Jule Reimer: Herr Meinzer, wie gut funktionierte bisher die Weitergabe von Daten über Kapitalerträge im Rahmen der bereits existierenden EU-Zinsrichtlinie?
Markus Meinzer: Also, da gab es große Schlupflöcher und Schwächen in beide Richtungen. Zum einen, was die Daten angeht, die ins Ausland geflossen sind, waren im Jahr 2012 etwa nur 25 Milliarden an Anlagen betroffen. Bei über 2.500 Milliarden von Steuerausländern ist das nur ein winziger Anteil. Es war klar, dass viele Schlupflöcher bestehen, die man aber jahrelang auch nicht geschafft hat zu schließen, da gab es politisch Verzögerungen. Umgekehrt gab es aber auch vier Jahre lang Verzug bei der Auswertung der Daten, die aus dem Ausland kamen.
Reimer: Wo war der Verzug?
Meinzer: Der lag daran, dass die Daten vom Bundeszentralamt für Steuern nicht weitergereicht werden konnten an die Länder auf eine Art und Weise, die den Ländern genehm war, weil die Länder die Anforderungen gestellt hatten, dass gewisse Nummern schon zugeordnet werden und dass es hier ein Kompetenzgerangel gab zwischen Bundeszentralamt für Steuern und den Länderfinanzbehörden. Und erst 2010 wurden die Daten für die Jahre 2005 bis 2008 dann schließlich übermittelt. Also bis zu vier Jahre im Verzug. Da gab es also wirklich tatsächlich große Verzögerungen und technische Probleme.
"Dass da wirklich ein Steuerhinterzieher auffliegt, ist unwahrscheinlich"
Reimer: Das heißt, nach 2010 haben dann tatsächlich die Steuerzahler, die vielleicht Geld im Ausland angelegt hatten im europäischen Ausland und von der EU-Zinsrichtlinie erfasst wurden, dann noch mal vom Wohnsitz-Finanzamt Post bekommen?
Meinzer: Nur in knapp vier Prozent der Fälle war das der Fall, weil natürlich die ganzen ausländischen Investoren, grenzüberschreitenden Investoren davon ja Kenntnis hatten und haben, gut beraten sind und natürlich ihre Investitionen in aller Regel vorher umstrukturieren konnten. Also, dass da wirklich ein Steuerhinterzieher auffliegt damit, ist sehr unwahrscheinlich. Der Effekt ist vor allem ein vorbeugender Abschreckungseffekt, der dadurch erzielt wird.
Reimer: Bedeutet jetzt der automatische Informationsaustausch, dass jetzt wirklich alle Vermögensdaten der Privatanleger beim zentralen Steueramt ihres jeweiligen Heimatlandes auch gemeldet werden?
Meinzer: Das ist fraglich, denn es gibt eine Menge von Schlupflöchern, Rechtslücken, aber auch bei der Umsetzung kann noch sehr viel schiefgehen. Beispielsweise sind nur eine Reihe von Ländern ja davon betroffen. Die USA haben von vornherein gesagt, sie werden gar nicht mitmachen, und umgekehrt liefern sie nur ein minimales Informationsrinnsal an europäische oder andere Staaten. Dann gibt es Firmenkonten nach wie vor, Treuhandkonten, wo Schlupflöcher bestehen für Banken, wo sie sich hinter den Regeln bei der Geldwäschebekämpfung verstecken können …
Reimer: Wir reden jetzt über private Anleger nur, sagen Sie nur erst mal was über private Anleger.
