Dienstag, 14. Mai 2024

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Autor mit Tendenz zum satirischen Exhibitionismus

Es gibt nichts Tragischeres als Komiker, die nicht mehr lustig sind. Nun ist David Sedaris nicht eigentlich ein Komiker. Präziser wäre die Bezeichnung 'Autor mit Tendenz zum satirischen Exhibitionismus'. Auch ist dem heute 52-jährigen Amerikaner der Witz durchaus noch nicht gänzlich abhanden gekommen.

Rezensiert von Sacha Verna | 06.02.2009
    Aber nach fünf Essaysammlungen, wovon vier internationale Bestseller waren, scheint die Hemmungslosigkeit, mit der Sedaris früher seine Biografie und seinen Alltag geplündert hat, der schieren Verzweiflung gewichen zu sein, darin doch hoffentlich irgendwo, irgendwie noch einen Millimeter unverbrauchtes Material für seine Humoresken aufzutreiben.

    Insofern könnte der deutsche Titel von David Sedaris' sechstem Buch "Schöner wird's nicht” treffender nicht sein. Auch der Umschlag, der Vincent Van Goghs Gemälde "Totenkopf mit rauchender Zigarette" zeigt, verspricht nicht zuviel. Das mit Abstand längste Stück in dem Band handelt nämlich von Sedaris' Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören – in Tokyo, und zwar erfolgreich. Außerdem erfährt man, weshalb Sedaris nie mehr Brillen mit Euro-Look, Schaumstoffhintern und Damenblusen tragen wird, er schildert seine Affäre mit einer Spinne und erklärt, wie er Vögel davon abhält, auf die Fenster seines Hauses in der Normandie einzuhacken. Hat dieser Mann zu viel Zeit?, ist eine Frage, die sich bei der Lektüre von "Schöner wird's nicht” häufiger aufdrängt.

    Andererseits bestand Sedaris' Talent immer schon darin, Nichtigkeiten in Dringlichkeiten zu verwandeln. Er ist ein mäandernder Erzähler, der auf neun Seiten spielend Gedanken über die Vorteile des sogenannten Bulkhead-Sitzes im Flugzeug unterbringt, neben Tipps zur Konfliktbewältigung in eheähnlichen Gemeinschaften und solchen zur Lösung des Kreuzworträtsels in den New York Times, das samstags am schwierigsten ist. Nach wie vor ungebrochen ist auch Sedaris' Vorliebe fürs Morbide und fürs schlicht Geschmacklose, wobei in die letztere Kategorie die Thematisierung von Körpersekreten aller Art fällt.

    In seinen ersten und besten Werken beackerte David Sedaris den fruchtbaren Boden, den der Neurosengarten seiner Familie ihm als Schriftsteller bot. Inzwischen beschränkt sich das regelmäßig wiederkehrende Personal in seinen Daseinsprotokollen auf seinen Partner Hugh. Das ist bedauerlich, zumal dieser im Gegensatz zu Sedaris' Eltern und Geschwistern offenbar über einen ausgeglichenen Charakter verfügt und selbst seine auffälligsten Marotten, etwa tägliches Schwimmen, ziemlich langweilig, ja sogar gesund sind. Da man gewisse Menschen nicht interessanter machen kann, als sie sind, und es anstrengend ist, mehr und mehr Dinge nur deshalb zu tun, um danach darüber zu schreiben, sucht Sedaris seit einiger Zeit zwangsläufig nach Alternativen.

    Eine dieser Alternativen lautet: Tiefsinn. Dabei waren Sedaris' Fabeln selten dumm. Gelegentlich sah man Funken echter Weisheit darin aufblitzen. Seine Insiderberichte aus der Welt der Outcasts wirkten glaubwürdig, weil sie ohne Pathos daherkamen. Wenn die Lektion fürs Leben jedoch für den letzten Abschnitt aufgespart wird, droht Gefahr. Und wenn eine Eiterbeule am eigenen Po einen Autor zu Kalendersprüchen über ewige Treue verführt, dann stimmt etwas nicht mehr - egal, ob dieser Autor ein Satiriker mit Hang zum Exhibitionismus ist oder ein tragisch gewordener Komiker. Anders gesagt: Wo's nicht mehr schöner wird, lässt man's besser bleiben.

    David Sedaris: Schöner wird's nicht
    Aus dem Amerikanischen von Georg Deggerich
    Carl Blessing Verlag, München 2008
    320 Seiten. 19.95 Euro