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Auszahlungsrhytmus bleibt bei Arbeitslosengeld II erhalten

Jürgen Liminski: Hartz IV, der Name entwickelt sich zu einem Synonym für kalten Kapitalismus, Murksarbeit oder auch das Ende des Sozialstaates. Jedenfalls gehen wieder spontan tausende Menschen auf die Straße, und selbst in den Reihen der Regierungsparteien wird der Ruf nach Änderungen etwa bei der Auszahlung laut, Stichwort Zahlungslücke. Wird das Gesetz nachgebessert? Am Telefon sind wir nun verbunden mit einem Wortführer der Reform, dem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag Klaus Brandner. Herr Brandner, nun soll das Arbeitslosengeld II doch im Januar, und zwar am Anfang gezahlt werden, sagt eine Zeitung. Was sagen Sie?

Moderation: Jürgen Liminski |
    Klaus Brandner: Das Arbeitslosengeld II wird aus meiner Einschätzung am letzten Tag des Monats Januar gezahlt werden, weil es hier darauf ankommt, dass diejenigen, die aus der Arbeitslosenhilfe kommen, ja Ende Dezember Leistungen bekommen haben, und dass für diesen Bereich der Leistungsbezieher ein hundertprozentig gleichmäßiger Auszahlungsrhythmus bei diesem Vorschlag erreicht wird.

    Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass wir immer darauf achten müssen, dass beim Arbeitslosengeldbezug der Übergang in das Arbeitslosengeld II auch in der Zukunft eine Rolle spielen wird. Deshalb ist es wichtig, dass die bisherige Praxis fortgesetzt wird. Die Sozialhilfeempfänger werden natürlich ihre finanziellen Unterstützungsleistungen zu Monatsbeginn genauso erhalten, so dass es weder eine Zahlungslücke gibt noch irgendeine Form einer Gerechtigkeitslücke. Die sachgerechte Lösung ist sicherlich in diesem Vorschlag zu sehen.

    Liminski: Das sieht die CDU etwas anders. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer droht damit, den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zusammenzurufen, falls die SPD nicht sofort handele. Die meisten Ihrer Kollegen sind im Urlaub, Sie ab heute. Werden Sie denn handeln?

    Brandner: Das ist eine Angelegenheit, die die Bundesregierung im Rahmen einer Verordnung regelt. Die Hektik, die Herr Meyer verbreitet, ist eine Brandstifterstrategie, die hier erfolgt. Die CDU hatte im Rahmen der Gesetzgebungsaktivitäten dafür sorgen wollen, dass das Leistungsniveau weitaus niedriger ist.

    Ich erinnere daran, dass die Leistungen rein auf Sozialhilfeniveau und nicht auf einem angehobenen Niveau stattfinden sollten, und dass es beispielsweise auch bei den Leistungsbeträgen, zum Beispiel bei der Höhe der Vermögensanrechnung, weitaus niedrigere Beträge geben sollte, als wir es vereinbart haben.

    Insofern ist das, was Herr Meyer und Teile der CDU zurzeit betreiben, aus meiner Sicht eher ein schändliches Spiel, so zu tun, als wollten sie die sozial Schwächsten schützen und besser behandeln, tatsächlich aber in der echten politischen Ebene weitaus härter und schärfer ihnen ans Leder gehen wollen. Insofern glaube ich schon, dass deutlich wird, dass das auch entlarvt wird.

    Liminski: Das heißt, Sie gehen ab heute in aller Seelenruhe in den Urlaub?

    Brandner: Ich glaube, dass wir ein gutes Gesetz gemacht haben, das eine hohe Bedeutung in der Zukunft haben wird. Das Gesetz trägt mit Sicherheit dazu bei, ausreichende materielle Sicherung bei Arbeitslosigkeit herzustellen, auch den erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern zukünftigen Schutz der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu organisieren, günstige Vermögensanrechnung sowohl für die Sozial- als auch für die Arbeitslosenhilfebezieher organisiert zu haben.

    Und, was ich ganz wesentlich finde, dass zukünftig effiziente Strukturen, Leistung aus eigener Hand, für die Vermittlung in Arbeit und die Betreuung durch ein persönliches Filemanagement sichergestellt wird, dass das Ebenen sind, die so wichtig für einen Umbau im arbeitsmarktpolitischen Bereich sind, die aus meiner Sicht wirklich eine ganz hohe Bedeutung für die Zukunft der Arbeitsmarktpolitik haben werden.

    Liminski: Ganz so gut kann das Gesetz aber doch nicht sein, denn der Amtskollege von Generalsekretär Meyer, Ihr Parteifreund Benneter, spricht bereits von Nachbesserungen zu Hartz IV. Wie könnten die denn aussehen? Ist das überhaupt realistisch? Denn dafür bräuchte man ja die Union.

