Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

Bachwochen in Thüringen
Vom Neben- und Gegeneinander der Festivals

Arnstadt, Dornheim, Erfurt, Eisenach, Weimar: Wer Johann Sebastian Bach erleben will, findet in Thüringen vielerorts Gelegenheit. Zahlreiche Festivals locken jedes Jahr weltweit Fans des Komponisten nach Thüringen. Das Problem: Statt Bach als Marke gemeinsam zu promoten, arbeiten die Festivals lieber gegen- statt miteinander.

Von Henry Bernhard | 17.04.2017
    Bach Bachwochen
    Johann Sebastian Bach als Puzzle bei den Thüringer Bachwochen (dpa / picture alliance / Michael Reichel)
    "Jesu, meine Freude" von J.S. Bach
    Die gute Nachricht ist: Bach in Thüringen lebt. Wie hier in der Kirche in Wechmar, im Stammort der Bach-Familie in Thüringen. Teilnehmer einer Radtour "Bach by Bike", Laien allesamt, singen mal eben ein Stück Bach-Motette vom Blatt. Zuvor haben sie die Mühle besichtigt, die der Stammvater Veit Bach im 16. Jahrhundert betrieben hat. Sie kommen aus Eisenach geradelt, fahren weiter nach Ohrdruf, Arnstadt, Dornheim, Erfurt, Weimar ... Thüringen ist voller authentischer Bach-Orte, Thüringen ist Bach-Land.
    So sehen es auch viele ausländische Musiker, die begeistert und voller Ehrfurcht dort auftreten, wo ER selbst war. zum Beispiel Harriet Krijgh, die junge Cellistin aus Holland, die in Bachs Traukirche in Dornheim musiziert hat.
    "Ja, fantastisch! Es ist natürlich noch mal ein ganz eigener Zugang, wenn man quasi in den Fußstapfen von Johann Sebastian Bach selber ist und wirklich an den Orten spielen kann, wo er selber entweder an der Orgel gesessen ist oder selber in der Kirche aktiv war. Das macht es noch mal ein bisschen mehr besonders."
    Joshua Rifkin, amerikanischer Musiker und renommierter Bach-Forscher, geht noch weiter.
    "Gerade in dieser Landschaft ist Johann Sebastian Bach aufgewachsen, er ist durch diese Pfade, durch diese Felder gewandert. Und das muss auch ihn stark geprägt haben. Und ich dachte: Jeder, der das in seiner Jugend erlebt hat, ist nicht der Mann, von dem uns immer erzählt wird, vom alten, strengen Bach. Das ist wirklich ein anderer Mensch."
    Das Bachhaus in Eisenach ist Gedenkstätte und Bach-Museum.
    Für Bach-Fans gibt es in Thüringen viele Pilger-Orte: Zum Beispiel das Bachhaus in Eisenach. (picture alliance / dpa / Daniel Kalker)
    Rifkin gefiel es so gut in Thüringen und speziell in Arnstadt, wo der 18-jährige Bach 1703 seine erste Organisten-Stelle antrat, dass er seit Jahren immer im August wiederkam, um als Künstlerischer Leiter den Bach-Sommers Arnstadt zu gestalten. Das Besondere hier: Die enorme Intimität des kleinen Festivals: Die Proben in der Oberkirche, hier mit dem belgischen Ensemble Vox Luminis, sind öffentlich. An einem Abend kocht die Intendantin des Festivals, Judith Rüber, für Musiker und Besucher. Man speist und trinkt gemeinsam auf dem Kirchplatz und redet selbstverständlich über Bach. In diesem Jahr aber wird ihr Bach-Sommer zum zweiten Mal in Folge ausfallen, weil sie nicht genügend Geld zusammenbekommt.
    "Letztlich ist es wohl so, dass in einer Festivallandschaft zu bestehen als wirklich Privatinitiative, ehrenamtlich, ohne den Rückhalt einer Kommune und/ oder des Landes, zumindest in einem Land wie Thüringen, wo die Sponsoren nicht auf den Dächern wachsen, schwierig ist.
    Wir haben zwei Jahre gehabt, wo wir sehr schlecht finanziert waren und haben es trotzdem durchgezogen. Aber das ist eine Geschichte, die kann man nicht auf Dauer betreiben."
    Das Bach-Land Thüringen sichtbar machen
    Hier laufen einige Probleme zusammen, die das Bild von Bach in Thüringen prägen: Die große Mitte, die Thüringer Bachwochen, der Leuchtturm unter den vielen Thüringer Bachfestivals, mit inzwischen wachsender internationaler Ausstrahlung, ist halbwegs solide finanziert – auch und vor allem durch jahrelange erfolgreiche Programmpolitik. An den Rändern aber, bei den Kleinen, ist es knapp. Dazu kommen Eitelkeiten, mitunter Inkompetenzen, der mangelnde Wille, zusammenzuarbeiten. Vor allem aber fehlt ein einigendes Dach, eine Marke "Bach", die überregional ausstrahlt, wirbt und das Bach-Land Thüringen für Kulturtouristen und Sponsoren attraktiv macht, findet Judith Rüber.
