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Baggern in Grund und Boden

Über 20 neue Stein- und Braunkohlekraftwerke sind in den nächsten Jahren geplant. Ob Garzweiler in Nordrhein-Westfalen oder das sächsische Heuersdorf - sie alle müssen sich dem Bundesberggesetz beugen. Das Gesetz stammt aus den 1930er Jahren und erscheint mittlerweile nicht nur Umweltexperten fragwürdig.

Von Secilia Pappert | 08.04.2008
    Die Debatte über Sinn und Unsinn von Kohlekraftwerken ist alles andere als neu. Wir brauchen den einheimischen Rohstoff dringend, sagen die einen. Kohle hat keine Zukunft und macht unser Klima kaputt, sagen die anderen. Unbeeindruckt davon verwandeln Kohlebagger Tag für Tag idyllische Landstriche in Mondlandschaften. Seit Jahrhunderten bewohnte Ortschaften verschwinden für immer von der Landkarte. Tausende Menschen verlieren ihr Zuhause - und das alles ganz legal. Grundlage ist das Bundesberggesetz. Das basiert im Prinzip auf einem Gesetz aus dem Dritten Reich, so Peter Hettlich, Bundestagsabgeordneter der Grünen:

    "Damals ging es halt darum, dass man hier alle Ressourcen, die man im Deutschen Reich hatte, sichern wollte. Und zwar staatlich-hoheitlich. Und deshalb hat man damals quasi alles unter dieses Bergrecht gestellt. Und das hat sich bis heute nicht geändert. "

    Wird eine Lagerstätte als ergiebig erachtet, ist der Abbau der Rohstoffe im Prinzip nur noch eine Verwaltungsangelegenheit. Dem "Allgemeinwohl", also auch einer sicheren Energieversorgung, fällt damit jegliches Privateigentum zum Opfer. Einzige Ausnahme, und da erkennt man die Wurzeln des Gesetzes: militärische Truppenübungsplätze .

    Peter Hettlich will das Bundesberggesetz abschaffen. Ein Gutachten soll prüfen, inwieweit entsprechende Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch oder im Umweltgesetzbuch verankert werden können. Hoffnung gäbe es dann vielleicht auch für den Denkmalschutz. Immer wieder müssen Jahrhunderte alte Kirchen und Baudenkmäler den Tagebauen weichen:

    "Es ist halt so, dass der Denkmalschutz an vielen Stellen geschliffen wird , quasi Denkmalschutz nur noch als lästiges Übel angesehen wird. Und das ist das Fatale in Deutschland. Das Volk der Dichter und Denker verschludert wirklich das, was wir an kulturellem Erbe haben. "

    So bohrt beispielsweise die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft MIBRAG derzeit im Südraum Leipzigs nach Kohle. Ein neuer Tagebau und ein neues Kraftwerk sind geplant. Mitten im potentiellen Abbaugebiet liegt das Dorf Röcken. Dort ist Friedrich Nietzsche begraben, einer der wichtigsten deutschen Philosophen. Geburtshaus, Taufkirche, letzte Ruhestätte - alles an einem Fleck. Das kleine Dorf ist ein Wallfahrtsort für Nietzsche-Fans aus aller Welt.

    Heute hängen hier Protestplakate. "Bleibt mir der Erde treu" zitieren sie aus Nietzsches Zarathustra. Die Dorfbewohner verstehen offensichtlich unter Zukunft etwas anderes, als die Pressesprecherin der MIBRAG, Angelika Diesener:

    "Weil wir Zukunft brauchen für die Region mit dem Bergbau. Weil wir sagen, auch in Zukunft soll es hier Bergbau geben. Weil wir der Meinung sind, wir brauchen die Braunkohle, sie gehört zum Energiemix. Wir haben den einheimischen Rohstoff hier und wir sollten ihn nutzen. "

    Bisher schien es, als gäbe es dafür keinerlei Einschränkungen. Nun aber haben die MIBRAG und das Land Sachsen-Anhalt dem öffentlichen Druck bezüglich der kulturhistorischen Bedeutung Röckens nachgegeben. In einer Pressemitteilung gaben MIBRAG-Geschäftsführung und Wirtschaftsministerium bekannt, dass ein Abbau der Lage Röcken aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht in Frage kommt. Laut Wirtschaftsminister Dr. Reiner Haseloff gehe es auch um das Ansehen Sachsen-Anhalts, seine Kultur und Geschichte. Wie die Entscheidung in die Praxis umgesetzt wird, ist noch unklar. Bei der MIBRAG verweist man auf die noch nicht abgeschlossenen Erkundungen des Gebietes. Denn der Tagebau ist weiterhin geplant.

    In Sachsen-Anhalt setzt man energiepolitisch ausdrücklich auf die heimische Braunkohle. Aus gutem Grund, wie Dieseners Kollege Andreas Günther meint:

    "Also die Kommunalpolitiker wissen, was sie an uns haben, als Wirtschaftsfaktor. Unsere Leute bringen ungefähr hundert Millionen Euro Kaufkraft in Region, durch die Gelder, die sie hier verdienen. Aber wir setzen auch durch die vertraglichen Beziehungen zu anderen Firmen 167 Millionen Euro jedes Jahr um in Form von festen Verträgen. Dazu kommen noch die Investitionssummen in Größenordnungen, also das sind mehrere Millionenbeträge."

    Millionen für die Braunkohle - viele halten das für eine Fehlinvestition. Erst recht, wenn es, wie in diesem Falle, um einen Tagebau für das Jahr 2035 geht.

    Professor Rolf Kreibich vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin und Mitglied des Weltzukunftsrates:

    "Die schlimmsten CO2-und Dreckschleudern sind natürlich die Braunkohlekraftwerke. Und die haben nun überhaupt keine Zukunft, da bin ich ganz sicher. Insbesondere deshalb, weil wir auf den ganzen Gebieten der regenerativen Energieerzeugung und Energieeffizienz-Technologien so viele Fortschritte jetzt erzielt haben, dass diese Kraftwerke überhaupt nicht mehr gebraucht werden. Langfristig - 2040 , 2050 - bin ich sicher, dass man die gesamte Energieversorgung auf Erneuerbare Energien umstellen kann. "

    Kreibich setzt auf die weitere Entwicklung von Solar-, Erdwärme- oder Windtechnologien sowie den Ausbau der Verbundnetze. Schon heute werden 14 Prozent des Stromes mit regenerativen Energien erzeugt, geplant waren fünf Prozent bis 2010. Der MIBRAG bricht durch die erneuerbare Konkurrenz der Umsatz ein. Förderte sie 2003 noch 21,5 Millionen Tonnen, waren es 2007 nur noch 18,6. Zudem plagen das Unternehmen künftige Belastungen durch kostenpflichtige CO2-Zertifikate. All das könnte der Grund dafür sein, dass die MIBRAG trotz intensiver Bemühungen bisher keinen der Energieversorger als Partner für ihr geplantes Braunkohlekraftwerk im Gebiet Röcken finden konnte.