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Bahn-Milliarden-Defizit
"Die Alarmglocken hätten schon viel früher schrillen müssen"

Die Bahn rutscht in die roten Zahlen: Diverse Medien berichten von einem Milliarden-Verlust. Bahnchef Rüdiger Grube habe nicht rechtzeitig gehandelt, sagte Grünen-Politiker Matthias Gastel im DLF: "Er hat zu spät die Weichen in die richtige Richtung gestellt". Jetzt müsse die DB in die Offensive gehen und in neue Züge und Infrastruktur investieren.

Matthias Gastel im Gespräch mit Peter Kapern |
    Bahnchef Rüdiger Grube posiert zu Beginn der Halbjahres-Pk für die Fotografen. Er hält die Hand auf ein Bahn-Logo. Neben ihm sind zwei große Modellbahnen zu sehen.
    Die Deutsche Bahn unter Konzernchef Rüdiger Grube hätte einen Teil des Defizits vermeiden können, indem sie rechtzeitig das Ruder herumgerissen hätte, meint Bahnexperte Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grünen. ( Wolfgang Kumm/dpa)
    Peter Kapern: Die Bahn wird in diesem Jahr einen Milliarden-Verlust einfahren. Das hat es seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gegeben. So jedenfalls lauten Berichte verschiedener Medien. Der Konzern selbst will die Zahlen nicht bestätigen, oder, man muss vielleicht sagen, noch nicht bestätigen, denn ein Sprecher des Konzerns ließ wissen, Mitte des Monats wolle man dem Aufsichtsrat den Plan für einen tiefgreifenden Konzernumbau vorlegen, und dann, dann gibt es wohl auch Zahlen.
    Am Telefon bei uns ist Matthias Gastel, Bahnexperte der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Tag!
    Matthias Gastel: Einen schönen guten Tag.
    Kapern: Herr Gastel, die Bahn rast in die roten Zahlen. Bei einem auf über 40 Milliarden Euro gestiegenen Umsatz sollen sich erstmals seit mehr als zehn Jahren wieder Verluste aufgetürmt haben, und zwar von mehr als 1,3 Milliarden Euro. Was denken Sie, sind die Zahlen plausibel?
    Gastel: Ich kann mir das schon vorstellen, wobei ich vorwegschicken muss, dass wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages davon auch erst heute aus der Presse erfahren haben. Wir hatten heute den Konzernvorstand im Verkehrsausschuss des Bundestages und es war überraschend, dass er diese Zahlen auch uns gegenüber nicht einmal in nichtöffentlicher Sitzung bereit gewesen ist zu kommentieren.
    "Skandalöses Desinteresse der Bundesregierung am eigenen Bahnkonzern"
    Kapern: Sonst hätten Sie es ja jetzt hier preisgegeben. Davon gehe ich mal aus.
    Gastel: Möglicherweise, möglicherweise. Aber die größte Überraschung ist gewesen, dass selbst die Vertreter der Bundesregierung gesagt haben, dass sie von der Finanzsituation ihres eigenen Konzerns erst heute aus der Presse erfahren haben, und das finde ich dann schon ein skandalöses Desinteresse der Bundesregierung am eigenen, bundeseigenen Bahnkonzern.
    Das heißt, die haben da offensichtlich in der Vergangenheit nicht nachgefragt, die sind da nicht auf dem aktuellen Stand gewesen. Deswegen konnte uns auch die Bundesregierung Fragen zur Finanzsituation des Konzerns nicht beantworten.
    "Deutsche Bahn muss mehr in neue Züge und Infrastruktur investieren"
    Kapern: Wenn wir jetzt diesen gigantischen politischen Skandal mal außen vor lassen, dass die Bundesregierung da offenbar nicht am Zahlenwerk der Bahn interessiert war, wie Sie meinen, schauen wir dann doch noch mal auf die Zahlen selbst. Was bedeutet das eigentlich, wenn die Bahn plötzlich wieder rote Zahlen einfährt?
    Gastel: Zunächst mal: Diese 1,3 Milliarden, von denen wir ja wie gesagt aus der Zeitung erfahren haben, ergeben sich nach Zins, Steuern und Abschreibung, auch nach einer Sonderabschreibung im Güterverkehrsbereich. Das bedeutet, ein Teil dieses Defizits, so können wir mal hoffen, ist ein Einmaleffekt. Aber es gibt natürlich trotzdem Warnsignale, dass die gesamte Situation für die DB immer schwieriger wird.
    Die DB muss in Zukunft mehr investieren in neue Züge, sie muss mehr investieren in die sonst zerfallende Infrastruktur, und da stellt sich schon die Frage, wie kann sie das machen. Der Güterverkehr ist in der Krise, er ist immer weniger wettbewerbsfähig. Das hat auch mit der gesunkenen LKW-Maut und den steigenden Trassenpreisen zu tun. Und dann haben wir noch die Konkurrenz durch die Fernbusse und wir haben steigende Verschuldung.
    Das heißt, die Alarmglocken schrillen. Sie hätten aber natürlich auch schon viel früher, vor Jahren schon schrillen müssen, und da muss man sagen, Herr Grube ist ein sehr charmanter Kommunikator, aber er hat nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt. Das heißt, er hat die Weichen zu spät in die richtige Richtung gestellt. Man hätte einen Teil dieses Defizits zumindest vermeiden können, indem man rechtzeitig das Ruder herumreißt.
