Jochen Spengler: Der Autobauer Opel beschäftigt in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern rund 25.000 Menschen. Heute besucht Angela Merkel das Opel-Stammwerk in Rüsselsheim.
Am Deutschlandfunk-Telefon ist nun Franz Müntefering, der SPD-Vorsitzende. Guten Morgen, Herr Müntefering.
Franz Müntefering: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Spengler: Herr Müntefering, welche Botschaft erwarten Sie von der Kanzlerin heute in Rüsselsheim?
Müntefering: Ich bin sicher, dass sie die richtigen Worte finden wird. Es ist gut, dass sie als Bundeskanzlerin da hinfährt. Das ist ein Besuch, der seit langem vorbereitet war, aber der ist jetzt auch nötig und fällig. Ich glaube, es ist nötig, dass sie mit aller Deutlichkeit erkennbar macht, wir sammeln nicht Argumente, um die Zukunft von Opel abzuschreiben, sondern wir suchen in der Politik in Deutschland Bedingungen dafür, dass Opel Europa entstehen kann und dass die Arbeitsplätze bei Opel und alle die, die damit zusammenhängen, auch Zukunft haben.
Spengler: Sie sagen, Sie als SPD-Chef sagen, Opel hat Produkte, die leistungsfähig sind, Opel ist eine systemrelevante Größe, Opel verdient zu überleben?
Müntefering: Ja, genau so ist es.
Spengler: In den USA hat ein hochkarätiges Expertenteam von Präsident Obama wochenlang überprüft, ob General Motors überlebensfähig ist und weitere Staatsmilliarden verdient. Erst einmal nicht, lautet das Urteil. Wie ist das möglich, dass die SPD das im Falle Opel ohne große Prüfung weiß?
Müntefering: Wir sprechen schon mit den Menschen, wir gucken uns das schon an, wir sind viel unterwegs gewesen, wir wissen auch, dass Opel gute Geschäfte macht und dass Opel Europa anders als General Motors in den USA insgesamt in sich eine leistungsfähige Größe ist. Es muss allerdings auch so sein, dass Opel Europa nicht mitbezahlt für das, was in den USA in den vergangenen Jahren unklug gelaufen ist, und deshalb ja auch das Konzept der Abschottung. Opel Europa für sich, und zwar so, dass Geld von hieraus nicht in die USA fließen kann. Umgekehrt muss es auch nicht mehr fließen, das ist auch klar. Aber dieses Abschottungskonzept ist eine der Voraussetzungen dafür, dass wir glauben, dass Opel Europa lebensfähig ist, von den Produkten her gar kein Zweifel, auch was die technologische Entwicklung angeht. Allerdings - und das ist natürlich auch wichtig -, es muss Opel Europa auch Zugriff haben auf die Patente, auf die Entwicklungen des Unternehmens insgesamt, die in den vergangenen Zeiten stattgefunden haben, denn Opel muss natürlich auch in Europa sich weiterentwickeln können.
Spengler: Also einerseits Zugriff auf die Patente, andererseits Abschottung darauf, dass deutsches Steuergeld nach Amerika geht. Beides ist im Augenblick noch nicht gewährleistet?
Müntefering: Ja, das wissen wir ja. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass heute nichts Definitives gesagt werden kann, aber es kommt auf die Grundhaltung an. Nimmt man das, was dort bei General Motors und anderswo in vergangener Zeit unprofessionell gemacht worden ist, zum Anlass zu sagen, da kann man nichts machen, oder versuchen wir, das Ganze in eine Form zu bringen. Frank-Walter Steinmeier hat ja vorgeschlagen, dass eine Task Force eingesetzt wird, eine Gruppe, die nun die kurze Zeit, die da ist, nutzt, um wirklich Nägel mit Köpfen zu machen, um so schnell wie möglich dieses Konzept Opel Europa brauchbar zu machen und auch entscheidungsfähig zu machen. Wir sind interessiert, dass es bald zu einer Entscheidung kommen kann, aber ich verstehe, wenn die Kanzlerin heute noch nicht das letzte Wort dazu sprechen kann.
Spengler: Das heißt, eine bedingungslose Staatshilfe für Opel wird es auch aus SPD-Sicht nicht geben können?
Müntefering: Das kann keiner, das können auch die Arbeitnehmer nicht wollen. Wenn man ein Unternehmen gründen würde, das seine Möglichkeiten dann wieder abgeben muss, seine Gewinne an die USA, an General Motors, an die Mutter abtreten muss, dann wäre nichts gewonnen. Wenn das ein Unternehmen wäre, was in das Technische ausschert, dann wäre das auch nichts. Es muss weiterentwickelt werden. Bei all dem, was ich dazu gelernt habe - und ein Großteil davon weiß ich von Klaus Franz, dem Betriebsratsvorsitzenden, der eine segensreiche Rolle in diesem Ganzen spielt - ist es so, dass Opel auf gutem Weg ist, in den kommenden Jahren hochleistungsfähige Autos zu bauen, dass man auch aus dem Grund Opel nicht kaputt gehen lassen darf.
Spengler: Darf denn die Bundesregierung eine Insolvenz von Opel ausschließen?