    Brandner: Also meine Kenntnis von Herrn Benneters Aussagen ist, dass das, was im Rahmen von Verordnungen geregelt werden muss, auch wirklich nah an den Menschen und an deren Bedürfnissen geregelt wird. Da unterstütze ich ihn voll und ganz. Nachbesserung kann man das nicht nennen. Wir werden auch zu den Dingen nicht die Zustimmung der Union brauchen.

    Es geht nicht darum, dass das, was die Union jetzt an Schärfe hineingebracht hat, wieder neutralisiert wird. Hier müssen wir die Räume ausnutzen, die im Gesetz gegeben sind, zum Beispiel bei den Härtefallregelungen sicherzustellen, dass man individuelle Härten auch tatsächlich betrachtet und die berücksichtigt. Das Vertrauen darin zu schaffen, das wird die Aufgabe bei der Umsetzung des Gesetzes in den nächsten Monaten sein.

    Liminski: Stichwort Härtefallregelung. Es formiert sich Widerstand gegen die Hartz-IV-Reformen. In Magdeburg gehen die Leute zu Tausenden auf die Straße. Was fürchten Sie denn mehr, die Straße, die Union oder vielleicht die PDS?

    Brandner: Also die PDS macht sich natürlich ein ganz einfaches Spiel, das ist bekannt. Sie hat im Kern keine Alternative. Sie nutzt die Sorgen und die Nöte für ihre eigene Stimmungslage. Wäre die PDS in einer Regierungsverantwortung, was ich nicht hoffen mag, beweist sie sich eben nicht als die soziale Partei. Das sehen wir ja da, wo sie Mitverantwortung übernimmt. Da zeigt sie genauso in den haushaltsrechtlichen und gesamtpolitischen Notwendigkeiten, mit welcher Schärfe sie dann vorgeht. Insofern habe ich keine Sorgen vor der PDS, auch nicht vor der CDU.

    Mir machen schon die Menschen Sorgen, die auf die Straße gehen. Das kann man nicht einfach mit der linken Hand wegschütteln, weil dahinter ja wirklich Ängste stecken, teilweise auch Fehlorientierungen stecken, die Menschen, die aufgeheizt werden, was mit ihnen zukünftig passiert, ohne genau die Verhältnisse zu kennen. Insofern, finde ich, ist es wichtig, dass man auch diesen Menschen Rede und Antwort steht, ihnen Zusammenhänge erläutert und zu einer sachlichen Aufklärung über die tatsächlichen Leistungen aus dem Gesetz beiträgt.

    Liminski: Da ist viel Angst im Spiel. Das liegt vielleicht aber auch an den Irritationen, die sozusagen handwerklich produziert werden. Zuerst kam die Diskussion über den Fragebogen, dann die Sache mit den Telekombeamten, die für viel Geld im Osten aushelfen sollen. Jetzt taucht die Angst auf, dass man bei der Vermögensberechnung völlig durchgeleuchtet wird bis hin zu den Sparbüchern der Kinder und Enkeln. Wie wollen Sie denn den Leuten die Angst nehmen?

    Brandner: Also der erste Punkt bei den Fragebögen: Wer schon mal im Sozialamt war und Sozialhilfe beantragt hat, weiß, dass er mindestens so stark durchleuchtet wird, wie das jetzt der Fall ist. Diejenigen, die sich mit der Sache beschäftigt haben, wissen, dass es überhaupt keine Verschärfungen gibt, sondern dass auch diejenigen, die Arbeitslosenhilfe beantragen, einen umfangreichen Fragekatalog und deren Vermögensverhältnisse aufdecken müssen. Insofern ist das ein Stück weit wirklich Stimmungsmache, die hierbei eine Rolle spielt.

    Ich kann jeden Bürger verstehen, der sagt, ich möchte meinen individuellen Schutz haben, auch meine Privatsphäre geschützt haben. Aber hier muss man auch wissen, hier kommt es darauf an, dass die Gemeinschaft, die Gesellschaft Leistungen übernimmt für diejenigen, die selbst ihren Lebensunterhalt nicht tragen können, und da muss man schon berechtigterweise fragen dürfen, was kannst du selbst dazu beitragen, damit du eben nicht auf eine sozial unterstützende Leistung angewiesen bist?

