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Baden-Württemberg vor der Landtagswahl
Wandel, Wein und Wohlstand

Die grün-schwarze Koalition in Stuttgart hat zuletzt viel gestritten: über Coronaregeln, Klimaschutz und Verkehrspolitik. Trotzdem könnte es eine Neuauflage dieser Regierung geben, die Umfragen sehen die Grünen vorn. Die CDU muss in ihrem einstigen Stammland mit Verlusten rechnen.

Von Katharina Thoms | 12.03.2021
Stimmzettel fuer die Landtagswahl in Baden-Wuerttemberg am 14. Maerz. 09.03.2021 Foto: EIBNER/Thomas Dinges
Am Sonntag, 14. März, ist Landtagswahl in Baden-Württemberg (picture alliance / Eibner-Pressefoto / Thomas Dinges)
Stuttgart Anfang des Jahres. Die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg mitten in der Corona-Pandemie. "Meine Damen und Herren, wir sind nach wie vor auf einem hohen Niveau der Infektion", so der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Er und die CDU-Herausforderin, Kultusministerin Susanne Eisenmann, sind mitten im Landtagswahlkampf. Die Stimmung in der Koalition an ihrem vorläufigen Tiefpunkt.
Winfried Kretschmann: "Die Kultusministerin und ich sind deshalb übereingekommen, dass die Grundschulen und Kindertagesstätten vorerst zu bleiben müssen. Wir haben es uns dabei nicht einfach gemacht."
Susanne Eisenmann: "Der Ministerpräsident hat heute Morgen entschieden, momentan keine Schritte einzuleiten, gerade Kindern eine weitere Perspektive über den Lockdown hinaus zu bieten."
Und das, obwohl Susanne Eisenmann öffentlich etwas Anderes gefordert hatte. Der Ministerpräsident macht hier vor laufenden Kameras von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Der Kampf gegen das Virus ist damit zum Wahlkampfthema geworden.

Abgrenzung in der Koalition

Und die Szene belegt einmal mehr, wie schwer es ist, wenn zwei miteinander regierende Parteien und Spitzenpolitiker sich voneinander abgrenzen; ihr jeweils eigenes Profil schärfen wollen. Der grüne Kretschmann - zunächst vorsichtiger Corona-Krisenmanager. Unter dem Druck der CDU-Spitzenkandidatin hat aber auch der Ministerpräsident immer weiter umgeschwenkt. Für die Opposition eine Steilvorlage.
SPD-Chef Andreas Stoch: "Die Aussagen von Frau Kultusministerin Eisenmann während der Weihnachtsferien, die Schulen unabhängig von Inzidenzen zu öffnen, hat den Menschen Angst gemacht."
Die Spitzenkandidaten von FDP und AfD – Hans-Ulrich Rülke und Bernd Gögel - überboten sich dagegen schon früh und forderten Öffnungen: "Was wir uns aber wünschen, ist eine Öffnungsstrategie. Man kann nicht der Bevölkerung und den betroffenen Unternehmen immer nur sagen, der Lockdown geht jetzt ewig weiter", so Rülke. Und der AfD-Politiker Gögel: "Wir möchten, dass die Schüler wieder in Präsenzunterricht gehen und dass die vulnerablen Gruppen speziell geschützt werden."

