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"Baby, du brauchst Hilfe"

Auch Soldaten sind Opfer in den Kriegen gegen den Terrorismus. Viele werden nicht nur körperlich verwundet, sie erleiden auch seelische Schäden. In den USA wird immer wieder von Selbstmorden, Amokläufen und Protesten der Veteranen aus dem Irak- und dem Afghanistankrieg berichtet. Viele fühlen sie sich von der Armee im Stich gelassen.

Von Marcus Pindur |
    Schlaflosigkeit, Wutanfälle, Angstzustände, Depressionen. Das durchlebte Dexter Pitts, nachdem er 2004 im Irak durch eine Bombe schwer verletzt worden war. Als er nach Hause kam, stellte er fest, dass er nicht mehr derselbe war. Nachdem er eines Tages einen unkontrollierten Wutausbruch bekam und gewalttätig gegen ein Familienmitglied wurde, suchte er Hilfe.

    "Ich lag in meinem Zimmer und mein kleiner 9-jähriger Cousin kam immer wieder rein, um mich zu ärgern. Ich sagte ihm, lass mich allein. Bis ich ihn schließlich anschrie, lass mich in Ruhe. Dann kam er in mein Zimmer und schlug mich auf meinen verletzten Arm. Da packte mich ein Wutausbruch, ich rannte hinter ihm her, ergriff ihn, und schlug ihm mit voller Kraft in die Brust. Meine Mutter rief: Was machst Du da? Ich starrte Sie nur mit einem ausdruckslosen Blick an. Da sagte sie: Baby, du brauchst Hilfe. Und an diesem Punkt begriff ich, dass ich Hilfe brauchte."

    Dexter Pitts hätte beinahe seinen Arm verloren, monatelang war er in medizinischer Behandlung. Die Verwundung überstand er, doch schon vor seinem gewalttätigen Ausbruch merkte er, dass er nicht nur physisch verletzt war.

    "Ich hatte Angst, Auto zu fahren. Ich hatte Angst, rauszugehen und mit Leuten zu reden. Ich hatte Angst mit Leuten zu reden, die ich mein Leben lang gekannt hatte. Ich wollte nicht, dass Leute mich anschauen und sagen: Du hast dich verändert. Ich wollte das nicht hören, weil ich immer noch dachte: Ich bin doch immer noch derselbe Mensch. Aber das bist Du nicht. Wenn Du in einen Kampfeinsatz gehst, und Du wirst verletzt, und auch wenn Du den Einsatz unverletzt überlebst, dann bleibt ein Stück von Dir da zurück. Du kommst nicht als derselbe Mensch zurück. Das ist einfach nicht möglich."

    Ungefähr 15 Prozent der Soldaten, die in Kampfeinsätze gehen, leiden hinterher am Posttraumatischen Belastungssyndrom, PTBS. Diese psychologische Störung kann im schlimmsten Fall in den Selbstmord führen. Die Zahl der Suizide bei den Marines und in der Armee hat sich im Zeitraum 2001 bis 2009 verdoppelt. Seitdem ist sie wieder rückläufig. Das politische Versprechen, den Veteranen jede möglich Hilfe angedeihen zu lassen, hatte Präsident Obama immer wieder gegeben, und seine Administration hat die Mittel für die Betreuung von Veteranen stark ausgeweitet.

    "Solange ich der Oberkommandierende der Streitkräfte bin, werden Sie wissen, dass wir für Sie so gut sorgen, wie Sie uns gedient haben. Weil niemand, der für dieses Land kämpft, hinterher um einen Job, ein Dach über dem Kopf oder anständige Gesundheitsversorgung wird kämpfen müssen. Das ist ein Versprechen, dass wir halten werden."

    Dieses Versprechen ist nicht leicht einzuhalten, denn allein im Irak-Krieg wurden der offiziellen Statistik zufolge 32.000 amerikanische Soldaten verwundet - körperlich verwundet. Die Zahl der Soldaten, die an psychologischen Schäden leiden, wird als weit höher eingeschätzt, und kann in die Hunderttausende gehen. Der Psychologe Craig Bryan ist Assistenzprofessor an der University of Texas und berät das Verteidigungsministerium bei der Behandlung und Prävention von PTBS. Dreiviertel aller Soldaten, die Selbstmord begehen, hätten zuvor keine psychologische Beratung aufgesucht, so Bryan.

    "Leider kommen die Veteranen meist erst dann, wenn sie schon in einer sehr schlechten Verfassung sind. Die Kultur des Militärs ist nicht dazu angetan, um Hilfe nachzusuchen, besonders nicht um psychologische Hilfe. In einer Kultur, in der die Tugenden des Zähnezusammenbeißens, des Durchhaltens, des Weitermachens hochgehalten werden, wird die Frage nach Hilfe von den Soldaten als ein berufliches Risiko angesehen. Und deshalb sind diejenigen, die dann schließlich kommen, meist sehr, sehr krank und es ist sehr viel schwieriger, ihnen zu helfen."

    Die meisten Soldaten hätten die Sorge, dass die Frage nach psychologischer Betreuung ihrem Status und ihrer Karriere beim Militär schaden könnte, so der Militärpsychologe. Ihre erste Befürchtung ist, dass sie als dienstunfähig aus dem Militär entlassen würden. Danach kommen Karrieresorgen. Die Soldaten glauben, dass sie keine Beförderung mehr bekommen, dass sie bestimmte Positionen nicht mehr besetzen dürfen. Diese Sorge sei jedoch unbegründet, so Craig Bryan.

    "Die meisten, wenn nicht alle dieser Befürchtungen sind falsch. Wir wissen das sehr genau, darüber gibt es Studien. Wenn sie sich behandeln lassen, steigt interessanterweise sogar die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Militär bleiben und befördert werden. Aber trotzdem hält sich diese Befürchtung hartnäckig."

    Craig Bryan war selbst im Irak und hat dort die Stressfaktoren untersucht, die an den Soldaten nagen. Es seien die kleinen Ärgernisse des militärischen Alltags, die ungewohnten Lebensbedingungen und die Trennung von der Familie, die den Soldaten so zusetzten, dass sie in einer Kampfsituation nicht so stressresistent seien, wie das ihr Training nahelegen würde. Dort müsse man ansetzen.

    Die psychologische Betreuung von Soldaten, so die Lehre aus den amerikanischen Erfahrungen, darf nicht erst anfangen, wenn die Symptome des Posttraumatischen Belastungssyndroms sich zeigen. Sie ist eine Aufgabe, die mit der Grundausbildung beginnt und mit der Entlassung aus dem aktiven Dienst in vielen Fällen noch lange nicht endet.


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