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Autobiografie
Avi Primor - 40 Berufsjahre in der Diplomatie

Er war von 1993 bis 1999 Botschafter von Israel in Deutschland: Avi Primor. Vor einem Jahr noch als Romanautor in Erscheinung getreten, legt der fast 80-Jährige eine umfangreiche Autobiografie vor. Darin lässt er die Stationen seines spannenden diplomatischen Lebenswegs nochmals Revue passieren.

Von Norbert Seitz | 16.02.2015
    Avi Primor
    Der israelische Diplomat und Publizist Avi Primor. (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    "Ich bin ja in Tel Aviv geboren, ich bin nicht aus Europa oder wo gekommen (...) Und ich bin mit der Idee aufgewachsen, dass wir Juden, um in Würde zu leben, wie der Gründer der zionistischen Bewegung, Herzl, es gesagt hat, müssen wir in einem eigenen Staat leben. (...) Mit dieser Idee sind wir aufgewachsen. Es war nicht eine Idee von Eroberung, nicht eine Idee von Nationalismus, es war eine Idee von Leben in Würde."
    Avi Primor ist Sohn eines niederländischen Emigranten und einer deutschen Mutter, die nur knapp der Hölle des Nationalsozialismus' entging. Er fühlt sich nach einem Wort seines Schulrektors "einer Generation der Erlösung" zugehörig, die zum ersten Mal nach 2.000 Jahren wieder einen jüdischen Staat bekommen sollte. Deshalb war er schon früh entschlossen, sich am Überleben Israels als Diplomat zu beteiligen. Sein beruflicher Ehrgeiz gründete dabei auf der Lehre:
    "Wenn wir eine Lehre aus dem Holocaust gezogen haben, dann hauptsächlich diese: Wir werden nie wieder wie Lämmer zur Schlachtbank gehen."
    Als junger Diplomat in Schwarzafrika
    Doch der junge Diplomat mit Wohnsitz in Jerusalem fand keine günstige Gemengelage vor, als er Anfang der 1960er-Jahre von Außenministerin Golda Meir ins unabhängig werdende Schwarzafrika geschickt wurde.
    "Damals war Israel von der Welt belagert. Die meisten Länder der Welt wollten Israel nicht anerkennen, die meisten Länder der Welt wollten mit Israel keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen. Und das hätte für Israel fatal sein können (...) weil Israel damals ein kleiner und noch armer Staat war und von der Außenwelt sehr abhängig war (...). Und diese diplomatische Belagerung zu durchbrechen, das war für mich (...) ein großer Ehrgeiz."
    Da es kaum Kontakte zur arabischen und kommunistischen Welt gab, war die Arbeit mühsam. Erste Missionen wurden in Burma, dem heutigen Myanmar, in der Elfenbeinküste und in Dahomey, dem heutigen Benin, aufgebaut.
    "Diese Dritte Welt war natürlich mehr an der islamischen Welt interessiert, weil sie ja so zahlreich sind, nicht nur erdölreich (...) Also hat uns die Dritte Welt insgesamt boykottiert. Wir waren so ein Paria."
    Entsetzt war Primor auch, wie problemlos Teile der deutschen Protestbewegung mit der PLO sympathisierten.
    "Wie konnten die Nachkommen der Nazis, die endlich ihre Vergangenheit zu bereuen begannen, ausgerechnet jetzt zu Feinden der Juden werden?"
    Die Karriere des Avi Primor verlief weder glatt noch ohne Rückschläge. Beim Regierungswechsel 1977 verlor er seine Position im Auswärtigen Amt, dessen neuer Chef Mosche Dajan entschied:
    "Alle Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes behalten ihren Posten. Mit einer Ausnahme. Der Sprecher Primor muss weg. Und zwar, noch bevor ich ankomme."
    Unter dem nächsten Außenminister wurde Avi Primor jedoch wieder Leiter der Afrika-Abteilung im Außenressort, ein seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 ziemlich verwaistes Terrain. Die diplomatischen Beziehungen zu fast allen afrikanischen Staaten waren abgebrochen - abgesehen von Südafrika, Malawi und Swasiland. Primor knüpfte Beziehungen zu Liberia, dem Tschad und Togo, ehe er für vier Jahre als Botschafter nach Brüssel wechselte. Dort sah er sich vor eine große diplomatische Aufgabe gestellt.
    "Ich fand, dass es für Israel unentbehrlich wäre, sich mit der Europäischen Union total zu verbinden, das heißt, ich wollte eigentlich nicht nur mit der Europäischen Union Verträge schließen, sondern in der Europäischen Union verankert werden, also instrumentalisiert (...) werden, damit nicht jede kleine politische Krise unsere Beziehungen zu der Europäischen Union sofort infrage stellt."
    Botschafter Israels in Deutschland
    Als Avi Primor 1993 Botschafter Israels in Deutschland wird, begriff er rasch:
    "Dass Deutschland für uns die Lokomotive, der Motor (...) sein könnte (...) Und die Deutschen haben sich tatsächlich bemüht und haben dafür gesorgt, dass wir letzten Endes von allen Mitgliedern der Europäischen Union diesen privilegierten Status bekommen."
    Deutsch ist die Sprache seiner in Frankfurt am Main aufgewachsenen Mutter, aber nicht seine Muttersprache. Auch wenn sich sein Deutschland-Bild gewandelt hat, so ist Primor dennoch überrascht, wie sehr die Vergangenheit immer noch eine herausragende Rolle spielt.
    "Nicht weil ich sie angesprochen habe, sondern weil immer, immer wieder (...) meine deutschen Gesprächspartner die Vergangenheit angesprochen haben (...)Das war mir total fremd (...) Und ich war darauf nicht vorbereitet."
    Primor musste vermitteln zwischen dem empörten Zentralrat der Juden in Deutschland und dem erzkonservativen Premier Shamir in Israel, der Kanzler Kohl bedrängte, Juden aus Russland nicht aufzunehmen.
    "Wie können wir denn, dachte ich, von den Deutschen verlangen, dass sie per Gesetz Unterschiede zwischen Juden und Nicht-Juden machen? Noch ärger: Wie können wir von den Deutschen verlangen, dass sie ein judenfreies Deutschland anstreben?"
    Verdienste aus der Zeit in Bonn
    Dass es heute mehr Städtepartnerschaften und Jugendaustausch Israels mit Deutschland als mit irgendeinem Land gibt, inklusive den USA, gehört mit zu Avi Primors Verdiensten während seiner Zeit in Bonn. Er organisierte noch den Berlin-Umzug seiner Botschaft, ohne selbst mit umzuziehen. Und es war ihm Ehrensache und Herzensbedürfnis zugleich, 1999 den Sarg des verstorbenen Ignatz Bubis nach Israel zu überführen. So zieht Avi Primor, der in diesem Jahr 80 wird, nach 40 Berufsjahren in der Diplomatie eine ansehnliche Bilanz, ohne aber seinen Einfluss zu überschätzen.
    "Ein gutes Gefühl hab´ ich (...). Und ich glaube, ich konnte als Zeuge, als Beobachter an verschiedenen interessanten Sachen teilnehmen, viele Sachen, die für den Staat Israel eine wichtige Rolle gespielt haben. Also ich würde sagen: in aller Zufriedenheit."
    Avi Primor: "Nichts ist jemals vollendet. Die Autobiografie", 448 Seiten, Quadriga Verlag, 22, 99 Euro.