Grüne in Umfragen vorn

Umfragen zeigen bisher keine Wechselstimmung in Baden-Württemberg. Im Gegenteil: Die Grünen dürften bei der Landtagswahl am Sonntag wohl noch zulegen. Die CDU dagegen mit Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann muss mit Verlusten rechnen.
Eine zusätzliche Belastung für sie ist die aktuelle Affäre um Unionspolitiker: Sie sollen sich die Vermittlung von Schutzmaskenlieferungen offenbar teuer haben bezahlen lassen. In die Maskenaffäre verwickelt auch: Nikolas Löbel aus Mannheim in Baden-Württemberg. Mittlerweile ist er aus der CDU ausgetreten und hat sein Bundestagsmandat niedergelegt.
Den Wahlumfragen zufolge könnte jedenfalls eine Neuauflage der grün-schwarzen Koalition wieder möglich werden. Die vergangenen fünf Jahre waren allerdings eine Zeit voller Koalitionskonflikte: Gerungen wurde nicht nur um die richtige Corona-Politik, sondern auch um Diesel-Fahrverbote, Klimaschutzvorgaben, Abschiebungen, das Polizeigesetz oder das Wahlrecht. Bei vielen Themen geht es um notwendigen Wandel, um Transformationen.
Das Bild zeigt einen Arbeiter an einem Montageband in einer VW-Autofabrik. Der Arbeiter trägt eine Mundnasenmaske.
Nagelprobe für eine Branche im Umbruch Die Autoindustrie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Deutschlands. Hunderttausende Menschen arbeiten bei Herstellern und Zulieferern. Nun stürzt die Corona-Pandemie die Branche in ein Nachfrage-Tief – vor dem Hintergrund des Umbaus zu mehr Elektromobilität.

Sorge in der Autoindustrie

Streiks in Stuttgart in diesen Tagen, vor den Werken der großen Zulieferer der Autoindustrie, Bosch und Mahle. "Ich habe nur noch ein paar Jahre. Aber ich denke an die Zukunft der Jugend", so ein Streikender. Und ein anderer: "Merkt man schon, dass die Projektteams sehr missmutig sind, dass viele Angst haben vor der Zukunft und nicht wissen, wie weiter."
Bei den aktuellen Tarifverhandlungen der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg geht es längst nicht nur um mehr Lohn. Die Beschäftigten haben Angst, unter die Räder zu kommen. Denn es stehen große Veränderungen an in der für Baden-Württemberg so wichtigen und traditionsreichen Automobilbranche: weg vom Verbrennungsmotor, hin zu neuen Technologien.
Die Betriebsratsvorsitzende im Stuttgarter Mahle-Werk, Luljiana Culijak: "Wir fordern als Betriebsrat eine Zukunft. Wir fordern Zeit für den Wandel. Wir fordern zwei Jahre Beschäftigungssicherung. Und wenn es einen Abbau gibt, dann sozialverträglich, ohne Kündigung. Und Stand heute ist, dass sie ab nächstes Jahr kündigen wollen."
Mahle will in Deutschland 2.000 Stellen streichen. Gewerkschaftern zufolge sind auch am Standort in Stuttgart-Feuerbach mehr als 300 Jobs bedroht. Ursprünglich hat der Autozulieferer hauptsächlich Kolben und Pumpen für den klassischen Verbrenner produziert.
Das Geschäft wird zurückgefahren. Weltweit hat Mahle schon Tausende Arbeitsplätze gestrichen: "Aber gerade so eine Transformation an einem Entwicklungsstandort müsste eigentlich Investitionen mit sich bringen, und momentan ist es nur ein Sparkurs und Verlagerung und Kündigung. Und dagegen stellen wir uns."

Jobs der Autozulieferer bedroht

Mahle hat im vergangenen Jahr große Verluste gemacht. Und ist nur ein Beispiel von vielen. Aber die Lage ist komplex: Denn die Autoindustrie hat sich besser von der Coronakrise erholt als erwartet. Dennoch stehen die Firmen unter großem Veränderungsdruck, vor allem die Zulieferfirmen: Stellen werden abgebaut und oft ins Ausland verlagert, kleinere Werke geschlossen. Mit dem Gesparten will man dann in neue Bereiche investieren. Gerade die oft hochspezialisierten Zulieferer werden es wohl auch in den kommenden Jahren schwer haben:
"In der Produktion von Komponenten wird zukünftig sicherlich weniger Arbeitskraft benötigt", sagt Florian Herrmann. Er leitet am Stuttgarter Fraunhofer Institut den Forschungsbereich Mobilitätssysteme. Die Autoindustrie macht rund 90 Milliarden Euro Umsatz in Baden-Württemberg, an der Branche hängen fast eine halbe Million Arbeitsplätze.
Die Jobs bei den Zulieferern werden schneller verschwinden, sagt Herrmann: "Das hängt einfach damit zusammen, dass der Automobilhersteller näher am Produkt dran ist und eben diese kleinteiligen beschäftigungsintensiven Tätigkeiten in der Form halt nicht hat, beziehungsweise die eben besser abfedern kann, durch einen großen Umfang an anderen Tätigkeiten, die er halt noch im Unternehmen verankert hat."