Meinzer: Ja gut, die bedienen sich ja solcher Firmenkonten oder Konstrukte, das sind ja Wohlhabende, Vermögende, die nutzen ja in der Regel nicht Konten auf den eigenen Namen, sondern nutzen Trust-Konstruktionen, Stiftungskonstruktionen oder Firmenkonstruktionen, die sie in der Tat kontrollieren und hinter denen sie sich verstecken, aber die dennoch formal Firmenkonten sind. Und um die geht es und da gibt es Lücken dabei, wie man jetzt wirklich identifizieren muss als Bank, wer ist der wahre Eigentümer dahinter, also die wirkliche, natürliche Person? Dann sind auch solche Konten von Firmen unter 250.000 Euro ausgenommen. Da gab es regelrecht einen Boom an Angeboten im Internet im Vorfeld, dass man diese Konten gründen konnte und mit dem Hinweis, dass diese von der Meldung ausgenommen bleiben werden, zumindest Eilkonten bis Ende des Jahres gegründet. Also, hier gibt es erst mal Schlupflöcher rechtlicher Art. Und bei der Umsetzung kann es natürlich auch noch sehr dolle hapern. Denn was tatsächlich dann gemeldet wird vor Ort, wie die Umsetzung geschieht, steht ja in den Sternen. Und …
Reimer: Was meinen Sie, wenn Sie sagen, was tatsächlich gemeldet wird? Also, wo gibt es da Manipulationsmöglichkeiten?
Meinzer: Der Banker muss ja zunächst einmal ehrlich sein bei der Durchführung dieses Gesetzes. Er muss einen Anreiz haben, ehrlich zu sein. Und wenn er jetzt einen Kunden hat, angenommen mehrere Millionen Euro an Geld angelegt, und dieser Kunde bittet inständig darum, nicht gemeldet zu werden, dann ist es ja eine Frage, ob ich mir vom Kunden das versilbern lasse, diesen Wunsch, und darauf eingehe, oder ob die Angst vor einer Sanktion größer ist.
Reimer: Man meldet gar nichts oder man macht einfach falsche Angaben? Also, was ist da denkbar?
"Es dürfte sich relativ wenig ändern"
Meinzer: Genau. Man kann da schlichtweg zum Beispiel den Namen leicht ändern, ein Geburtsdatum oder die Steuernummer ändern oder aber auch das Wohnsitzland ändern. Und …
Reimer: Das heißt, statt Deutschland Cayman Islands und dann geht die Meldung auf die Cayman Islands?
Meinzer: Ganz genau so kann das funktionieren. Und damit wäre dann dieses Konto nicht ordentlich gemeldet. Aber selbst wenn der deutsche Banker dabei auffliegt, haben wir im Gesetz nur eine Maximalstrafe selbst bei Vorsatz von 50.000 Euro. Das ist sehr, sehr schwach und wenig auch im Vergleich. Beispielsweise die Schweiz hat 250.000 Franken als Obergrenze und die Niederlande schicken gar Banker, die das vorsätzlich tun, bis zu drei Jahre ins Gefängnis.
Reimer: Also kein Geld in den Niederlanden anlegen!
Meinzer: Das dürfte dort ordentlicher umgesetzt werden als in Deutschland, ganz richtig.
Reimer: Tax Justice Network kämpft ja insgesamt für mehr Steuergerechtigkeit und erhebt gegenüber Deutschland den Vorwurf, es schade Entwicklungsländern, weil es Fluchtkapital aus diesen Staaten beherberge, ohne nach dem Ursprung zu fragen und auch dieses Geld wirklich zu besteuern. Ändert sich das denn jetzt mit dem automatischen Informationsaustausch? Sie haben ja eine Schwäche sozusagen in Deutschland, diese relativ niedrige Strafe im Fall von Manipulation schon genannt.
Meinzer: Das ist mehr als fraglich, es dürfte sich relativ wenig ändern. Denn Deutschland wird auch nur mit ausgewählten Ländern den Informationsaustausch anfangen und dazu zählen eben nicht Entwicklungsländer. Deutschland wollte von vornherein nur mit Ländern austauschen, die auch im Umkehrschluss bereit sind, Daten an Deutschland zu liefern. Nun ist es natürlich absurd zu erwarten, dass deutsche Anleger ihr Geld beispielsweise in Nigeria verstecken. Aber genau das fordert der deutsche Fiskus als Voraussetzung, dass man so tut, als würden Deutsche ihr Geld in Nigeria verstecken. Und erst wenn Nigeria sich bereit erklärt, all diese komplizierte Regelwerke umzusetzen, würde man dann auch Nigeria Daten über deren Steuerflüchtlinge in Deutschland bereitstellen. Außerdem weigert sich Deutschland auch, bei einem Pilotprojekt der OECD teilzunehmen, Großbritannien, Frankreich, Australien, viele Staaten nehmen daran teil, Deutschland möchte auch hier offenbar auf die Bremse treten.
