Mario Dobovisek: Wie Schlagadern verbinden die Linien der Berliner S-Bahn alle Orte der Stadt, von Nord nach Süd, von West nach Ost, mit der Ringbahn sogar im Kreis. Die Berliner S-Bahn ist ein Nahverkehrsunternehmen der Superlative. Über 1,3 Millionen Menschen nutzen sie, und zwar jeden Tag, aber: So sie denn fährt. Schon im Juli gab es Probleme, der Verkehr kam fast zum Erliegen – wegen technischer Probleme und Wartungsmängeln. Seit Dienstag nun herrscht schon wieder Chaos bei der Berliner S-Bahn, nur jeder vierte Zug fährt, einige Linien sind ganz eingestellt, und wieder geht es um unzureichende Wartung. Am Telefon begrüße ich Hans-Werner Franz, er ist Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg, zu dem als Partner auch die Berliner S-Bahn gehört. Guten Tag, Herr Franz.
Hans-Werner Franz: Schönen guten Tag!
Dobovisek: Was ist denn da los bei der S-Bahn? Staatsanwaltschaft ermittelt, möglicherweise gefälschte Berichte, was ist da los?
Franz: Es ist ein Prozess, der eskaliert ist, und wir beobachten seit gut drei Jahren, dass die Qualität der S-Bahn ständig sinkt, dass Zugausfälle sich gehäuft haben, dass selbstverständliche Qualitäten wie eine hohe Pünktlichkeit ständig sich verschlechtert haben. Seit drei Jahren sinkt die Pünktlichkeit von um die 98 Prozent auf 91 Prozent, und das, obwohl die S-Bahn ein völlig eigenes Netz hat, also nicht gestört wird durch Güterverkehr und anderen Personenverkehr. Insofern ist es nichts Neues. Was uns besonders ärgert ist, dass wir seit langer Zeit immer wieder auf die Mängel hinweisen und dies von den Verantwortlichen der Bahn AG nicht ernst genommen worden ist, sondern man hat es schleifen lassen, man hat sich nicht darum gekümmert und man hat im Gegenteil den Druck auf die S-Bahn, noch mehr Kosten einzusparen, damit die Abführung an die Konzernzentrale höher wird, diesen Druck hat man noch erhöht. Das bedeutet, es war absehbar, dass diese Einbrüche, dass dieses Fiasko kommt, und wir haben jetzt nicht das erste Mal in dieser Größenordnung, sondern im Januar hatten wir eine Woche, wo zwei Drittel der Züge ausgefallen sind, weil durch mangelnde Wartung bei dem Frost die Fahrzeuge nicht funktioniert haben. Wir haben damals Krisengespräche geführt und haben allen ins Bewusstsein gebracht, dass das so nicht weitergehen kann. Ich selber habe den Herrn Homburg, den Personenverkehrsvorstand, ich habe den Herrn Rausch, seinen Vorgänger, habe den Herrn Mehdorn, habe alle angesprochen, um zu erreichen, dass da eine Änderung kommt, aber es ist nicht ernst genommen worden. Und dann hatten wir den Einbruch zu Beginn der Sommerferien. Das war ein Riesen Glück für uns, dass viele Berliner weg waren.
Dobovisek: Danach wurde ja auch das Management der S-Bahn komplett abgelöst. Wer hat denn jetzt versagt, dass es schon wieder zu solchen gravierenden Mängeln kommt?
Franz: Man hat damals sozusagen dem geneigten Publikum Opfer geboten und hat die vier Geschäftsführer ausgetauscht und hat die ersetzt. Aber das, was das eigentliche Grundproblem ist, nämlich die falschen Strukturentscheidungen, die von der Bahn AG aus der Zentrale gekommen sind, diese Grundentscheidungen hat man nicht geändert. Man hat Werke vorher geschlossen, man hat rund ein Drittel des Personals abgebaut, man hat Servicepersonal nach Hause geschickt und da hat man nichts geändert, sondern man hat so weitergemacht wie vorher. Und natürlich wirken die alten Fehlentscheidungen bei einem so sensiblen System wie bei einem Eisenbahnsystem erst mit Zeitverzögerung und insofern kommen diese Fehler, die sich über Jahre ausgebaut haben, jetzt deutlich an die Oberfläche. Deshalb haben wir jetzt sozusagen das zweite Disaster erlebt, dass plötzlich festgestellt wird, dass die Bremsen nicht funktionieren.
Dobovisek: Wer bei der Deutschen Bahn AG muss dafür die Verantwortung übernehmen?