Innovation ist gefragt

Die Vorgaben der Europäischen Union lauten: 55 Prozent weniger CO2-Austoß bis 2030, um die menschengemachte Erderwärmung aufzuhalten. Diese Voraussetzungen zwingen die Firmen zu einem noch schnelleren Umsteuern. "Das heißt, es wird jetzt sehr ambitioniert." Aber: Florian Herrmann will nicht schwarzmalen. Er hat zuletzt in einer Studie für Volkswagen untersucht, welche Chancen der Wandel auch bieten kann. Es werden neue, andere Jobs entstehen.
Und dazu könne auch die Politik ihren Teil beitragen: "Das heißt, wenn wir es schaffen, in Baden-Württemberg einfach besonders innovative Konzepte vorzustellen und die auch als erster vielleicht zu verankern, dann tut es natürlich auch den Unternehmen gut."
Die grün-schwarze Landesregierung hat vor vier Jahren den Strategiedialog Automobilwirtschaft ins Leben gerufen. Ein Lieblingsthema von Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen. In regelmäßigen Runden mit Forscherinnen und Forschern etwa vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut und mit den Chefs der Autoindustrie werden Zukunftsprojekte besprochen.

Investitionen in E-Mobilität

Kretschmanns Herausforderin im Wahlkampf – die CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann – findet das zu behäbig. Beim Fernseh-Duell im SWR griff sie Kretschmann an: "Es ist natürlich gut, wenn man in runden Tischen miteinander spricht, es ist auch wichtig, wenn man Dialogforen hat. Aber die Frage ist: Wie lang spricht man, und wann kommt man auch voran?"
Winfried Kretschmann reagierte: "Nach jedem Gespräch werden Dinge ausgeguckt, die wir dann auch in den Haushalten umsetzen. Also es ist jetzt kein runder Tisch, wo man mal ein bisschen plauscht."
Gefördert wurde vom Land zum Beispiel ein Ladesäulen-Netz für Elektro-Autos. Rund 5.000 gibt es inzwischen in Baden-Württemberg. Mehr hat nur Bayern. Eine Beratungsstelle für kleine und mittlere Unternehmen wurde eingerichtet. Und zahlreiche Forschungs- und Modellprojekte gefördert: zum Beispiel in den Bereichen Wasserstoff, autonomes Fahren und synthetische Kraftstoffe. Rund 175 Millionen Euro hat die grün-schwarze Regierung in solche Projekte gesteckt.

Ideen für Zukunft des Verkehrs

Es gibt durchaus inhaltliche Schnittmengen bei den Noch-Regierungspartnern. Was sie unterscheidet: Die Grünen wollen stärker auch Mobilität jenseits des Autos fördern – die Vernetzung von öffentlichem und Individualverkehr. Die CDU betont hingegen vor allem Technologieoffenheit: Wasserstoff, alternative Kraftstoffe sollen gleichberechtigt neben der Elektromobilität stehen. So will es auch die FDP. Nur die AfD setzt weiter auf den Dieselmotor.
Die Sozialdemokraten betonen in ihrem Wahlprogramm: Sie wollten den Wandel in der Autoindustrie mit den Beschäftigten gestalten – und vor allem durch Weiterbildung unterstützen. Zusätzlich zu den Unternehmen.
Außenaufnahme des Landtags von Baden-Württemberg. Im Vordergrund ein Schild mit der Aufschrift. Landtag von Baden-Württemberg. 1959-1961 erbaut.
Kandidaten, Wahlthemen – das Wichtigste im Überblick
Die Wahl in Baden-Württemberg gilt auch als Gradmesser für die Bundestagswahl ein halbes Jahr später: Neben den Folgen der Coronakrise wird der Klimaschutz das wohl größte Thema des Wahljahres, besonders im grün regierten "Ländle". Können die Grünen ihre guten Umfragewerte behaupten? Ein Überblick.
Einen ersten Fonds für Qualifizierung mit rund 40 Millionen Euro hat das Land gerade erst eingerichtet. Es geht aber um Grundsätzlicheres, sagt Mobilitätsforscher Herrmann: "Wenn jemand halt eben einen Verbrennungsmotor, ein Getriebe montiert, dann kann der zukünftig beispielsweise auch in der Batteriemontage sicherlich mit einigen Veränderungen tätig werden. Schwieriger wird es im Bereich der Entwicklung. Das sind Sachen, die müssen ganz tief auch in der universitären Ausbildung verankert sein."
"Ganz genau. Die Berufsbilder der Vergangenheit werden sicherlich in Zukunft so nicht mehr funktionieren", sagt auch Frank Deiß, Chef im Bereich neue Antriebssysteme bei Mercedes-Benz in Stuttgart. Er leitet den historischen Standort Untertürkheim. Dort sollen auf dem künftigen Elektro-Campus spätestens in drei Jahren Elektroantriebe produziert, Batterien mit mehr Speicherkapazitäten entwickelt werden.
"Das heißt, auch dort werden wir das Thema Chemie in den Fokus nehmen. Aber auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Alles, was in Richtung Datencodierung geht. Da gibt es interessante neue Berufe, die wir jetzt uns gemeinsam anschauen wollen und dann ebenfalls anbieten wollen, auch in unserer eigenen Ausbildung."

