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Autor Goldhagen fordert Kopfgeld für Völkermörder

"Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist" heißt das Buch von Daniel Goldhagen, in dem er provokant unseren - und den Umgang der UNO - mit Massen- und Völkermord infrage stellt. Solche Mörder müssten zu "Feinden der Menschheit" erklärt werden.

16.10.2009
    Jasper Barenberg: Wie genau vollzieht sich ein Völkermord? Was macht eigentlich gewöhnliche Menschen zu Massenmördern und warum sieht die Welt meist so tatenlos zu? Antworten auf diese Fragen gibt Daniel Goldhagen in seinem neuen Buch. "Schlimmer als Krieg", hat er es genannt, "Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist." Es enthält einigen Zündstoff und gleicht darin seinem Buch über den Holocaust und den mörderischen Judenhass in Deutschland in den 30er-Jahren. Vor allem deshalb ist der Wissenschaftler und Autor aus Boston hierzulande kein Unbekannter.
    Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Daniel Goldhagen zu sprechen: über die Ergebnisse seiner Recherchen, über seine Forderungen an die Weltgemeinschaft und darüber, inwieweit sich der Holocaust mit anderen Völkermorden und Massakern seitdem vergleichen lässt.

    Daniel Goldhagen: Wenn man solche Fälle von Massenmord oder Völkermord untersucht, dann stößt man immer wieder auf gemeinsame Kennzeichen. Es muss Hass geschürt werden, Vorurteile müssen in einem weiten Teil der Bevölkerung vorhanden sein. Wenn diese dann mobilisiert werden, dann wird dadurch auch bei vielen die Bereitschaft erzeugt, zu töten. Dazu muss noch ein Staat kommen, eine politische Führung, die bereit ist, all dieses Potenzial zu entfesseln. Wenn diese beiden Faktoren zusammentreten, dann sehen wir wieder und wieder massenhafte Vertreibungen, wir sehen Verfolgungen und wir sehen auch den Massenmord. Das gilt für den Holocaust, es gilt für die Massaker in Bosnien oder Ruanda. Wir in der Soziologie und den Sozialwissenschaften müssen natürlich bemüht sein, gemeinsame Wesensmerkmale dieser Völkermorde herauszuarbeiten, um dann politisches Handeln so zu beeinflussen, dass solches nicht wieder vorkommt.

    Barenberg: Völkermord, so ein Ergebnis in Ihrer Studie, sei keine Naturkatastrophe, sei von Menschen gemacht, Folge Kalkül und Interesse. Was ist bahnbrechend an dieser These?

    Goldhagen: Die meisten Menschen sind geneigt, Völkermorde als quasi naturhafte Ereignisse anzusehen. Der Völkermord bricht aus. Ich hingegen betrachte solche Völkermorde als politische Ereignisse, die stets auch irgendwelche politischen Ziele verfolgen, und dieser Ansatz, so seltsam das klingen mag, ist bisher nicht verfolgt worden. Er ist aber notwendig, um uns instand zu setzen, politisch zu reagieren und alle Mittel und Wege einzusetzen, um derartige Massenmorde und Völkermorde zu verhindern.

    Barenberg: Warum ist es Ihnen so wichtig, den Begriff Völkermord, Genozid zu ersetzen durch einen Begriff, den Sie Eliminationismus nennen?

    Goldhagen: Der Völkermord oder Genozid ist nur ein Mittel, das der Politik zu Gebot steht, um solche eliminatorischen Maßnahmen durchzuführen, und ich versuche, alle solche politischen Pläne und Programme unter dem Begriff Eliminationismus zusammenzufassen. Darunter verstehe ich all jene politischen Bestrebungen, die darauf abzielen, einen Teil der Bevölkerung, bestimmte Bevölkerungsgruppen als unerwünscht oder als bedrohlich darzustellen und sie deswegen dann loszuwerden. Wir müssen also diese politischen Grundlagen der eliminatorischen Maßnahmen bedenken.
    Die Mittel zur Umsetzung solcher Maßnahmen sind mannigfaltig. Es beginnt bei massiver Unterdrückung. Das letzte Mittel ist eben die Massentötung. Alle diese Mittel gilt es, vor dem Hintergrund der zugrunde liegenden eliminatorischen Politik zu betrachten, die eben darauf abzielt, sich bestimmter Bevölkerungsteile zu entledigen, und nur wenn wir dies begreifen, wird es uns auch möglich sein, diese Völkermorde und eliminatorische Politik überhaupt angemessen einzudämmen. Wir müssen alle diese Eliminationismen als Katastrophen betrachten, denen es mit sehr viel Entschlossenheit und Kraft entgegenzutreten gilt.

    Barenberg: Sie versprechen in Ihrem Buch ja auch Antworten auf die Frage, wie kann die internationale Gemeinschaft Völkermorde stoppen, wie kann sie sie verhindern, wie kann sie sie sanktionieren, und Sie stellen der internationalen Gemeinschaft ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Warum?