    "Notwendigen Investitionen werden zu spät getätigt"
    Kapern: Jetzt stellen sich zwei Folgefragen. Erstens: Ist Bahnchef Grube noch der richtige Mann am richtigen Ort? Und zweitens: Sie sehen die Bahn aber jetzt schon wieder auf dem richtigen Weg, wenn Sie sagen, er hat die Weichen zu spät gestellt? Das heißt ja: Immerhin sind sie jetzt richtig gestellt.
    Gastel: Der Konzern stellt viele der Weichen richtig, beispielsweise mit seiner Fernverkehrs-Strategie, die Politik des Vorgängers von Herrn Grube, nämlich dem Herrn Mehdorn, zu beenden. Immer, wenn was sich nicht richtig gerechnet hat, hat er es einfach stillgelegt. Das heißt, er hat Weichen rausgenommen aus dem Netz, er hat das Netz zurückgebaut, er hat Angebote ausgedünnt, und jetzt geht die DB endlich in die Offensive und sagt, wir geben uns nicht geschlagen, sondern wir verbessern unser Angebot. Und das ist mit Sicherheit der richtige Weg.
    Kapern: Und schon fährt sie Defizite ein.
    Gastel: Er kommt eben nur sehr spät und auch die notwendigen Investitionen werden zu spät getätigt. Die Züge fehlen schon lange, aber sie wurden jetzt erst bestellt.
    Kapern: Ist die Bahn trotz der Weichen, die da bereits umgelegt wurden, immer noch ein Sanierungsfall, oder was steckt hinter diesem gigantischen Konzernumbau, der da angekündigt wird?
    Gastel: Na ja, gut. Ich meine, zunächst einmal zeigt sich ja an der Tatsache, dass der Konzern umgebaut wird, dass er sehr groß und auch sehr unübersichtlich geworden ist, und das ist mit ein Grund, weshalb wir als Grüne sagen, auch jetzt wegen der Finanzkrise dieses Konzerns, er muss sich neu sortieren. Er muss sich auch überlegen, ob er zum Beispiel seine Konzerntöchter DB Arriva, die ja im Ausland Busverkehre anbieten, oder DB Schenker, die Logistik mit LKW, Schiff und Flugzeug durchführen, ob er die wirklich tatsächlich noch braucht.
    Bahnchef Grube selber denkt ja an eine Teilveräußerung und wir können uns auch vorstellen, dass der Konzern diese Bereiche gesamt abstößt, damit er übersichtlicher wird, aber auch, damit er an Kapital kommt, um die notwendigen Investitionen ohne die massive Erhöhung seiner eigenen Verschuldung, die jetzt schon viel zu hoch ist, zu finanzieren.
    "Nicht mit höheren Ticket reagieren, sonst bleiben die Fahrgäste aus"
    Kapern: Es gibt ja noch eine andere Möglichkeit der Finanzierung: Teurere Tickets.
    Gastel: Die Deutsche Bahn muss auch im Bereich des Personenfernverkehrs reagieren, aber sicherlich nicht mit höheren Tickets, weil sonst bleiben nämlich die Fahrgäste aus. Der Fernbus hat ja da sehr viel bewirkt. Er hat den Wettbewerb in Gang gebracht. Er hat aber auch zunächst mal bewirkt, dass die Leute überhaupt mal die Fahrpreise der Bahn quantifizieren konnten. Es gab ja bisher gar keine Vergleichsmöglichkeit.
    Sie wissen aber heute, dass zum Beispiel ein Bahnticket für 70 Euro zu haben ist und auf der gleichen Strecke der Fernbus für 10 Euro fährt. Das heißt, es ist eine Vergleichsmöglichkeit da. Die Menschen sind dadurch preissensibler geworden. Deswegen muss die Deutsche Bahn im Bereich Personenfernverkehr damit reagieren, dass sie auch ein mittleres Preissegment schafft.
    Das heißt: Abkehr von der Hochgeschwindigkeit um jeden Preis, stattdessen auch ein mittleres Preissegment, wie zum Beispiel erfolgreich zwischen Hamburg und Berlin eingeführt. Da steigen die Leute wieder vermehrt um auf den Zug, weil sie den Komfort des Zuges doch nicht missen wollen.
    "Personaldebatte innerhalb des Konzerns hilft jetzt nicht weiter"
    Kapern: Herr Gastel, jetzt haben Sie sich aber um die Beantwortung einer Frage, die ich vorhin gestellt habe, herumgedrückt. Ist Bahnchef Grube noch der richtige Mann am richtigen Platz?
    Gastel: Ich glaube nicht, dass eine Personaldebatte innerhalb des Konzerns da jetzt weiterhilft. Es müssen die Weichen richtig gestellt werden und durch wen das in Person gemacht wird, ist mir, ehrlich gesagt, zweitrangig.
    Kapern: ... sagt Matthias Gastel, der Bahnexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Gastel, danke, dass Sie Zeit hatten für uns.
    Gastel: Ja, gerne! Ich danke.
    Kapern: Schönen Tag noch. Tschüss!
    Gastel: Ebenso. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.