Betriebsrat: "Wir stehen zu diesen E-Themen"

Die Zukunft für den Standort Untertürkheim sei damit gesichert, sagt Daimler-Betriebsrat Michael Häberle: "Wir stehen zu diesen E-Themen. Die fordern wir seit 2015 auch ein und haben gesagt, der E-Campus muss nach Untertürkheim."
Werksleitung und Betriebsrat haben darum lange gestritten, wie es mit dem Werk weitergehen soll. Das Problem war nicht die elektrische Zukunft. Sondern: Wie kann der Weg dahin gelingen – mit rund 19.000 Beschäftigten?
Michael Häberle: "Wir brauchen für die Kolleginnen und Kollegen, die heute an Bord sind, einen fließenden Übergang. Und das heißt: Ich brauche Beschäftigung, vor allem auch in der Produktion, neben Forschung und Entwicklung, genügend Arbeit."
Ein Teil einer zusätzlichen Produktion für herkömmliche Motoren wird deshalb vorübergehend auch in Stuttgart angesiedelt. Parallel zur Elektrosparte. Der Großteil aber wird nach Polen abgegeben. Die bisherigen Beschäftigten sollen hier weiterarbeiten, sich qualifizieren. Und wer das nicht kann, nicht mehr will, kann an andere Standorte wechseln; auch Abfindungen sind möglich. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis 2030 ausgeschlossen.
"Es ist wirklich historisch", sagt Werksleiter Frank Deiß über die Einigung nach Monaten des Streits. In zehn Jahren werden dann weniger Menschen in Untertürkheim arbeiten, schätzt er. Die Hoffnung: Dass der Wandel in der baden-württembergischen Automobilindustrie ohne große soziale Verwerfungen gemeistert wird.

Landwirtschaft und Artenschutz

Ein weiteres Thema, über das in der vergangenen Legislaturperiode viel diskutiert wurde und auch die künftige Landesregierung beschäftigen dürfte, ist der Schutz der Artenvielfalt. Baden-Württemberg ist ein Bundesland mit starkem Agrarsektor, bei der Zahl der Betriebe und auch bei der Nutzfläche liegt das Land im innerdeutschen Vergleich weit vorn. Auch deshalb soll der Artenschutz gemeinsam mit der Landwirtschaft erreicht werden – mit einem Artenschutzprogramm und einem neuen Naturschutzgesetz.
19.10.2020, Baden-Württemberg, Böbingen an der Rems: Gelb leuchtender Ackersenf blüht nahe dem Böbinger Ortsteil Beiswang im Ostalbkreis auf einem Feld. Foto: Marius Bulling/Ostalb Network
Baden-Württemberg versucht, Artenvielfalt und die Interessen der Landwirtschaft auszutarieren (picture alliance / Ostalb Network / Marius Bulling)
Der Kompromiss ist auch eine Folge des ursprünglich geplanten Volksbegehrens "Rettet die Bienen", das am Ende aber dann doch abgesagt wurde, weil das Vorhaben vielen Landwirten und auch den beiden Regierungsparteien zu weit ging. Das im Sommer beschlossene Biodiversitätsgesetz gilt dennoch als ehrgeizig.
"Also sagen wir mal so: Man muss sich schon ziemlich anstrengen", sagt Sabine Zikeli, Agrarwissenschaftlerin an der Universität Hohenheim in Stuttgart, sie leitet dort das Zentrum für ökologischen Landbau. Im Biodiversitätsgesetz steht: Bis 2030 soll es mehr naturbelassene Biotope, mehr Brachflächen auf Äckern geben. Landwirte sollen den Einsatz von Pestiziden um die Hälfte reduzieren. Und: Bis zu 40 Prozent Ökolandwirtschaft in der Fläche soll es geben."

