Archiv


'Baden-Württemberg hat in der Frage einer Klage wegen eines möglichen Verbots der atomaren Wiederaufbereitung noch nicht entschieden'

    Heinemann: Viel Gesinnung, wenig Erfahrung und noch weniger Fingerspitzengefühl; es ist nicht klar, ob dieses Prinzip der Bundesregierung noch zum Fehlstart gehört, oder vielmehr die Arbeitsweise der kommenden Jahre bestimmen wird. - Wieder einmal hat es in der Koalition geknirscht. Erneut war die Montagsfassung der Regierung Dienstags überholt und abermals steht nicht fest, was nun eigentlich langfristig gilt. Der Ausstieg aus dem Sofortausstieg bedeutet zunächst, daß fristlos wiederaufgearbeitet wird. Er bedeutet außerdem, daß Jürgen Trittin nachsitzen muß. Das Bundeskabinett beauftragte das Umweltministerium mit einer Neufassung der Atomgesetz-Novelle, die die Ergebnisse der Energiekonsensgespräche mit der Stromwirtschaft berücksichtigt. Die Atomwirtschaft will sich frühestens zum Jahresende auf Restlaufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke festlegen. Frühestens in fünf bis sechs Jahren kann der Atommüll zwischengelagert werden, meinen Vertreter der Energieversorger. So lange dauert der Bau von Zwischenlagern. Wer dann mit welcher Energiepolitik regiert steht in den Sternen. Das einzige Kernkraftwerk mit Zwischenlager steht in Obrigheim in Baden-Württemberg. Im Südweststaat stammen 60 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken. Die Landesregierung in Stuttgart hat deshalb gedroht, sie werde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ein Verbot der Wiederaufbereitung klagen. - Vor dieser Sendung habe ich mit Ministerpräsident Erwin Teufel, CDU, gesprochen. Erste Frage: Der Termin 01. Januar 2000 ist vom Tisch. Es wird auch im neuen Jahrhundert wiederaufbereitet. Ist damit die Klage hinfällig?

    Teufel: Wir haben natürlich noch keine Klage beschlossen, sondern wir haben gesagt, wenn dies so Gesetz wird, wie Trittin dies angekündigt hat, dann werden wir klagen, weil dieses Gesetz von Herrn Trittin sowohl gegen das Völkerrecht verstößt wie gegen den Euratom-Vertrag, also europäisches Recht, das deutsches Recht bricht, wie gegen die deutsche Verfassung und außerdem gegen völkerrechtlich abgeschlossene Verträge. Die Bundesregierung hat nun, entgegen ihrer Absicht noch vom Sonntagabend, von Bundeskanzler Schröder angekündigt in einer ZDF-Sendung, eben das Gesetz nicht beschlossen und es findet am Freitag keine Debatte dieses Gesetzentwurfes statt unter Umgehung aller Anhörungspflichten. Deswegen warte ich jetzt ab, was tatsächlich von der Bundesregierung kommt, und dann werden wir dies rechtlich wieder beurteilen.

    Heinemann: Was würde sich juristisch ändern, wenn sich Bundesregierung und Energieversorger auf Restlaufzeiten einigten und die Kraftwerke nach und nach in Einvernehmen stillgelegt würden?

    Teufel: Unser Gutachter hat klar gesagt, daß das geltende Recht auch eingehalten werden muß und nicht etwa durch Konsens der Beteiligten unterlaufen werden kann. Ich kann aber natürlich die Frage hypothetisch, wie sie gestellt ist, nicht beantworten. Wir betrachten immer die Wirklichkeit und werden dann die Folgen abschätzen und die rechtlichen Möglichkeiten prüfen. Im Augenblick liegt ja gar nichts auf dem Tisch, was jetzt beurteilt werden kann.

    Heinemann: Herr Teufel, die rot/grüne Koalition hat die Bundestagswahlen mit der erklärten Absicht gewonnen, aus der Atomenergie aussteigen zu wollen. Wieso bekämpft Ihre Partei diese Entscheidung?

    Teufel: Weil auch eine Regierung, die eine Mehrheit im Parlament hat, sich an das geltende Recht halten muß. Die Mehrheit ist nicht Wahrheit. Selbstverständlich muß auch diese Bundesregierung die deutsche Verfassung einhalten, unser Grundgesetz, und selbstverständlich steht sie in der Kontinuität früherer Bundesregierungen und muß Völkerrecht einhalten und muß europäisches Recht einhalten. Der alte römische Rechtsgrundsatz gilt selbstverständlich auch für diese Regierung: Verträge sind einzuhalten.

    Heinemann: Solange es keine Zwischenlager gibt, wird wiederaufbereitet. Zwischenlager müssen aber von den Landesregierungen genehmigt werden. Werden Sie als Ministerpräsident diese Genehmigungen verzögern, damit die Atomkraftwerke weiterlaufen können?

    Teufel: Wir werden sie mit Sicherheit nicht verzögern, aber wir können uns mit der Frage von Zwischenlagern auch erst beschäftigen, wenn Anträge vorliegen, wenn Kapazitäten für Zwischenlager vorhanden sind und wenn sie genehmigungsfähig sind. Dann muß man insbesondere prüfen, ob öffentliche Anhörungsverfahren notwendig sind. Das alles kann man nicht abstrakt beantworten, sondern dort sind wir auf konkrete Anträge angewiesen.

    Heinemann: Herr Teufel, 60 Prozent des Stromes aus badischen und schwäbischen Steckdosen stammt aus Kernkraftwerken. Das sind fast französische Verhältnisse. Bundesweit beträgt der Anteil etwa ein Drittel. Warum ist Ihr Land so auf Kernenergie fixiert?

