Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv

Bach-Museum Leipzig
Inklusives Pilotprojekt gestartet

Licht, Klang, Klima - Menschen aus dem autistischen Spektrum können sich seit Anfang des Jahres mit spezifischen Informationen über das Bach-Museum Leipzig auf ihren Besuch vorbereiten. Der Bundesverband Autismus Deutschland lobt das Angebot und schreibt ihm bundsweiten Vorbildcharakter zu.

Von Claus Fischer | 04.03.2019
    Das Bach-Museum in Leipzig
    Ein Museumsbesuch liefert viele Reize, sind es zu viele, kann das bei Menschen aus dem autistischen Spektrum Stress auslösen (picture alliance/dpa - Arco Images)
    Das Bach-Museum Leipzig gehört zu den Museen des deutschen Kulturerbes, vermerkt im sogenannten Blaubuch der Bundesregierung als Ort von nationalem Rang. Und das liegt vor allem an den Exponaten, die in der sogenannten Schatzkammer zu sehen sind.
    "Wir haben einen großen Bestand an originalen Handschriften von Johann Sebastian Bach und originalen Aufführungsstimmen und auch anderen Raritäten", betont Museumsleiterin Kerstin Wiese.
    "Und wir wechseln hier zweimal im Jahr unsere Bestände, damit die Besucher auch immer etwas Neues zu sehen bekommen."
    Ab 25. März wird im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung "Hofconpositeur Bach" die autografe Partitur der Brandenburgischen Konzerte zu sehen sein, die sonst im Magazin der Berliner Staatsbibliothek lagert. Aber nicht nur die charakteristische Handschrift des Meisters kann man in der Schatzkammer in Augenschein nehmen, sondern auch sein Antlitz.
    Berühmtes Bach-Porträt in Leipzig
    Seit Juni 2015 hängt hier nämlich das bedeutendste originale Bach-Porträt der Welt, geschaffen 1748 vom Leipziger Maler Elias Gottlob Haussmann. Das Gemälde beeindruckt nicht nur die zahlreichen Besucher des Museums, sondern auch den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung.
    "Sehr strahlend und klar, kaum beschädigt, auch nicht nachgedunkelt. Man sieht die blitzenden Augen, man sieht die Ironie in den Augen. Man sieht aber auch, dass er unterhalb der Augen offensichtlich ein Genießer des Lebens war, der gerne gegessen und getrunken hat und offensichtlich den Gelüsten des Lebens nicht abgeneigt war. Alles das kann man in diesem Bild erkennen."
    Bachs Porträt in Leipzig betrachten – für Menschen, die von Autismus betroffen sind, einer lange nicht ernst genommenen Behinderung, kann das mit großen Schwierigkeiten verbunden sein.
    "Menschen aus dem autistischen Spektrum werden ungern überrascht", sagt Kerstin Wiese.
    "Und deswegen möchten sie vorher informiert sein, wie ein Besuch hier ablaufen kann, auch wie die Räume aussehen, wo man seine Sachen lassen kann, wo man seine Eintrittskarte kauft, wo man etwas essen kann – all solche Dinge."
    Inklusive Angebote vom Leipziger Bach-Museum
    Die Leiterin des Leipziger Bach-Museums beschäftigt sich mit ihren Mitarbeitern schon seit längerer Zeit mit inklusiven Angeboten für das Publikum.
    "Wir haben zum Beispiel einen Videoguide in deutscher Gebärdensprache, wie haben einen Audioguide in leichter Sprache und auch einen gedruckten Museumsführer in leichter Sprache, Induktionsanlagen für Hörgeräteträger."
    Und so wurde im vergangenen Jahr ein Leipziger Selbsthilfeverein, der sich um Menschen aus dem autistischen Spektrum kümmert, auf das Museum aufmerksam. Der Vorstand lud Kerstin Wiese zu einer Informationsveranstaltung ein. Und so erfuhr sie etwas, was ihr vorher überhaupt nicht bewusst war:
