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Autoabgase
"Einhaltung der Grenzwerte liegt nach wie vor in ferner Zukunft"

Die Deutsche Umwelthilfe bleibt bei ihrer Forderung nach Fahrverboten - auch wenn neue Messungen in München ergeben haben, dass die Luft dort stellenweise sauberer ist als angenommen. An vielen Straßen würden die Schadstoff-Grenzwerte weiterhin überschritten, sagte Dorothee Saar von der Umwelthilfe im Dlf.

Dorothee Saar im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.01.2019
    Dichter Verkehr schiebt sich im abendlichen Berufsverkehr über den Mittleren Ring in München.
    Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter lehne sich mit seiner Forderung, Fahrverbote aufzuheben, weit aus dem Fenster, kritisierte Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe (dpa / Sven Hoppe )
    Jasper Barenberg: Es ist nicht das erste Mal, aber einmal mehr drängt Verkehrsminister Andreas Scheuer jetzt auch bei der EU-Kommission darauf, die Grenzwerte für Autoabgase zu überprüfen. Das wird bekannt an einem Tag, an dem das Umweltbundesamt mit neuen Zahlen belegt, dass die Luftverschmutzung in den Städten nach wie vor höher ist als erlaubt, während in München zugleich Oberbürgermeister Dieter Reiter jubelt, weil eigene Messwerte der Stadt – in seinen Augen jedenfalls – zeigen, die Luft ist in München sauberer als befürchtet. Für Reiter sind damit Fahrverbote in Bayerns Hauptstadt vom Tisch. Über die nächste Runde im Streit und in der Debatte um Grenzwerte und Autoabgase berichtet für uns Nadine Lindner.
    Am Telefon begrüße ich Dorothee Saar, bei der Deutschen Umwelthilfe leitet sie den Bereich Verkehr und Luftreinhaltung. Schönen guten Tag, Frau Saar!
    Dorothee Saar: Guten Tag!
    Barenberg: Freuen Sie sich mit dem Münchner Oberbürgermeister Reiter, dass die Luft dort viel sauberer ist als gedacht?
    Saar: Wir freuen uns natürlich über Werte, die unterhalb des Grenzwertes liegen, und insbesondere hat Herr Reiter ja darauf hingewiesen, dass die Luft in den Wohngebieten unterhalb dieses Grenzwertes nur mit dem gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxid belastet ist. Wir würden allerdings uns nicht so weit aus dem Fenster lehnen, wie Herr Reiter das jetzt getan hat. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass weitere Maßnahmen getroffen werden müssen, insbesondere Fahrverbote. Die Werte, die wir jetzt haben, diese ja auch im Bericht genannten 20 Messstellen, sind ja nur ein Teil. Damit sind jetzt nur wenige Orte überprüft worden, von denen es im Vorfeld hieß, dass hier zum Teil deutliche Überschreitungen zu befürchten sind.
    "Ich stelle die Werte an sich nicht infrage"
    Barenberg: Frau Saar, machen wir da kurz einen Punkt, da kommen wir gleich bestimmt noch ausführlich zu. Ich wollte noch mal nachfragen: Sie halten also die Werte, die in München jetzt von der Stadt selber ermittelt wurden, im Unterschied zu denen vom Land, Sie halten diese Werte erst mal für aussagekräftig, valide und sicher.
    Saar: Davon muss ich jetzt ausgehen. Ich weiß leider nicht, in welcher Höhe gemessen wurde, wir haben nur eine ungefähre Angabe zu den Standorten, aber ich gehe doch mal davon aus, dass auch die Stadt sich nicht den Vorwurf gefallen lassen möchte, dass diese Werte sozusagen unlauter durchgeführt worden sind.
