Archiv


Backup im Barbarastollen

Teile der unter Schuttmassen begrabenen Dokumente des Kölner Stadtarchivs sind zumindest als Mikrofilm noch zugänglich: Sie lagern in einem Stollen bei Freiburg. Der Kölner Unglücksfall muss nach Ansicht von Ulrich Raulff, Direktor des Literaturarchivs Marbach, Anlass sein, die Anstrengungen bei der Sicherung von Archiven zu verstärken.

Ulrich Raulff im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Wurden beim Bau der U-Bahn in Köln Fehler gemacht, oder war der sandige Boden der Auslöser für den Einsturz des historischen Stadtarchivs? Über die Ursachen für das Unglück wird weiter gerätselt und auch die beiden vermissten Männer werden noch immer unter den Trümmern gesucht. Fest steht allerdings schon jetzt, dass in dem tiefen Krater auch kulturgeschichtliche Dokumente und Urkunden von unschätzbarem Wert vernichtet wurden. Von einer kulturellen Tragödie von nationaler Tragweite spricht Kulturstaatsminister Bernd Neumann, noch bevor überhaupt ganz klar ist, was alles in Köln verloren gegangen ist. Kann es da ein Trost sein oder gar ein Hoffnungsschimmer, dass ein Teil der Bestände des Kölner Stadtarchivs abgefilmt und in einem Stollen im Schwarzwald eingelagert wurden? - Darüber wollen wir jetzt mit dem Direktor des Deutschen Literaturarchivs in Marbach sprechen, mit Ulrich Raulff. Einen schönen guten Morgen!

    Ulrich Raulff: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Raulff, was nützt es zu wissen, dass es in einem entlegenen ehemaligen Bergwerkstollen bei Freiburg noch eine Kopie gibt etwa der privaten Korrespondenz von Heinrich Böll oder der Ratsprotokolle aus dem 14. Jahrhundert?

    Raulff: Für die Forschung kann das schon ganz hilfreich sein, wenn diese Mikrofilme noch existieren. Sonst würde man sie ja auch nicht machen. Man kann nach solchen Filmen doch relativ weitgehend arbeiten, das heißt wissenschaftlich arbeiten. Dass sehr vieles uns fehlt, ist natürlich auch eine Tatsache.

    Barenberg: Welche Archivalien aus Köln genau als Sicherungsverfilmung auf Mikrofilm im Schwarzwald eingelagert wurden, das wird gerade vom zuständigen Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe noch geprüft. In welchem Umfang haben Sie denn dort Bestände deponiert?

    Raulff: Alles, was bei uns mikroverfilmt wird - und das sind große Teile der Bestände und zunehmend größere -, geht automatisch in einer Kopie in diesen Oberrieder Stollen, den Barbarastollen in der Nähe von Oberried bei Freiburg im Breisgau. Das ist eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Sicherungsmaßnahme aller Archive.

    Barenberg: Der Stollen wurde ja freigegeben für diese Maßnahme, um die wichtigsten Bestände aller deutschen Archive vor allem vor Kriegsfolgen zu schützen. Ist dieses Ziel denn insgesamt erreicht?

    Raulff: Wie weit das insgesamt erreicht ist, das kann ich Ihnen nicht sagen. Da müsste man eine Umfrage machen bei allen deutschen Archiven. Es kann sein, dass der Herr Kretzschmar, der Präsident des Deutschen Archivverbandes, Ihnen da Zahlen liefern könnte. Auf jeden Fall steht fest, dass alle Archive das anstreben.

    Barenberg: Können sich denn alle Städte und Kommunen das überhaupt leisten, ihre Bestände dort hinzugeben, die vorher abzufilmen?

    Raulff: Das ist die große Frage, denn alle diese Maßnahmen, zu denen uns natürlich immer wieder geraten wird, sei es Digitalisierung, sei es Mikroverfilmung, kosten Geld, kosten Personal, und meistens fragen die, die uns das empfehlen, nicht, wer es bezahlen soll.