    "Dass es im deutschen Bereich eigentlich so gut wie gar nichts gibt bisher für Menschen aus dem autistischen Spektrum, aber in Amerika. Und dort wurde uns ein Projekt vorgestellt aus dem Metropolitan Museum in New York."
    Material für die spezielle Zielgruppe
    Nach diesem Vorbild erstellten Kerstin Wiese und ihre Mitarbeiter ein Konvolut an Material für die spezielle Zielgruppe. Seit Jahresbeginn kann es auf der Internetseite des Museums eingesehen und auch heruntergeladen werden. Interessierte finden dort Antworten auf ganz bestimmte Fragen.
    "Wo sind Räume klimatisiert? Gibt es Tageslicht? Sind es Räume in denen Musik spielt? Was natürlich für das Bach-Museum wichtig ist. Wann ist das Museum ganz stark gefüllt und wann kann man es eher ruhig besuchen?"
    Antworten auf all diese Fragen sind durchaus auch für nicht von Autismus betroffene Menschen interessant. Auf jeden Fall kann man so unangenehme Überraschungen wenn schon nicht ganz ausschließen, so doch aber minimieren.
    "Wir haben einen richtigen Ablaufplan entwickelt, der möglichst keine Fragen offen lässt und auch ganz eindeutig ist. Wenn sie zum Beispiel ein Bild zeigen, und darauf ist eine männliche Aufsicht, am Ende ist es aber dann eine weibliche Aufsicht kann das schon zu einem Problem führen. Und deswegen haben wir mit Hilfe des Selbsthilfevereins versucht, all diese Fragen so eindeutig zu beschreiben, dass der Besuch von vornherein geklärt werden kann."
    "Die sinnesfreundliche Umgebung, sowie die Hilfen zur Besuchsvorbereitung und zum Museumsbesuch helfen, umweltbedingte Barrieren zu reduzieren", schreibt Björn Soltwedel, Mitglied im Vorstand von Autismus Deutschland e.V. mit Sitz in Hamburg über das Projekt.
    "Gleichzeitig wird so auch auf das Thema aufmerksam gemacht, sodass sich einstellungsbedingte Barrieren reduzieren können. Hervorzuheben ist besonders die ganzheitliche Herangehensweise des Bach-Museums Leipzig."
    Rundgänge können individuell zusammengestellt werden
    Dazu gehört auch das Angebot, verschiedener Rundgänge, die sich der Nutzer individuell zusammenstellen kann, sagt Kerstin Wiese. Da von Autismus betroffene Menschen häufig alles, was sie tun, sehr genau ausführen, könnte sie ein Besuch dahingehend überfordern, jedes Exponat zu betrachten und jeden Text im Museum ganz zu lesen.
    "Wenn man sich aber vorher einen Rundgang zusammengestellt hat, kann man den vollständig besichtigen, und kann aber trotzdem eben Sachen auslassen, die sonst im Museum vorhanden sind."
    Dabei hat man allerdings schon die Qual der Wahl, was man neben dem originalen Bach-Porträt und den Handschriften in der Schatzkammer noch an Angeboten wahrnehmen möchte.
    "Es wird ein Orgelspieltisch von Bach gezeigt, an dem er selbst gespielt hat. Es gibt ein virtuelles Orchester, was man ausprobieren kann. Es gibt einen großen Raum zur Leipziger Zeit, ein Hörkabinett, in dem man jedes Werk von Bach anhören kann oder auch ein Filmkabinett."
    Die Qual der Auswahl lässt sich im häuslichen Wohnzimmer besser meistern als direkt vor Ort. Für den Verband Autismus Deutschland hat das Angebot des Leipziger Bach-Museums auf jeden Fall bundesweit Vorbildcharakter, schreibt Vorstandsmitglied Björn Soltwedel:
    "Wenn mehr Organisationen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen sich Aktivitäten wie diese zum Vorbild nehmen würden, wären wir dem Ziel einer echten, gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen, politischen und öffentlichen Leben einen großen Schritt weiter."