    Von daher stelle ich die Werte an sich nicht infrage. Es ist die Frage sozusagen, welche anderen Werte gibt es, wo gibt es nach wie vor Überschreitungen, wie hoch sind die, bis wann sind weitere Überschreitungen prognostiziert oder bis wann rechnet man mit der Einhaltung der Grenzwerte. Das liegt nach wie vor in ferner Zukunft. Wir haben an vielen Standorten nach wie vor Überschreitungen beziehungsweise anderslautende Messungen liegen uns nicht. Deswegen sehen wir da jetzt überhaupt keinen Grund, von der bisherigen Forderung und auch von den vorliegenden Gerichtsentscheiden, die es ja dazu gibt, abzurücken.
    Barenberg: Dazu sieht, glaube ich, auch der Münchner Oberbürgermeister keinen Anlass. Er hat ja zunächst mal die Schlussfolgerung daraus gezogen, dass er im Gegenteil die Umweltzone oder die Regelungen für eine Umweltzone verschärfen will, eben weil die Überschreitungen mancherorts so gravierend sind.
    Aber noch mal vielleicht zu diesen Messstellen: Kann es denn sein, dass wir mit diesem Münchner Alleingang, sag ich mal, so langsam herausfinden, dass die Messmethoden in anderen deutschen Städten so genau, wie wir das gedacht haben, eigentlich nicht sind? Die beruhen ja in wesentlichen Teilen auf sehr komplexen Berechnungen und nicht auf eigenen Messungen überall in der Stadt.
    Saar: Folgendes: In München und in anderen Städten gibt es auf der einen Seite diese Messcontainer, nenn ich sie jetzt mal, die sehr komplex sind, die das ganze Jahr über verschiedene Schadstoffe messen, die sind natürlich recht kostenaufwendig. Deswegen nutzen viele Städte, aber auch die zuständigen Landesbehörden zunehmend Passivsammler, die vergleichsweise kostengünstig sind und auch sehr zuverlässige Werte über das ganze Jahr liefern können. Ergänzend kommen Modellierungen dazu, Berechnungen, die auf der Grundlage von Verkehrsdaten, von Bebauungsstruktur et cetera sozusagen modellieren, ein Modell darüber erstellen, wie an anderen Stellen die Luftsituation ist. Das sind alles zusammen seit Jahren erprobte Methoden, die gemeinsam ein möglichst genaues Bild liefern sollen. Wenn jetzt die Stadt München ergänzend Passivsammlermessungen macht, ist das sicherlich zu begrüßen. Je mehr wir wissen in dieser Frage, desto besser wird es sein.
    Die Berechnungen, von denen wir ursprünglich ausgegangen sind, die ergänzend zu den offiziellen Messwerten für München ja aufgestellt wurden, die sind vorgelegt worden, weil der bayrische Verwaltungsgerichtshof verlangt hat, dass es für das gesamte Stadtgebiet eine Aussage gibt, wie viele Straßenabschnitte mit Überschreitungen zu rechnen haben. Das waren dann insgesamt 257 Abschnitte. Und von diesen Abschnitten sind jetzt an 21 Orten ergänzende Messungen durchgeführt worden, und da sind erfreulicherweise nicht alle 20, sondern eben nur ein Teil – in dem Bericht hieß es vier von 20 – tatsächlich mit Überschreitungen belegt. Es gibt weitere vier oder fünf Standorte, die sind sehr knapp unter dem Grenzwert, aber nach wie vor bleibt ja ein sehr großer Abschnitt oder sehr weite Abschnitte – in den Unterlagen der Behörden ist von 52 Kilometern die Rede –, die auch im kommenden Jahr noch Überschreitungen aufweisen werden.
    "Hier sollte ganz klar der Schwerpunkt auf der Diskussion von Lösungen liegen"
    Barenberg: Das heißt, Fahrverbote vom Tisch, so wie das der Münchner Oberbürgermeister jetzt sagt, so weit würden Sie auf keinen Fall gehen.
    Saar: Genau, ich würde dafür überhaupt keinen Anlass sehen. Wir haben auch in der Landshuter Allee nach den offiziellen Messungen nach wie vor 66 Mikrogramm – der Grenzwert liegt bei 40 –, auch am Stachus sind es 48, und wie gesagt dann diese 52 Kilometer innerstädtischer Straßen.