    Goldhagen: Die Staatengemeinschaft hat einen nach dem anderen dieser eliminatorischen Angriffe an sich abrollen lassen während unserer Zeit, ohne fast je irgendetwas dagegen unternommen zu haben, und wir haben auch keinerlei System, das geeignet wäre, so etwas zu verhindern. Wir brauchen ein tragfähiges System, um Völkermord und Eliminationismus zu verhindern. Dieses System müsste drei Merkmale aufweisen: Es müsste zur Vorbeugung, zur Prävention geeignet sein, es müsste die Intervention erlauben und es müsste auch die Bestrafung der Täter ermöglichen. Zurzeit haben wir keinerlei präventive Maßnahmen zur Verfügung, wir haben sehr wenig interventionistische Maßnahmen und wir haben ein sehr ächzendes, ein sehr mühseliges Räderwerk an internationaler Strafgerichtsbarkeit für solche Verbrechen.

    Barenberg: Es gibt das internationale Völkerrecht, es gibt internationale Tribunale, die Völkermorde ahnden. Was mehr könnte geschehen und wer sollte stärker handeln als bisher?

    Goldhagen: Nun, einer der Ansätze, um so etwas zu bekämpfen, wäre es, dass man Menschen, die Völkermord begehen, zu Feinden der Menschheit erklärt. Wir haben bereits diese Rechtsfigur im Falle der Piraterie. Wir brauchen etwas Ähnliches, um den Genozid zu bekämpfen. Es würde bedeuten, dass alle politischen Führer in Haftung genommen werden. Das Gleiche gölte für die militärische und die Polizeiführung. Stellen wir uns vor, dass ein Kopfgeld ausgesetzt würde. Wir in den USA haben ja bereits so etwas für die Bekämpfung der Terroristen. Jeder, der Völkermord beginge, müsste ab sofort dann sich darauf einstellen, dass er verfolgt und gejagt wird. Er könnte nicht mehr sicher sein, dass selbst die Mitglieder der eigenen Leibwache ihn nicht ergriffen, um zum Beispiel eine Million Kopfgeld einzustreichen. Dies alles klingt natürlich sehr radikal und umstürzerisch, aber das eigentlich Radikale, das Schlimme ist doch der Status quo, wo wir tatenlos zusehen, wie wirklich Millionen und Abermillionen von Menschen getötet werden.

    Barenberg: Aber, Herr Goldhagen, Kopfgeld und der Aufruf, Massenmörder zu exekutieren, kann das die Antwort im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und internationalem Recht sein?

    Goldhagen: Die internationale Rechtsordnung muss man in den Fragen des Völkermordes doch für bankrott erklären. Die Vereinten Nationen sind im Grunde eine Organisation, die den Völkermord geradezu ermöglicht, denn sie operieren ja mit diesem Begriff der sogenannten staatlichen Souveränität und das bedeutet, dass Staaten eingeräumt wird, ihre eigene Bevölkerung hinzumetzeln, und so werden eben Millionen und Millionen von Menschen getötet. Sollen wir da tatenlos zusehen?

    Barenberg: Letzte Frage, Herr Goldhagen. Welche Fälle gehören ganz oben auf die politische Agenda?

    Goldhagen: Die Ereignisse in Darfur sind äußerst betrüblich. Sie hinterlassen ein niederschmetterndes Gefühl. Das islamistische Regime in Khartum hat 400.000 Bewohner in Darfur hingemordet, hat 2,5 Millionen Menschen vertrieben. Hier sollte man eigentlich nicht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen, sondern von einem Krieg gegen die Menschlichkeit, der auch nicht mehr mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen ist, sondern der militärisch eine echte Kriegführung verlangt. Und Darfur ist hier nur eines der Beispiele für das, was diktatorische Regime anstellen können. Ich würde jetzt sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, alle Diktaturen sind protogenozidal. Sie sind sozusagen potenziell völkermörderisch aufgestellt, weil alle Diktaturen im Grunde bereit sind oder bereit sein könnten, solche Völkermordmaßnahmen, eliminatorische Maßnahmen einzusetzen, um die Macht zu erhalten. Das ist ein weiterer Grund, weshalb die UNO eine zutiefst problematische Organisation darstellen, denn sie legitimieren nicht nur ein solches diktatorisches Handeln, sondern sie schützen und ehren sogar die Diktaturen. Hier könnten Sie jetzt erneut fragen: Wie kann das denn sein, wie ist es möglich, dass mitten in der UNO Massenmörder sitzen und dann mit allen staatlichen Ehren und in großer Würde begrüßt und aufgenommen werden?

    Barenberg: Der amerikanische Sozialwissenschaftler und Autor Daniel Goldhagen. Sein Buch mit dem Titel "Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist.", es ist diese Woche im Siedlerverlag erschienen. Am Montag können Sie dazu auch hier im Deutschlandfunk eine Buchkritik hören, in unserem Magazin für politische Literatur um 19:15 Uhr. Und einen Dokumentarfilm von Daniel Goldhagen zum Thema zeigt die ARD an diesem Sonntagabend um 23:50 Uhr.