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Babys fürs Ausland

30.000 Euro für einen gesunden Jungen, 20.000 Euro für ein Mädchen: So viel zahlen griechische Eltern für ein Baby aus Bulgarien. Jedes Jahr reisen schwangere Roma-Frauen aus finanzieller Not über die Grenze ins Nachbarland – und kehren alleine zurück.

Von Naomi Conrad |
    Die junge Frau, die sich als Ganka vorstellt, verschließt sorgsam das dicke Eisentor, hinter dem sich der enge Hinterhof der Familie versteckt. Überall stapeln sich Pappkartons und Glasflaschen. Der Putz blättert von den feuchten Wänden. Es ist düster: Schon vor Monaten hat die Verwaltung Strom und Wasser abgestellt. Trotzdem wohnen Ganka und ihr Mann mit ihren acht Kindern in dem Haus. Zwei weitere Söhne hat das Sozialamt bei Pflegefamilien untergebracht – und dann ist da noch der kleine Junge, den Ganka vor drei Jahren in Griechenland verkauft hat.

    "Er hat meine Frau mitgenommen und das Kind verkauft."

    "Er", das ist der Mann aus dem Roma-Viertel, von dem die Familie Geld geliehen hatte, das sie nicht mehr zurückbezahlen konnte. Natürlich habe er das Kind nicht verkaufen wollen, sagt Gankas Mann. Aber:

    "Sie war schwanger und er hat ihr Angst gemacht. Ich war weg, auf einer Baustelle, deshalb hat er Druck gemacht."

    Ganka nickt.

    "So hat er Druck gemacht - siehst du?"

    Sie streckt ihren dünnen Arm aus und mimt mit der Hand einen Axtschlag. Ihr Mann breitet die Hände aus in einer Geste der Hilflosigkeit. Seine Finger sind dunkelbraun gefärbt: Er hat für ein paar Tage Arbeit gefunden bei der Wallnuss-Ernte. Manchmal arbeitet er auf einer Baustelle, meist aber zieht die Familie durch die Stadt, um Flaschen und Pappkartons zu sammeln. Damit sind sie nicht allein: Bulgariens Roma werden benachteiligt und ausgegrenzt und haben kaum Chancen auf Arbeit und Bildung, sagt Tihomir Bezlov vom Center for the Study of Democracy in Sofia.

    "Im Prinzip entspricht der Lebensstandard in den Roma-Vierteln denen eines Dorfes in Zentralafrika: Die Situation ist einfach schrecklich. Die Menschen haben kein gesichertes Einkommen und es gibt organisierte ethnische Kriminalität."

    Die mächtigen Clan-Oberhäupter kontrollieren das Leben in vielen Gettos, erzählt der Kriminologe. Sie entscheiden, welche Frau zur Prostitution ins Ausland geschifft wird, wer sein Kind verkaufen muss, um Schulden abzubezahlen.

    Bezlov schaltet seinen Computer ein und öffnet ein Dokument mit einer Karte von Bulgarien: Die Einflussgebiete der Drogen-Kartelle zu einem bunten Mosaik zusammenfügen. Er zuckt die Schultern: Den Handel mit Kindern zu unterbinden, sei letztlich keine Priorität für die bulgarischen Behörden.

    "Wenn eine Roma-Frau ein Baby verkauft, dann begeht sie zumindest kein Verbrechen in Bulgarien, so denken die Behörden. Und außerdem müsste Bulgarien sonst Kindergeld zahlen."

    Einen Vorwurf, den die Vorsitzende der Nationalen Kommission gegen Menschenhandel Antonaneta Vassileva zurückweist. Das Problem sei vielmehr, dass nur wenige der Frauen sich jemals an die Polizei wenden.

    "In den meisten Fällen hören wir nur darüber, wenn die Frauen wieder in Bulgarien sind und uns sagen: Ich wurde getäuscht. Die haben mir gesagt, ich könnte arbeiten und stattdessen haben sie mir mein Kind weggenommen. Aber es gibt auch Fälle von Frauen, die eingewilligt haben, ihre Kinder zu verkaufen."

    2012 hat die Kommission nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit der bulgarischen Polizei 38 Fälle registriert, den Großteil in Griechenland. Allerdings sei das lediglich die Spitze des Eisberges, glaubt Vassileva.

    "Ich glaube nicht, dass die Fälle weniger werden. Die griechischen Behörden tun doch kaum etwas dagegen: Die legalen Vorschriften sind dort einfach zu lax! Das Ganze ist viel zu einfach: Die Frauen bekommen ihr Baby, ein griechischer Mann gibt an der Vater zu sein, der Arzt gibt sein Okay und ein Notar stellt schnell die Dokumente aus. Die arbeiten alle mit den Menschenhändlern zusammen!"

    Solange es eine Nachfrage nach Babys im Ausland gebe, könne der Handel nicht verhindert werden, glaubt Vassileva – dafür sei die Armut einfach zu groß.

    1500 Leva, 750 Euro hat Ganka für ihren Sohn bekommen. Mireil, sagt sie ganz leise, Mireil. So habe sie ihr Baby genannt, bevor man es ihr weggenommen habe.