Umsteigen auf Ökolandbau oder nicht?

Grüne und SPD werben ausdrücklich für diese Ziele in ihren Wahlprogrammen. Die CDU will vor allem die Familienbetriebe und bisherigen Strukturen unterstützen. Und die Vorgaben im Gesetz? Sind erstmal nur: Ziele. Bisher nicht verbindlich. Gut so, sagt Sabine Zikeli:
"Eine Umstellung auf Ökolandbau, das trifft einen Landwirt als einen privatwirtschaftlichen Unternehmer. Den kann ich nicht zwingen. Man kann nur Anreize schaffen."
In den zurückliegenden zehn Jahren - mit zwei grün-geführten Regierungen - ist der Anteil von Ökolandbau in Baden-Württemberg zwar gewachsen, aber sehr langsam: von acht auf aktuell gut 13 Prozent der Fläche. Baden-Württemberg liegt damit über dem Bundesdurchschnitt. Aber der Weg ist noch weit.
Im Weinsberger Tal in der Nähe von Heilbronn überlegt die 24-jährige Winzerin Stefanie Vollert auch immer mal wieder: Soll sie umstellen? "Ich habe mehr Aufwand im Bio. Krieg aber für meinen Wein oder Kartoffeln nicht so viel mehr. Also, dass sich der Aufwand lohnt."
Vollert wüsste auch nicht: An wen wenden? Jetzt liefert sie ihre Trauben in der Winzergenossenschaft ab. Die Handelswege sind klar und alles ist in der Nähe.
Auf Wahlplakaten in Stuttgart sind die Spitzenkandidatin der CDU, Susanne Eisenmann, und der Spitzenkandidat der Grünen, Winfried Kretschmann, zu sehen.
Wie digitaler Wahlkampf funktioniert
Keine Kundgebungen mit Bundesprominenz, kein Haustür-Wahlkampf, keine Infostände in Fußgängerzonen: Wegen Corona ist der Wahlkampf in Baden-Württemberg ein digitaler und das Wahlplakat wird vermehrt eingesetzt. Um die Stimmung beim Wahlvolk zu ergründen, greifen Kandidaten zum Telefon.

Bio-Wertschöpfungsketten aufbauen

So geht es auch Michael Kreß. Der Ackerbauer hat seinen Hof ein paar Kilometer weiter, in der Region Hohenlohe. Er baut konventionell an. Achtet aber trotzdem darauf, jedes Jahr etwas anderes anzupflanzen, damit der Boden Abwechslung hat, die Pflanzen gesund bleiben: "Da waren letztes Jahr Kartoffeln drin, da ist jetzt Winterweizen angesät nach den Kartoffeln."
Für eine Umstellung auf ökologische Landwirtschaft fehlen auch seiner Ansicht nach die Strukturen: "Es ist jetzt kein Schritt, wo ich sage würde, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich kann mir das nur im Moment nicht vorstellen, unter den Rahmenbedingungen, die wir haben."
Er müsse viel zu weit fahren, um seine Kartoffeln oder den Weizen an einen Biohändler zu liefern. Lohnt sich nicht, sagt Kreß. Hier sei die Politik gefragt, meint Agrar-Expertin Sabine Zikeli: "Also das ist jetzt mal so eine Erwartung, dass man da einfach dann Wertschöpfungsketten aufbaut und einfach Möglichkeiten bietet, eben für Landwirte, dass sie einfach an die Vermarktung rankommen."