    Barenberg: Und was sagen Sie dann?

    Raulff: Dann sage ich, helft uns, die Mittel aufzutreiben, denn alle diese Maßnahmen, auch die, die so ganz einfach und quick aussehen, wie Digitalisierung, sind enorm kostenintensiv.

    Barenberg: Sie würden also sagen, da gab es Versäumnisse in der Vergangenheit, dass das nicht so auf dem Stand der Dinge ist, wie Sie sich das wünschen würden?

    Raulff: Ja, natürlich! Das ist ähnlich wie bei der Erschließung. Alle Archive haben viel mehr Material, als sie bewältigen können, jedenfalls aktuell und im Augenblick bewältigen können. Das ist bei der Erschließung und Katalogisierung nicht anders wie bei der Sicherung durch Verfilmung oder Digitalisierung. Da hinken wir alle hinterher. Jetzt dieser neuerliche Unglücksfall ist für uns alle eine Schrift an der Wand, die uns sagt, beeilt euch, tut alles Mögliche und alles Nötige.

    Barenberg: Wer muss was tun in dieser Situation?

    Raulff: Die Archive, gestützt von ihren Trägern, das heißt von den Kommunen beziehungsweise in unserem Falle von Bund und Land.

    Barenberg: Und das in Zeiten der Wirtschaftskrise.

    Raulff: Und das leider in Zeiten der Wirtschaftskrise, weil man sonst, so wie es gestern ja schon in verschiedenen Kommentaren zu hören war, den Untergang des Abendlandes oder den Einsturz des kulturellen Gedächtnisses zu beklagen hat.

    Barenberg: Haben Sie denn das Gefühl, da gibt es ein Missverhältnis zwischen sozusagen dem Beklagen dieses Verlustes auf der einen Seite und der Fähigkeit und Möglichkeit auf der anderen Seite, dafür entsprechende finanzielle Möglichkeiten auch zur Verfügung zu stellen?

    Raulff: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, dass die Verantwortlichen sehen, dass was getan werden muss, und es wird ja auch in der Tat seit vielen Jahren sehr viel getan. Mikroverfilmung ist ja nicht etwas, was gestern erst erfunden worden ist, sondern die Kopien, die aus dem Kölner Archiv nach Oberried gegangen sind, sind ja zum Teil schon sehr alt, deshalb vielleicht auch nicht mehr so gut, wie sie auf dem heutigen Stand der Technik sein könnten. Das wird also seit langer Zeit betrieben und dafür werden auch Mittel zur Verfügung gestellt. Das ist durchaus eine Sache, die allen Verantwortlichen wohl bewusst ist.

    Barenberg: Die Mikrofilme werden ja in Stahlbehältern mit Schutzatmosphäre gelagert, sollen 500 Jahre halten. Halten Sie das für realistisch?

    Raulff: Das halte ich für durchaus möglich. Wir haben ja mit der Fotographie mittlerweile eine 200-jährige Geschichte, das heißt eine 200 Jahre alte Erfahrung. Die Schwarzweiß-Fotografie ist eben nach allem, was wir wissen, das beständigste Medium der Duplizierung und der Speicherung.

    Barenberg: Mit anderen Worten, es müsste nichts geschehen, um sagen wir neue Speichermedien ins Spiel zu bringen oder etwa der Digitalisierung den Vorrang zu geben?

    Raulff: Wenn sie nur ein Abbild wollen, nach dem sie einigermaßen arbeiten können, philologisch arbeiten können, edieren können und so weiter, ist ihnen mit einem Mikrofilm sicher schon sehr weitgehend gedient. Wenn sie aber ein plastischeres Bild haben wollen, ein farbiges Bild, ein Bild, in das sie hineinzoomen können und so weiter, dann brauchen sie natürlich modernere Medien. Dann brauchen sie Digitalisate.