    Teufel: Es gibt noch Länder, die einen wesentlich höheren Anteil haben, beispielsweise Schleswig-Holstein mit 80 Prozent, überhaupt norddeutsche Länder, auch Hamburg. Baden-Württemberg hat aber einen starken Kernkraftanteil. Wir sind ja kein Kohleland, und wir haben Kohle immer auch unter dem Aspekt der Umweltbelastung gesehen, CO2-Ausstoß. Wir sind ein Hochtechnologie-Land und halten die Kernenergie für sicher, setzen aber keineswegs nur auf die Kernenergie. Kein Land in Deutschland gibt mehr aus für die Forschung alternativer Energiearten. Von Freiburg über Stuttgart bis Ulm haben wir Institute, die internationales Renomee haben und Spitzenforschung auf diesem Gebiet betreiben. Wir selber fördern auch die Einführung. Nur für eine absehbare Zeit kann man ganz gewiss weder durch Einsparen noch durch alternative Energiearten Kernkraft in dieser Dimension ersetzen. Man müßte umsteigen auf Kohlekraftwerke. Dann muß die Frage der Umweltbelastung beurteilt werden, oder man müßte umsteigen auf den Import von Strom. Der könnte bei uns aus den europäischen Nachbarländern überhaupt nur aus Kernkraftwerken erfolgen. Da frage ich mich, was das für eine moralische Haltung ist und für eine rationale Haltung ist, wenn die Bundesregierung sichere deutsche Kraftwerke abstellt und auf der anderen Seite dadurch Ersatz geschaffen werden muß, daß wir aus ausländischen, insbesondere aus französischen Kernkraftwerken dann den Strom beziehen.

    Heinemann: Herr Teufel, zur Umweltbelastung gehört aber auch der Atommüll. Endlager gibt es hierzulande bis jetzt nicht. Gorleben wäre möglich. Bundeskanzler Schröder meint aber, man müsse auch in Süd- oder Südwestdeutschland nach geeigneten Standorten Ausschau halten. Sollte in Baden-Württemberg auch endgelagert werden, was in Baden-Württemberg verbrannt wurde?

    Teufel: Den Satz hat nach meiner Erinnerung nicht der Bundeskanzler Schröder gesagt, sondern der Ministerpräsident Schröder von Niedersachsen. Ich kann nur sagen, das mit den Endlagerstätten ist ja nicht ein Entgegenkommen Niedersachsens gewesen, sondern das ist ein Entsorgungskonzept, das der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt mit allen Ministerpräsidenten - damals waren es elf - der deutschen Länder ausgehandelt und unterschrieben hat. Auf dieses Entsorgungskonzept bezogen haben wir Genehmigungen für Kernkraftwerke in unserem Land erteilt, und auf dieses Entsorgungskonzept stützen wir uns auch heute.

    Heinemann: Sollte es auch in Baden-Württemberg ein Endlager geben?

    Teufel: Das steht ja gar nicht zur Diskussion, denn die Lagerkapazitäten dieses Bund-Länder-Entsorgungskonzeptes reichen aus.

    Heinemann: Jetzt ist neuerdings eine Diskussion darüber entbrannt, ob man auch in Russland endlagern könnte. Was sagen Sie dazu?

    Teufel: Ich kann das nicht beurteilen. Ich bin nicht dafür, daß man Lasten in andere Länder abschiebt, sondern wir müssen selbst für eine geordnete Entsorgung aller Abfälle, auch der atomaren Abfälle sorgen.

    Heinemann: Herr Teufel, die Union erprobt zur Zeit neue Formen der Oppositionsarbeit auf deutschen Straßen. Wäre die Atompolitik ein Thema für eine Unterschriftenaktion?

    Teufel: Das glaube ich nicht. Dort steht ja jetzt überhaupt gar keine Entscheidung an. Ich bin nicht prinzipiell der Meinung, daß die repräsentative Demokratie partiell durch pläbiszitäre Akte ersetzt werden müßte, aber ich kann nur sagen, daß in einer Frage wie der doppelten Staatsbürgerschaft, wo nach Meinungsumfragen wirklich 64 Prozent der Bürger gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind, ein Ventil geschaffen werden muß, wo die Bürger ihre, von der Absicht der Bundesregierung abweichende Auffassung auch durch Unterschrift zum Ausdruck bringen können. Sie haben gerade bei dem Thema, über das wir uns unterhalten haben, nämlich bei der Kernenergie gesehen, wie schnell die Bundesregierung ihre Meinung ändern kann: von Sonntagabend bis Montagmorgen. Ich kann nur hoffen, daß die Unterschriftenaktion dazu beiträgt, daß die Bundesregierung ihre Auffassung auch zur doppelten Staatsbürgerschaft ändert. Ich bin für Integration der Ausländer, die seit Jahren rechtmäßig hier leben, und für vereinfachte Einbürgerung, aber gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft. Wer Deutscher werden will soll es tun können mit allen Rechten und Pflichten, aber er soll nicht ein Sonderrecht haben und er soll auch nicht in eine Doppelloyalität kommen gegenüber seinem Herkunftsland und Deutschland.

    Heinemann: Jetzt sind wir schon mitten bei der Arbeit der Opposition. Abgesehen von Ihrem Auftritt in Bonn zu Beginn dieser Woche, war von der Union wieder nicht viel zu hören und zu sehen. Dabei liefert die Bundesregierung seit gut drei Monaten Steilvorlagen am laufenden Meter. Sind Sie mit dem Erscheinungsbild der Unionsparteien in Bonn zufrieden?

    Teufel: Ich glaube, daß die Union die wirklich wichtigen Fragen in Debatten auch aufgreift. Noch in dieser Woche findet auch eine Debatte zum Thema Kernenergie, von der CDU/CSU initiiert, statt.

    Heinemann: Das Gespräch mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Erwin Teufel, CDU, haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.