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"Bagatellisieren kann man das keinesfalls"

Wie gefährlich sind die Brände in Russland für dortige Atomanlagen oder radioaktiv verseuchte Gebiete? Professor Edmund Lengfelder hält die Katastrophenschutzmaßnahmen der Russen für ausreichend; das größte Problem aus seiner Sicht ist - Wind.

11.08.2010
    Silvia Engels: In Russland brennt es weiter. In Moskau ist der Rauch etwas weggeblasen worden, doch andere Städte leiden weiter. Auf dem Land brennen auch nach wie vor Dörfer ab und helfender Regen ist nicht in Sicht. Über die Bedrohung der Atomanlagen des Landes durch die Flammen gehen die Meinungen auseinander. Die russischen Behörden betonen, die Lage unter Kontrolle zu haben; die Umweltorganisation Greenpeace erklärt dagegen, 20 Feuer würden nach wie vor Atomanlagen bedrohen.
    Wir haben es gehört: Atomanlagen in Russland sind angeblich sicher vor den Bränden. Doch einige Umweltorganisationen glauben das nicht. Greifen wir das Beispiel des Wiederaufarbeitungszentrums Majak im Ural heraus. Es liegt ungefähr 2000 Kilometer östlich von Moskau und dort wurden nach Behördenangaben zwar gestern die umliegenden Brände gelöscht, doch seitdem sich 1957 in Majak ein schwerer Atomunfall ereignete, sind dort auch große Teile des umliegenden Bodens kontaminiert. – Am Telefon begrüße ich Professor Edmund Lengfelder. Er ist Mediziner, Strahlenbiologe und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Strahlenschutz. Guten Morgen, Professor Lengfelder.

    Edmund Lengfelder: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Schauen wir auf Majak. Wie stark sind die Böden, Seen und Flüsse dort belastet und in welchem Umkreis?

    Lengfelder: Dieser Unfall in Majak 1957 wurde natürlich über sehr lange Zeit geheim gehalten, aber er kommt in der Bodenkontamination und in der Kontamination der Bevölkerung dem Supergau von Tschernobyl gleich. Die freigesetzten Nuklide im Majak-Unfall waren überwiegend Strontium, und wir haben auch mit Leuten, die in Majak damals dabei waren, oft diskutiert. Der große Unterschied zwischen Tschernobyl und Majak war: In Majak waren die Kontaminationen mehr lokal. Da gab es nicht die Explosion und nicht durch den Brand den Aufwind wie in Tschernobyl. Deswegen ist die dort belastete Fläche deutlich kleiner im Vergleich zu Tschernobyl.

    Engels: Das heißt, Sie sehen nicht so große Gefahren, dass durch Brände, die sich nähern, möglicherweise atomare Asche in die Luft gerät?

    Lengfelder: Das ist überhaupt nicht auszuschließen. Das Problem ist ja, dass beim Brand durch den Aufwind diese radioaktiven Stoffe, insbesondere Strontium und Cäsium-137, in die Luft kommen und dann mit der Atmung und auch später beim Aufschlagen auf Felder in die Nahrung kommen können. Bagatellisieren kann man das keinesfalls, aber die Russen oder die Sowjets haben durch diese lokale Begrenzung die Möglichkeit, doch einzudämmen, und im Falle von Majak ist eben die Großstadt Tscheljabinsk im Norden von Majak oder von dieser Anlage doch besonders davon betroffen.

    Engels: Kann man denn sagen, wie weit solche kontaminierte Asche durch Brände, durch Flammen weitergetragen werden kann?

    Lengfelder: Wir sehen ja am Beispiel von Tschernobyl, dass Flächen im Norden von Schottland hoch belastet wurden, und das sind ja Entfernungen von an die 3000 Kilometer. Das heißt, wenn der Wind entsprechend steht, dann können diese radioaktiven Stoffe mehrere Tausend Kilometer verfrachtet werden.

    Engels: Wir sprachen es an, beziehungsweise Sie haben es erwähnt: Es geht gerade im Fall Majak um Strontium. Welche besonderen Folgen hat das für Menschen, die diese Asche einatmen?

    Lengfelder: Strontium ist ein Radionuklid. Das ist ein reiner Betastrahler, ist also auch nicht leicht zu messen. Wenn Strontium in den Körper gelangt, wird es dort eingelagert, insbesondere in den Knochen, und verlässt eigentlich den Körper nicht mehr. Das ist das Problem sowohl der Erfassung als auch dann der Wiederausscheidung. Anders als beim Cäsium erfolgt das beim Strontium-90 nicht mehr.

    Engels: Herr Professor Lengfelder, Sie selbst waren mehr als 150 Mal in der Region von Tschernobyl, Sie kennen die Region dort sehr gut. Nun hören wir auch, dass möglicherweise Regionen, die damals durch diesen Gau belastet wurden, auch wieder durch die Flammen bedroht sein könnten. Wie schätzen Sie diese Meldungen ein?