    Die Frage der Vermögensverhältnisse gehört natürlich selbstverständlich dazu, das ist völlig klar. Hier kommt es darauf an, dass wir deutlich machen, das Schon-Vermögen ist besser gestellt gegenüber dem jetzigen Rechtszustand; für die Sozialhilfeempfänger sowieso. Dort hat ein Sozialhilfeempfänger einen Freibetrag von 1279 Euro und noch mal 614 Euro für den Ehegatten und 256 Euro für ein Kind. Heute wissen wir, dass wir die Freibeträge so geregelt haben, dass für jeden 750 Euro bestehen und für jeden Erwerbsfähigen mindestens 4100 Euro unabhängig vom Lebensalter als Freibetrag geregelt sind. Das zeigt, hier wird deutlich eine Regelung verbessert.

    Auch in der Altersversorgung haben wir eingeführt, dass pro Erwachsenen in einer Bedarfsgemeinschaft 200 Euro für eine private Altersversorgung, die für die reine Altersversorgung bestimmt ist, nicht verbraucht werden muss, bevor sie staatliche Unterstützungsleistungen bekommen, sondern sie sind letztlich von der Vermögensanrechnung freigestellt. Dieses muss man natürlich aufklären, auch deutlich machen. Da, wo es Härtefälle gibt, wo zum Beispiel jemand nicht in die Altersversorgung einzahlen konnte, sondern sich nur privat versichert hat, für die gilt eine besondere Härtefallregelung, so dass einzelfallbezogen den Dingen nachgegangen werden kann.

    Liminski: Aber das Ganze scheint, so wie sie das erklären, auch ein Vermittlungsproblem zu sein. Hand aufs Herz, wäre es nicht klüger, sich etwas mehr Zeit zu geben, drei oder fünf Monate mehr, und die Reform zügig aber in Ruhe den Leuten erklären, so dass sie erst ab dem 1.4. oder 1.7.2005 in Kraft tritt, aber dafür ohne Gefährdung des sozialen Friedens? Denn die Leute gehen ja nun auf die Straße.

    Brandner: Es ist ohne Frage auch ein Vermittlungsproblem, das sehe ich so. Es ist schon eine Angelegenheit, wo wir auch erleben, dass im Bundestag die Opposition einem solchen Gesetz zustimmt und auch ein niedriges Leistungsniveau gefordert hat. Kaum ist es verabschiedet, da geht man durch die Lande und sucht nach Einzelfällen, wo man angeblich soziales Unrecht mit dem Gesetz verursacht. Das ist eine Angelegenheit, die politisch verwerflich ist und, wie ich finde, offen und deutlich angesprochen werden muss.

    Ansonsten generell bei einer sinnvollen gesetzlichen Veränderung, die darauf baut, dass diese persönliche Betreuung im Vordergrund steht, dass die Frage der Vermittlung deutlich verbessert wird, dass die Integrationsleistungen systematisch aufgebaut werden, darauf zu warten, länger zu warten, wäre umgekehrt fahrlässig. Denn im Prinzip ist es so, dass die Menschen ja so schnell wie möglich unterstützende Leistungen bekommen sollen, damit sie aus der Sozialhilfefalle herauskommen.

    Liminski: Aber bisher haben die Menschen nur den Eindruck, es wird ihnen etwas genommen, und sie werden nicht unterstützt. Also es wird nur gefordert, nicht gefördert.

    Brandner: Ja, ich verstehe Sie. Das Gesetz ist am 1.1.2005 in Kraft, und dann wirkt es. Jetzt diskutieren wir über Ängste und Nöte und Sorgen und was alles nicht passieren kann. Unmittelbar nachdem der Vermittlungsausschuss diesem Gesetzespaket zugestimmt hat, war die Debatte in Deutschland schon losgebrochen, was alles nicht funktionieren könnte. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass wir uns auch etwas zutrauen und dass wir wenig mit Ängsten arbeiten.

    Ängste sind die schlechtesten Berater in einem Veränderungsprozess. Deshalb kann ich nur die Menschen auffordern und darum bitten, auch diesen Veränderungsprozess als sinnvoll und notwendig anzuerkennen und einzusehen und auf dieser Art und Weise mit dafür zu sorgen, dass wir wirklich Beispiele gegen die Langzeitarbeitslosigkeit setzen.

    Liminski: Also Augen auf und durch?

    Brandner: Die Augen müssen auf sein, und man muss natürlich auch die Kraft haben, die Veränderung umzusetzen. Ich bin nicht für eine blinde oder eine nicht argumentative Politik. Aber man muss schon auch von der Persönlichkeit her jemand sein, der deutlich macht, diese Veränderungen machen Sinn, und die Menschen auffordert, diesen Weg mitzugehen. Natürlich muss man immer darauf achten, wenn man sich umschaut, dass man auch genug Menschen hinter sich hat.
    Ein Musterblatt des "Antrags auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialversicherung", dem Antrag zum Arbeitslosengeld 2
    Ein Musterblatt des "Antrags auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialversicherung", dem Antrag zum Arbeitslosengeld 2 (AP)