Reimer: Stichwort Steuergerechtigkeit: Inwieweit werden denn auch die Vermögens- und Kontodaten von multinationalen Unternehmen dann ausgetauscht im Rahmen des automatischen Informationsaustausches?
"Wir wissen gar nicht, wie der Ausgang bei den Daten-CD-Verfahren war"
Meinzer: Die sind davon ganz ausgenommen. Denn es sind nur solche Vermögenskonstrukte oder Konten Ziel dieses Systems, die sogenannte Vermögensverwaltung betreiben. Also, nur wenn ein Unternehmen an der Börse notiert ist, aber auch wenn es wirtschaftlich aktive Einkünfte erzielt, so nennt man das – also durch unternehmerisches Handeln Einkünfte erzielt –, dann werden diese eben nicht erfasst. Hier auch wieder ein Grenze, die eben missbraucht werden kann. Die Grenze ist willkürlich bei 50 Prozent der Einkünfte, also, da könnte man auch tricksen in der Hinsicht.
Reimer: Noch einmal ein Blick auf Deutschland: Sie fordern mehr Transparenz im Steuerverfahren ein. Also warum und wo genau?
Meinzer: Wir haben das Problem, dass wir gar nicht wissen, wie der Ausgang etwa bei den ganzen Daten-CD-Verfahren war. Wir wissen auch nicht bei den Whistleblower-Verfahren beispielsweise, die HSBC-Daten, was dabei herauskam. Man kann es nur bruchstückhaft herausfinden. Und was man dann zutage fördert, ist besorgniserregend. Denn beispielsweise im Fall der liechtensteinischen LGT-Bank, die Verfahren, die um Zumwinkel damals als bekanntester Fall verhandelt wurden, da ist keine einzige Strafe ohne Bewährung ausgesprochen worden in Nordrhein-Westfalen, vermutlich ganz deutschlandweit nicht, sehr sicher deutschlandweit nicht. Bei HSBC wissen wir das nur für Nordrhein-Westfalen, dass auch dort keine Haftstrafe ohne Bewährung, noch nicht einmal mit Bewährung, meine ich, ausgesprochen wurde. Also, die Öffentlichkeit hat momentan keinerlei Möglichkeit zu überprüfen, ob die Steuerjustiz, Strafjustiz hier ordentlich funktioniert. Die Gerichtsurteile in Deutschland unterliegen dem Steuergeheimnis oft. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit oft, die Urteile selbst im Steuerstrafverfahren, in abgeschlossenen Verfahren einzusehen.
Reimer: Aber das ganze Verfahren Uli Hoeneß war sehr öffentlichkeitsbreit angelegt.
Meinzer: Das Verfahren von Uli Hoeneß ist ein gutes Beispiel, denn das Urteil wurde mehrere Monate lang nicht veröffentlicht und dann wurde es schließlich erst veröffentlicht, nachdem ein Rechtsprofessor mehrere Wochen und Monate lang versucht hat, diese Veröffentlichung zu erwirken, und dann eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Person im Landgericht München eingereicht hat. Und daraufhin wurde dieses Urteil dann tatsächlich geschwärzt veröffentlicht. Daran kann man sehen, es ist selbst in so einem prominenten Fall ein Ding beinahe der Unmöglichkeit gewesen, dieses Urteil zu veröffentlichen. Und man kann sich dann vorstellen, wie das ist in all den anderen Verfahren. Also, man weiß quasi nichts, wie die deutsche Steuerstrafjustiz tatsächlich arbeitet.
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