    Es werden jetzt sicherlich weitere Messungen dazukommen, aber wie gesagt, je mehr wir da wissen, desto besser ist es ja. Es gibt jetzt aber keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Wir sind ja sehr froh, dass an vielen Orten jetzt zunehmend die Diskussion darüber intensiver geführt wird, wie eigentlich innerstädtische Mobilität zu gestalten ist, um nicht nur die Luft sauberer zu machen, sondern auch andere Verkehrsprobleme, die es ja in vielen Städten gibt, anzugehen – entweder mit Blick auf die Klimaschutzziele oder die Lärmbelastung, Verkehrssicherheit et cetera.
    Und wir würden uns freuen, wenn wir uns jetzt nicht sozusagen über vier von 20 zusätzlichen Messpunkten streiten würden, wenn wir auf der anderen Seite wissen, es gibt mehr als 50 Kilometer mit Überschreitungen auch im kommenden Jahr. Hier sollte ganz klar der Schwerpunkt auf der Diskussion von Lösungen liegen und nicht …
    Barenberg: Der Verkehrsminister, Frau Saar, sieht es ja bekanntlich anders. Er wird jetzt in Brüssel vorstellig, um sozusagen anzuregen, dass man doch mal den Grenzwert an sich von 40 Mikrogramm noch mal überprüft, weil sich eben Zweifel, wissenschaftliche Zweifel daran ergeben haben in den letzten Wochen. Nun liegt diese Festlegung ja, wenn ich es richtig weiß, zwei Jahrzehnte gerade zurück insgesamt, von Anfang an der Diskussion. Ist das Anlass genug, jetzt einmal zu gucken, ob das alles noch so Stand der Wissenschaft heute ist?
    Saar: Es ist richtig, der Grenzwert wurde vor 20 Jahren verabredet, er wurde aber im Jahr 2005 noch mal erneut festgelegt, und die letzte größere veröffentlichte Zusammenschau der Weltgesundheitsorganisation zu diesen Fragen ist von 2013.
    Also mit anderen Worten, es wird fortlaufend weiter untersucht auf diesem Gebiet, es werden weiterhin Studien veröffentlicht, und aktuell ist auch die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, dabei, ihre Empfehlungen neu zu formulieren – sowohl mit Blick auf den Feinstaub als auch auf NO2.
    Beim NO2 folgt ja die europäische Gesetzgebung der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, beim Feinstaub ist es nicht so, da haben wir deutlich laschere Grenzwerte, als die WHO uns das empfehlen würde.
    Beide, also nicht nur die WHO-Empfehlungen, auch die europäische Luftreinhalte… werden ja derzeit überprüft. Bei der europäischen Luftreinhaltelinie heißt es Fitnesscheck, das wird so geprüft wie alle anderen oder eine Großzahl von anderen Richtlinien auch.
    Die Aussagen von Herrn Köhler und seinen Mitstreitern sind ja mit einer ganz breiten Welle von qualifizierten Gegenstimmen widerlegt worden. Also es ist weder so, dass diese Werte gewürfelt sind, sondern die basieren auf umfassenden Langzeit-, Kurzzeitstudien, die im Laufe der letzten Jahre erstellt wurden und weiterhin erstellt werden. Sie entsprechen den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation.
    Wenn Herr Scheuer sich jetzt an den Verkehrskommissar wendet, dann ist das zum einen die falsche Adresse, und zum anderen würde mich wundern, wenn die Kommission in dem Punkt nachgibt, wo sie gleichzeitig ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor das europäische Gericht gebracht hat, gerade weil wir diese Grenzwerte nicht einhalten.
    Barenberg: Dorothee Saar hier live im Deutschlandfunk von der Deutschen Umwelthilfe. Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch, Frau Saar!
    Saar: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.