Franz: In der Vergangenheit war eine Gruppe von Führungsleuten, natürlich die Spitze Mehdorn, der Finanzvorstand Sack, der frühere Personenvorstand Meyer, der jetzt in der Schweiz die Schweizer Bundesbahn leitet, und es war der Herr Homburg. Das waren natürlich die Verantwortlichen, die diesen Druck aufgebaut haben, die im Aufsichtsrat der S-Bahn saßen, die auch die Warnsignale nicht ernst genommen haben und die letztlich dieses eingeleitet haben. Was uns hier persönlich auch völlig überrascht hat und wo wir zutiefst enttäuscht sind, dass wir Montag noch zusammensitzen, die Senatorin und ich, und der Herr Homburg, der Chef des Personenverkehrs, keinen Ton erzählt von der Bremsproblematik, obwohl die seit zweieinhalb Wochen der Fall war. Und Sonntag, 19 Uhr, waren bei einer S-Bahn bei acht Bremszylindern, also bei acht Bremsen an dem Fahrzeug, vier kaputt, die Hälfte. Das war Sonntagabend, 19 Uhr, und am Montag, 12 Uhr, sitzen wir zusammen und beraten, wie wir weiter dafür sorgen, dass wieder mehr S-Bahnen in Betrieb kommen.
Dobovisek: Die Deutsche Bahn AG, Herr Franz, ist ja als Mutter der Berliner S-Bahn nicht alleine, sondern hat auch weitere Betriebe unter sich. In vielen Städten und Regionen fahren Stadtbahnen unter dem Logo der Deutschen Bahn AG. Sind derartige Mängel und Zustände auch woanders denkbar?
Franz: Mein Eindruck ist, dass dieses Konzept, dass man zulasten der Wartung, zulasten der Qualität über die Maßen reduziert hat, nicht ein singuläres Problem in Berlin ist, sondern dass das bundesweit ein Problem ist. Hier in Berlin wird es deshalb so schnell virulent, weil wir hier natürlich eine ganz andere Laufleistung haben. Wir machen 24-Stunden-Verkehr und da ist natürlich die Belastung viel höher. Deshalb glaube ich, dass es hier am stärksten sich durchschlägt, am ehesten bekannt wird, aber was ich vermute ist, dass dieses Strukturproblem, diese Fehlentwicklung in diesem "System Mehdorn" liegt, wo eben alle Ziele nur auf Gewinn und auf Rendite und internationaler Logistikkonzern ausgerichtet waren. Diese Ziele haben alle anderen Ziele hinten angestellt. Es war nicht mehr das Interesse, die höchste Qualität zu bieten, sondern es ging darum, möglichst viele Finanzmittel aus dem System rauszuziehen.
Dobovisek: Hans-Werner Franz, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg. Vielen Dank für das Gespräch.
Hans-Werner Franz: Schönen guten Tag!
Dobovisek: Was ist denn da los bei der S-Bahn? Staatsanwaltschaft ermittelt, möglicherweise gefälschte Berichte, was ist da los?
Franz: Es ist ein Prozess, der eskaliert ist, und wir beobachten seit gut drei Jahren, dass die Qualität der S-Bahn ständig sinkt, dass Zugausfälle sich gehäuft haben, dass selbstverständliche Qualitäten wie eine hohe Pünktlichkeit ständig sich verschlechtert haben. Seit drei Jahren sinkt die Pünktlichkeit von um die 98 Prozent auf 91 Prozent, und das, obwohl die S-Bahn ein völlig eigenes Netz hat, also nicht gestört wird durch Güterverkehr und anderen Personenverkehr. Insofern ist es nichts Neues. Was uns besonders ärgert ist, dass wir seit langer Zeit immer wieder auf die Mängel hinweisen und dies von den Verantwortlichen der Bahn AG nicht ernst genommen worden ist, sondern man hat es schleifen lassen, man hat sich nicht darum gekümmert und man hat im Gegenteil den Druck auf die S-Bahn, noch mehr Kosten einzusparen, damit die Abführung an die Konzernzentrale höher wird, diesen Druck hat man noch erhöht. Das bedeutet, es war absehbar, dass diese Einbrüche, dass dieses Fiasko kommt, und wir haben jetzt nicht das erste Mal in dieser Größenordnung, sondern im Januar hatten wir eine Woche, wo zwei Drittel der Züge ausgefallen sind, weil durch mangelnde Wartung bei dem Frost die Fahrzeuge nicht funktioniert haben. Wir haben damals Krisengespräche geführt und haben allen ins Bewusstsein gebracht, dass das so nicht weitergehen kann. Ich selber habe den Herrn Homburg, den Personenverkehrsvorstand, ich habe den Herrn Rausch, seinen Vorgänger, habe den Herrn Mehdorn, habe alle angesprochen, um zu erreichen, dass da eine Änderung kommt, aber es ist nicht ernst genommen worden. Und dann hatten wir den Einbruch zu Beginn der Sommerferien. Das war ein Riesen Glück für uns, dass viele Berliner weg waren.
