrecht auszurotten. Andererseits ist es so, dass, wenn der Dalai Lama von ausländischen Regierungen empfangen wird, die chinesische Regierung regelmäßig scharf protestiert. Nun hat Johannes Rau nach eigenem Bekunden den chinesischen Staatschef gestern gefragt, ich zitiere das mal: "ob man im Falle des Dalai Lama nicht eine andere Umgangsform finden könne?" Ich frage Sie, Frau Müller, reicht denn das?

    Müller: Sowohl der Bundespräsident als auch ich haben unsere Position, was die Tibetfrage betrifft, dort noch einmal sehr klar gemacht: Wir hoffen und wünschen, dass der Dalai Lama zurückkehren kann und dass die Minderheitenrechte der Tibeter, aber auch die Minderheitenrechte in anderen Regionen Chinas beachtet werden, dass wir das für sehr wichtig halten. Die Antwort Chinas ist, der Dalai Lama kann zurückkehren, wenn er sozusagen die Ein-China-Politik anerkennt, wenn er also die Einheit des Landes nicht in Frage stellt. Tatsächlich ist es wohl so, dass sich die ökonomische und soziale Situation der Tibeter in den letzten Jahren verbessert hat. Davon konnte ich mir aber allerdings persönlich noch keinen Eindruck verschaffen. Wir machen unsere politische Position hier sehr klar, da gibt es überhaupt keinen Zweifel, und ich habe den Eindruck, dass diese neue Regierung auch bereit ist, zunehmend Schritte im Bereich von Menschenrechte und Rechtsstaat zu gehen. Ich bin im Übrigen der Überzeugung, dass der Öffnung des Marktes und ökonomischem Wachstum auch demokratische Entwicklung, der Wunsch nach mehr Freiheit und Demokratie folgt. Diesen Prozess unterstützen wir ja als deutsche Bundesregierung mit dem Rechtsstaats-Dialog. Wir werden auf dieser Reise in Hongkong sehen, wo ich im Juli bereits war, wie es innerhalb Chinas bereits Oasen gibt, wo Meinungsfreiheit herrscht. Die Frage ist, wie sich das eben in Zukunft auch auf Gesamtchina auswirken wird.

    Heuer: Jetzt haben Sie schon mehrfach den Rechtsstaats-Dialog angesprochen, Frau Müller. Darin ist es bislang vor allem um juristische Fragen gegangen. Wäre diese Reise nicht ein guter Anlass, so etwas, wie die Minderheitenrechte ganz dringend auf die Agenda dieser Gespräche zu setzen?

    Müller: Wie gesagt, mit dem zuständigen Minister hatte ich ein sehr intensives und sehr offenes Gespräch. Er befürwortet, dass der Rechtsstaats-Dialog erweitert wird um Fragen von Menschenrechten. Wir haben die Problempunkte, die aus unserer Sicht bestehen wie Todesstrafe, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Minderheitenfragen alle angesprochen und die chinesische Seite hat dort ihre Position. Aber ein solches Gespräch zu führen, klar auch Fortschritte anzumahnen und hier im Dialog zu bleiben, das ist schon mal ein riesiger Schritt und insofern besteht hier auch wirklich die Chance, etwas zu verbessern. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man die Menschenrechte auf eine Weise anspricht, die die Menschen nicht vor den Kopf stößt, sondern eben konstruktiv. Nur so wird man letztlich hier den Betroffenen und den Minderheiten konkret helfen können. Und das ist ja doch letztlich unsere Absicht, dass wir den Menschen, die hier betroffen sind, konkret helfen können. Ich habe den Eindruck, dass der Dialog dort auf allen Ebenen sehr wichtig ist.

    Heuer: Kerstin Müller war das, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, sie begleitet den Bundespräsidenten auf seiner China-Reise.

    Link: Interview als RealAudio