    "Insofern ist hier nicht die Frage, inwieweit wir uns hier gegenseitig die Töpfe streitig machen, sondern es ist eher die Frage, inwieweit es uns gelingt, das Bach-Land Thüringen sichtbar zu machen. Das ist nämlich momentan das Hauptproblem. Und das ist am Ende auch das Hauptproblem des Bachsommers, dass wir nicht eingebunden sind in eine Konstruktion, die wirklich das gesamte Land als Bach-Land mit dem entsprechenden ganzjährigen Aufwand und ganzjährigem Engagement sichtbar macht."
    Eine tourismuspolitische Dummheit
    Bei der Internet-Suche nach "Bach in Thüringen" tauchen zunächst sehr präsent die Bachwochen auf und dann eine Seite, die Hotels an Bach-Orten vermitteln will. Kein einziger Gesamtauftritt. Kein zentraler Anlaufpunkt für Kulturtouristen, die Museen besichtigen, authentische Bach-Orte entdecken, Konzerte besuchen wollen. Ein Unding, findet Judith Rüber, so mit einem Künstler umzugehen, der in seiner Bedeutung mit Michelangelo und Shakespeare vergleichbar wäre, Thüringens Platzhirsche Goethe, Schiller und Luther aber weit hinter sich lasse.
    Ein Unding und eine tourismuspolitische Dummheit. Auch Midori Seiler, Geigerin von Weltrang, die in Weimar gerade Bachs Solo-Partiten aufgeführt hat, klagt:
    "Abgesehen von dem wunderbaren und wirklich weitreichenden Thüringer Bachfest könnte man schon ein bisschen meckern eigentlich, dass die Bachpflege jetzt nicht mit so viel Bohei betrieben wird wie zum Beispiel in Leipzig, wo der wirklich von jeder Ecke prangt!"
    Auch in der Thüringer Politik ist man sich dieses Problems bewusst. 750.000 Euro hat das Wirtschaftsministerium deshalb für die kommenden drei Jahren ausgelobt, um Thüringen als Bach-Land zu präsentieren. Bach-Akteure beklagen, an der Konzeption nicht beteiligt zu sein.
    Gewonnen hat die dreiviertel Million Euro die Weimar GmbH, die damit bislang kaum bekannte Bach-Orte wie die Weimarer Arrestzelle "bespielen" will, um Touristen niederschwellig auf Bach aufmerksam zu machen. Pressesprecher der Weimar GmbH ist Mark Schmidt. Er argumentiert: Der Bachkenner aus Amsterdam käme ohnehin, er wisse, wann die Johannespassion in der Arnstädter Bachkirche zu hören sei.
    "Wir wollen ein niederschwelliges Angebot, was auch unterhält."
    Es geht um Visualisierungen und Erlebnis. Dabei setzt er auf ...
    "Die 'Spielifizierung', also 'Gamemification'. Also, wir wollen an Orten, die was mit Bach zu tun haben, die Möglichkeit haben, dass man die Musik von Bach erleben kann, aber dass man auch selbst aktiv wird und selbst Töne erzeugen kann.
    Bach nicht zu billig machen
    Hier aber protestieren die Festival-Veranstalter empört. Judith Rüber aus Arnstadt warnt vor einem Bach-Erlebnispark. Myriam Eichberger, Intendantin der Bach-Biennale Weimar, ergänzt, dass man Bach nicht zu billig machen dürfe:
    "Ich glaube, dass wir die richtigen Bach-Kenner, die, die wir eigentlich wollen, also ich rede jetzt mal als Touristiker, die mehrfach übernachten, die Kohle haben, ich sag's mal ganz deutlich, die einfach in ein gutes Hotel gehen und da bleiben, die kommen nicht, wenn ich irgendein Filmchen oder dann mache ich dann noch himmelblaue Blümchen dazu und dann dudelt noch was vorbei.
    Dieser ganze Quatsch – Entschuldigung! –, das erfreut vielleicht einen Touristen, der schon da ist, aber noch nie was von Bach gehört hat; aber das eigentliche internationale Bach-Publikum wird mit solchen Aktionen vergrault und vergrätzt."
    Christoph Drescher, Leiter der Thüringer Bachwochen, sieht eher andere Probleme.
    "Die liegen darin, dass wir teilweise in den Bach-Orten zu Gast sind, aber kein offenes Café haben und es keinen Bus gibt, der aufs Dorf fährt, wo die Bachkirche ist. Tut uns leid: Wir haben ein Konzert, aber ob ihr danach noch was zu essen bekommt? Ist schwierig!"
    Die Frage, wie man Bach in Thüringen vernünftig und angemessen präsentiert, scheint noch nicht ausdiskutiert. Es gibt aber auch schöne Kooperationen. So spielte das britische Ensemble "Solomon's Knot Baroque Collective", noch bevor sie die Bachwochen mit der Johannespassion eröffneten, in einem kleinen öffentlichen Hauskonzert bei Judith Rüber, die ihren diesjährigen Bach-Sommer nicht finanziert bekommt.