Dobovisek: Danach wurde ja auch das Management der S-Bahn komplett abgelöst. Wer hat denn jetzt versagt, dass es schon wieder zu solchen gravierenden Mängeln kommt?
Franz: Man hat damals sozusagen dem geneigten Publikum Opfer geboten und hat die vier Geschäftsführer ausgetauscht und hat die ersetzt. Aber das, was das eigentliche Grundproblem ist, nämlich die falschen Strukturentscheidungen, die von der Bahn AG aus der Zentrale gekommen sind, diese Grundentscheidungen hat man nicht geändert. Man hat Werke vorher geschlossen, man hat rund ein Drittel des Personals abgebaut, man hat Servicepersonal nach Hause geschickt und da hat man nichts geändert, sondern man hat so weitergemacht wie vorher. Und natürlich wirken die alten Fehlentscheidungen bei einem so sensiblen System wie bei einem Eisenbahnsystem erst mit Zeitverzögerung und insofern kommen diese Fehler, die sich über Jahre ausgebaut haben, jetzt deutlich an die Oberfläche. Deshalb haben wir jetzt sozusagen das zweite Disaster erlebt, dass plötzlich festgestellt wird, dass die Bremsen nicht funktionieren.
Dobovisek: Wer bei der Deutschen Bahn AG muss dafür die Verantwortung übernehmen?
Franz: In der Vergangenheit war eine Gruppe von Führungsleuten, natürlich die Spitze Mehdorn, der Finanzvorstand Sack, der frühere Personenvorstand Meyer, der jetzt in der Schweiz die Schweizer Bundesbahn leitet, und es war der Herr Homburg. Das waren natürlich die Verantwortlichen, die diesen Druck aufgebaut haben, die im Aufsichtsrat der S-Bahn saßen, die auch die Warnsignale nicht ernst genommen haben und die letztlich dieses eingeleitet haben. Was uns hier persönlich auch völlig überrascht hat und wo wir zutiefst enttäuscht sind, dass wir Montag noch zusammensitzen, die Senatorin und ich, und der Herr Homburg, der Chef des Personenverkehrs, keinen Ton erzählt von der Bremsproblematik, obwohl die seit zweieinhalb Wochen der Fall war. Und Sonntag, 19 Uhr, waren bei einer S-Bahn bei acht Bremszylindern, also bei acht Bremsen an dem Fahrzeug, vier kaputt, die Hälfte. Das war Sonntagabend, 19 Uhr, und am Montag, 12 Uhr, sitzen wir zusammen und beraten, wie wir weiter dafür sorgen, dass wieder mehr S-Bahnen in Betrieb kommen.
Dobovisek: Die Deutsche Bahn AG, Herr Franz, ist ja als Mutter der Berliner S-Bahn nicht alleine, sondern hat auch weitere Betriebe unter sich. In vielen Städten und Regionen fahren Stadtbahnen unter dem Logo der Deutschen Bahn AG. Sind derartige Mängel und Zustände auch woanders denkbar?
Franz: Mein Eindruck ist, dass dieses Konzept, dass man zulasten der Wartung, zulasten der Qualität über die Maßen reduziert hat, nicht ein singuläres Problem in Berlin ist, sondern dass das bundesweit ein Problem ist. Hier in Berlin wird es deshalb so schnell virulent, weil wir hier natürlich eine ganz andere Laufleistung haben. Wir machen 24-Stunden-Verkehr und da ist natürlich die Belastung viel höher. Deshalb glaube ich, dass es hier am stärksten sich durchschlägt, am ehesten bekannt wird, aber was ich vermute ist, dass dieses Strukturproblem, diese Fehlentwicklung in diesem "System Mehdorn" liegt, wo eben alle Ziele nur auf Gewinn und auf Rendite und internationaler Logistikkonzern ausgerichtet waren. Diese Ziele haben alle anderen Ziele hinten angestellt. Es war nicht mehr das Interesse, die höchste Qualität zu bieten, sondern es ging darum, möglichst viele Finanzmittel aus dem System rauszuziehen.
Dobovisek: Hans-Werner Franz, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg. Vielen Dank für das Gespräch.