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Autofirmen in Großbritannien
Ein Zulieferer schaut, dass er Land gewinnt

Für Automobilzulieferer und ihre komplexen Lieferketten ist die Brexit-Unsicherheit Gift. Gregory McDonalds Belegschaft in Birmingham hat trotzdem größtenteils für den EU-Austritt gestimmt. Nun bereitet der Firmenchef eine Verlagerung seines Geschäfts aufs europäische Festland vor.

Von Sandra Pfister | 18.03.2019
Montage eines Nissan-Pkw in einer Fabrik
Viele Autohersteller und -zulieferer, unter anderem Nissan, zieht es fort aus Großbritannien (imago stock&people)
Greg McDonald hatte seine Mitarbeiter gewarnt.
"Ich habe ihnen vor dem Referendum gesagt, dass es nicht gut wäre für unsere Firma, wenn sie für den Brexit stimmen. Sie haben mich ignoriert und größtenteils für den Brexit gestimmt."
Die Goodfish Group beschäftigt 125 Mitarbeiter. Die meisten sind einfache Arbeiter.
"Ich habe ihnen nach der Abstimmung gesagt, dass Goodfish in Zukunft außerhalb Englands wachsen und investieren wird. Ich will jetzt international expandieren, statt mitgefangen zu sein in dem, was in Brexit-Land passiert. Sie haben gesagt: Es ist Deine Firma, Du entscheidest, was Du tust, und wir müssen es nehmen, wie es kommt. Aber sie sind nach wie vor glücklich, dass Brexit gewonnen hat."
Gregory McDonald ist es nicht. Er ist ein Hüne von einem Mann, groß, schlank, auf dem Weg durch die Werkshalle mit den riesigen blauen und roten Maschinenarmen legt er ein strammes Tempo vor.
Ein Drittel der Produktion geht aufs Festland
Hier und da bleibt er stehen, unterhält sich mit Arbeitern, die Plastikteile, die die Maschinen ausspucken, aufnehmen und verpacken.
"Bei diesen Maschinen wird Plastik in die Trichter eingefüllt, das wird hier erhitzt und geschmolzen und dann in die Formen gepresst. Sie können sehen, wie sich die Form dort öffnet. Entweder werden die Teile von einem Roboter rausgeholt, oder sie fallen raus. Und dann werden sie von unseren Angestellten in Boxen verpackt und zu den Kunden geschickt."
Dieser Beitrag gehört zur Reportagereihe "Lost in Brexit – Französisch-britische Trennungsgeschichten" in der Sendung "Gesichter Europas".
Ein Drittel seiner Produktion geht direkt aufs europäische Festland; jede Woche verschifft McDonald eine Ladung nach Polen, alle zehn Tage geht eine in die Tschechische Republik. Auch die Automobilkomponenten, die zunächst im Vereinigten Königreich bleiben, landen später größtenteils auf dem europäischen Festland.
"Das sind Abschleppösen für den Mini."
McDonald plant Zweigstelle in der Slowakei
Je nachdem, welcher Brexit komme, werden immer mehr Autokonzerne ihre Produktion in Großbritannien eindampfen, vermutet Gregory McDonald. Und dann werde auch er seine Zelte nach und nach abbrechen.
"Ja, wir haben im vergangenen Jahr schon eine Firma in der Slowakei gegründet."
Die britischen Arbeiter würden erst aufwachen, wenn ihre Jobs verschwinden. Wenn Importieren und Exportieren durch Zölle viel teurer werde, lohne sich das alles hier kaum noch.
"Nach und nach, vermute ich, könnten unsere drei Standorte im Vereinigten Königreich auf zwei schrumpfen."
Fast nichts in dieser Fabrik aus England
Um mir zu zeigen, was er meint, legt er seine Hand auf einen großen roten Roboterarm, der mit flüssigem Plastik gefüllte Spritzdüsen zu den Förmchen bringt, in denen das Plastik erkaltet. Made in Italy, made in France. Nahezu nichts in dieser Fabrik stamme aus Großbritannien.
"Diese Maschinen kommen aus Italien und Österreich. Die Roboter sind aus China, aus Italien oder aus Frankreich, sie sind nicht aus England."
Seit dem Brexit-Votum hat das Pfund an Wert eingebüßt; das sei, sagt McDonald, ein klarer Beweis, dass die Märkte erwarteten, dass der Brexit der britischen Wirtschaft schaden werde.
"Als wir vergangenes Jahr in neue Maschinen investiert haben, haben wir statt fünf Maschinen nur noch vier kaufen können, für dasselbe Geld."
Mitarbeiter hat für "Leave" gestimmt
Das Firmen pleitegehen können durch den Brexit, das ist, in der Theorie, auch Andy Dicken klar. Andy ist vielleicht Ende 30, Anfang 40, er sitzt am Rande der Werkshalle, McDonald schüttelt ihm die Hand, der Senior fragt, wie es läuft, mehr geht nicht, die Maschinen machen zu viel Lärm. Beim Thema Brexit wirkt Andy auf einmal defensiv.
"Das wird sich vermutlich auf die Arbeitslosigkeit auswirken. Firmen werden ihr Geld woanders investieren und darin, neues Personal zu finden. Sie müssen mehr fürs Verschiffen ausgeben. Sie werden also vielleicht nicht mehr so viel Geld haben, um neue Leute einzustellen."
Trotzdem hat Andy für den Brexit gestimmt. Er gibt es nicht sofort zu, sagt, wofür er gestimmt habe, das würde er gerne für sich behalten. Andy glaubt auch, dass es ihn nicht treffen wird.
"Beruflich nicht. Privat vielleicht, was Urlaube anbelangt im Ausland, vielleicht wird das teurer. Was die Firma angeht, definitiv, was wir importieren, was wir ausführen, aber hoffentlich nicht so viel."
Sein Boss hebt und senkt die Schultern; er, der kühl kalkulierende Geschäftsmann, ein Brite, der in Frankreich, der Schweiz und Deutschland aufgewachsen ist, scheint mit seinem Latein am Ende zu sein.
"Das ist diese British-Bulldog-Insel-Mentalität"
Als das Mikrofon aus ist, erzählt er vom Brexit-Riss, der quer durch seine Familie geht. Er erzählt von seinem Vater, einem ehemaligen McKinsey-Berater, der den größten Teil seines Lebens außerhalb Englands verbracht hat. Auch sein Vater, ein internationaler Wirtschaftsexperte, habe für den Brexit gestimmt.
"Sie glauben, dass da nur Ängste geschürt werden und Great Britain great ist, sie haben diese British-Empire-Bulldog-Mentalität, wir waren mal eine große Handelsnation, wir sind die fünftgrößte Handelsmacht der Welt, dann werden wir doch wohl überleben. Das ist diese British-Bulldog-Insel-Mentalität: Wir sind nicht wie die, wir sind anders."