Landes-Kantinen als Bio-Beispiel

Vor drei Jahren hat die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg sogenannte Bio-Musterregionen gegründet: Hier erhalten Bäuerinnen und Bauern Beratung, wie sie sich zum Beispiel miteinander und auch mit dem Handel vernetzen können. Solche Projekte sollten dauerhaft ausgebaut werden, sagt Sabine Zikeli: "Wenn man schon jetzt zum Beispiel eine Mühle hat, die bereit wäre, öko zu mahlen und dann vielleicht noch ein oder zwei interessierte Bäcker, dann ist es eher möglich, da was zu bewegen und was zu machen."
Mehr Absatz und Breitenwirkung versprechen sich Politik und Wissenschaft auch davon, wenn Kantinen und Großküchen auf bio umstellen. Als Modellprojekt hat die baden-württembergische Regierung elf landeseigene Kantinen auf Bioessen umgestellt. Diesem Beispiel müssten aber noch viele Restaurants, Kantinen und Imbisse folgen, damit die Nachfrage ausreichend wächst für die angestrebten 40 Prozent Öko-Landwirtschaft in der Fläche bis 2030.
Ohne diesen Wandel hin zu mehr bio dürfte auch der Einsatz von Pestiziden kaum zu verringern sein. Die Nutzung der Pflanzenschutzmittel soll um fast die Hälfte reduziert werden. Das betrifft Landwirte ebenso wie Gemeinden, die die Chemikalien zum Beispiel in Parks oder am Straßenrand einsetzen. Allerdings ist gar nicht klar, wie viel überhaupt die Hälfte ist, die jetzt eingespart werden soll: Das CDU-geführte Landwirtschaftsministerium hat lange keine Zahlen zum Einsatz von Pestiziden herausgegeben. Jetzt soll der Chemikalien-Einsatz in Beispielbetrieben zum ersten Mal überhaupt ermittelt werden.

Ganz ohne Pestizide ist es schwierig

Ganz ohne chemische Mittel geht es für Stefanie Vollert im Weinberg aber nicht. Der falsche Mehltau etwa sei ohne Pestizide nicht zu bezwingen, sagt Vollert: "Dadurch ist zum Beispiel auf dem Blatt keine Photosynthese mehr möglich. Keine Zuckereinlagerung. Wir haben keinen Ertrag."
Auch die Expertin für Ökolandbau ist da pessimistischer. Sabine Zikeli: "Hier haben wir ein Problem, weil bestimmte Pflanzenkrankheiten und Insektenprobleme in speziellen Jahren mehr auftreten als in anderen. Und man wird in manchen Jahren nicht unter die 50 Prozent kommen."
Eine Möglichkeit: Andere Sorten züchten und anbauen. Vollert versucht das schon in ihrem Weinberg. "Ich setze zum Beispiel mehr pilzwiderstandsfähige Rebsorten ein, wo ich zum Beispiel nur zwei Mal spritzen muss. Da ist dann wieder die Sache: Wie vermarkte ich das? Viele Leute wollen das gar nicht. Die kennen halt ihren Riesling und da wird der Riesling getrunken."

"Allein mehr Geld hilft nicht"

Ohne Verbraucherinnen und Verbraucher wird es nicht gehen, sagt auch Sabine Zikeli. Und wo es nicht um Monokulturen geht, wie im Wein- oder Obstbau: Fruchtfolgen ändern. Und Technik nutzen statt Chemie. Auf Hightech setzen auch CDU und FDP in ihren Programmen. Umweltverbände fordern mehr Investitionen vom Land: Baden-Württemberg hat sein Budget in den ersten zwei Jahren für das neue Naturschutzgesetz aufgestockt, um mehr als 60 Millionen Euro.
Die Grünen wollen das ausbauen. Aber für den Erfolg braucht es mehr, sagt die Wissenschaftlerin Sabine Zikeli: "Nur allein mehr Geld hilft dann da nicht. Es muss schon auch die Bereitschaft da sein."