    Lengfelder: Das ist leider zutreffend, denn die radioaktiven Wolken aus Tschernobyl wurden auch nach Osten geweht, also in das Gebiet von dem Obla Spriansk. Das ist zwischen Taluga und Kursk oder Orrel. Das ist eine große Fläche, die hat eine Ausdehnung von ein paar Hundert Kilometer, und der Eintrag in den Boden dort ist ja erst 24 Jahre her. Das heißt, hier ist die Möglichkeit, durch Brände das radioaktive Material wieder zu verteilen, leider sehr groß und die Verfrachtungsentfernungen können wiederum einige Hundert, vielleicht sogar tausend Kilometer sein. Das heißt, auch unsere Strahlenüberwachungsbehörden sind aufgefordert, einfach vorsichtshalber die Aktivität zu messen, die Luftaktivität, um dann die Bevölkerung zu informieren, wenn es eintritt.

    Engels: Das heißt, auch im Rauch, auch in solchen möglichen Aschewolken wäre atomare Belastung zu messen?

    Lengfelder: Absolut möglich, ja.

    Engels: Dann schauen wir auf die Grundsatzfragen. Nun sprach ja die Organisation Greenpeace gestern von 20 Feuern, die atomare Anlagen in Russland bedrohen. Das ist alles Mögliche, das können Reaktoren sein, das können atomare Waffenlager sein. Wie schätzen Sie die Lage ein? Sind die atomaren Anlagen, gerade die AKW, grundsätzlich für solche Fälle, dass sie von Feuern eingeschlossen werden, irgendwie sicherheitstechnisch gerüstet?

    Lengfelder: Nach unserer Erfahrung – wir sind ja in der Region Tschernobyl seit mehr als 20 Jahren tätig – ist die Katastrophenschutzausrüstung und sind die Katastrophenschutzmaßnahmen der Russen ziemlich kompetent und ziemlich aktiv, und die Bedrohung der Anlagen selbst sehen wir nicht, denn die Anlagen können gut geschützt werden und dort ist auch das Militär auf Katastrophen wesentlich besser vorbereitet als in vergleichbaren westlichen Armeen. Allerdings das Aufwirbeln der dort bereits deponierten Mengen aus Tschernobyl ist ein Risiko, das ist überhaupt keine Frage, und darauf muss man das besondere Augenmerk richten.

    Engels: Nehmen wir einmal an, Flammen rücken näher, in die Nähe eines Atomkraftwerkes. Ist es denn technisch überhaupt möglich, rechtzeitig atomares Material auszulagern, wegzuschaffen, oder geht es da nur um Flammenbekämpfung, alles andere funktioniert nicht?

    Lengfelder: Wegschaffen kann man bei einem Atomkraftwerk nichts. Auch bei einer Wiederaufbereitungsanlage ist das Wegbringen nicht möglich. Das heißt, man muss Brandbekämpfung machen, bevor das Feuer dann auf einige 10 Kilometer an eine solche Anlage herankommt, und da halte ich die sowjetischen oder russischen Einrichtungen durchaus für geeignet, das durchzuführen, im Zweifelsfall auch unter Hintenanstellung der Sicherheitsbedenken vom Personal.

    Engels: Nun haben ja die russischen Behörden gesagt, man habe alles im Griff. Denken Sie, dass die Informationspolitik jetzt selbst im Fall, dass die Flammen möglicherweise beim Fall Tschernobyl noch näher rücken, besser laufen wird als damals, als dieser Unfall passierte?

    Lengfelder: Heute haben ja die russischen Behörden nicht mehr den Zwang, so etwas wie Tschernobyl geheim zu halten, was ja auch nicht möglich war. Deswegen denke ich, dass sie da etwas offener damit umgehen. Es gab ja auch den Fall von Tscheljabinsk oder von Majak. Da gab es inzwischen ja ein großes internationales Programm der Untersuchung der Folgen. Das heißt, die Offenheit ist wesentlich größer, als das damals war. Geheim halten kann man das wegen den Satellitenaufnahmen, die heute möglich sind, ohnehin nicht. Unsere Erfahrung mit den russischen und auch den weißrussischen Behörden ist bisher durchaus so, dass sie dann, wenn sie kompetente Ansprechpartner haben, auch ziemlich offen mit diesen Problemen umgehen.

    Engels: Wie schätzen Sie die jetzige Gefahr ein, generell gesprochen? Wird eine Gefahr von diesen atomaren Anlagen ausgehen?

    Lengfelder: Von den atomaren Anlagen sehe ich keine Gefahr. Ich sehe die Hauptgefahr im Wiederaufwirbeln von Asche, von Material, das dort bereits herumliegt. Da kann man schlecht etwas machen, außer die Brände möglichst rasch löschen, damit eben das Aufwirbeln durch den Aufwind nicht mehr passiert.

    Engels: Professor Edmund Lengfelder. Er ist Mediziner, Strahlenbiologe und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Strahlenschutz. Ich danke für Ihre Einschätzungen heute Früh.

    Lengfelder: Gerne geschehen!