Müntefering: Im Moment geht es darum, die Bedingungen zu suchen, dass sie vermieden werden kann und dass die Arbeitsplätze bestehen bleiben. Es ist eine Frage der Haltung zu der ganzen Sache, ob man wirklich darum kämpft, ja oder nein. Die Systemrelevanz von Opel, das ist noch ein Thema für sich. Ich meine, wer Deindustrailisierung erlebt hat, wer sie sich in den vergangenen Jahren angeguckt hat, ob das nun Teile des Ruhrgebietes gewesen sind oder Ostdeutschland, der weiß, mit so was geht man nicht leichtfertig um. Wenn Opel kaputt geht, dann werden das große Krater in Deutschland, und zwar nicht nur die 25.000 Menschen, die bei Opel unmittelbar beschäftigt sind, sondern auch die 120-, 150.000, die abgeleitet davon bei Zulieferern beschäftigt sind. Die würden dastehen, und zwar punktuell in einzelnen Städten und Regionen mit aller Massivität betroffen, und deshalb: Das ist schon eine Größe, das würde die Psychologie im Lande dramatisch verschlechtern und verändern. Da sind wir ganz sicher.
Spengler: Herr Müntefering, was sagen Sie zu einem Satz der "Süddeutschen Zeitung", die schreibt, "Wer heute Opel-Jobs subventioniert, der killt morgen Jobs bei Ford, VW, BMW und Daimler"?
Müntefering: Ich halte das für dumm, weil Opel ist konkurrenzfähig, überhaupt keine Frage. Weshalb soll Opel nicht die Chance haben, in der Konkurrenz zu bestehen? Und wenn es tatsächlich so ist, dass zu viele Arbeitsplätze im Autobaubereich auf der Welt vorhanden sind - das kann ja sein -, dann würde ich mich nicht freiwillig melden zu sagen, dann nehme ich mal meine weg, sondern wenn die Deutschen hochleistungsfähig sind - und Opel ist es -, dann sollten wir darum streiten, dass die auch bleiben.
Spengler: Ist nicht das Zeichen, dass bislang noch kein Privatinvestor gefunden ist, das Zeichen dafür, dass Opel eben möglicherweise doch nicht wettbewerbsfähig ist?
Müntefering: Nein, das ist kein Zeichen dafür, denn bisher gibt es Opel ja gar nicht. Bisher gibt es Opel als ein bisschen in Anführungszeichen gesprochen "verlängerte Werkbank von General Motors" und dass sich in das Getümmel da keiner von hieraus reinmischt, das kann man ja wohl sehr gut verstehen. Deshalb zunächst mal: die Eigenständigkeit Opel Europas muss ermöglicht, muss gesichert werden und es muss ein Unternehmen sein, das aus sich selbst heraus sich verantwortet, und das kann Opel von der Leistungsfähigkeit her, kein Zweifel.
Spengler: Das heißt, Frau Merkel kann heute außer Prüfung nichts Sinnvolles versprechen, weil sie nicht weiß, was aus General Motors in den USA wird?
Müntefering: Ich habe der Kanzlerin da keinen Rat zu geben. Ich bin sicher, sie findet die richtigen Worte und sie geht verantwortlich um mit der Interessenslage Deutschlands und der Arbeitnehmer dort, und ich bin ganz sicher, dass ihr Besuch heute dort eine Demonstration der Tatsache ist, dass sie auch mithelfen will, so wie wir auch, dass es Opel gelingen kann und dass dort Mut, neue Zuversicht kommt für die Menschen.
Spengler: Lautet die SPD-Strategie, "Wenn der Staat Opel hilft, dann ist das Steinmeiers Verdienst, und wenn er nicht hilft, ist es Merkels Schuld"?
Müntefering: Nein. Das ist eine Leistung der Politik insgesamt. Wir sind eine Koalition, die in dieser Finanzkrise, glaube ich, insgesamt Gutes geleistet hat. Dass wir dabei eine starke sozialdemokratische Linie gezogen haben, was das Konjunkturpaket angeht und was die Entscheidungen der Sicherung der Spareinlagen angeht, das ist wahr. Dass wir auch stärker noch eine sozialdemokratische Linie ziehen wollen, um die Finanzmärkte neu zu organisieren, die Manager-Gehälter zu deckeln und die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, das ist alles richtig. Da muss man auch streiten, das tun wir auch in den letzten Tagen um die Geschwindigkeit. Aber dass die Koalition insgesamt den Willen hat, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Unternehmen in Deutschland Zukunft zu geben, daran habe ich keinen Zweifel. Sonst wären wir nicht in der Koalition.
Spengler: Einige Worte noch zur Bahn nach dem Abgang des Bahnchefs, Herr Müntefering. Sind nun alle Bahnprivatisierungspläne obsolet?
Müntefering: Jedenfalls ist es im Augenblick so, dass weder der Aktienmarkt noch die generelle Bedürftigkeit der Bahn an Geld es erzwingen würde oder vernünftig erscheinen ließe, jetzt so eine Teilprivatisierung zu machen. Ich bin sicher - und das hat Frank-Walter Steinmeier gestern auch gesagt, als wir über die Vorbereitung unseres Regierungsprogramms gesprochen haben -, wir werden in unsere Papiere für die nächste Legislaturperiode reinschreiben können und reinschreiben müssen, da tut sich nichts, da wird sich nichts tun, da ist auf absehbare Zeit überhaupt kein Gedanke mehr dran.
Spengler: Also keine Privatisierung in den nächsten Jahren?
Müntefering: So ist es.
Spengler: Also schon ein Kurswechsel?
Müntefering: Das ist ein Wechsel, der sich ergibt aus der Situation, in der wir uns zurzeit befinden. Ich meine, wer würde denn im Moment an den Aktienmarkt gehen in einer solchen Situation. Und im Übrigen: Das Geld, was wir brauchen für die Bahn, um die nötigen Investitionen zu machen, das ist da, auch weil wir da draufgelegt haben. Man kann nicht alles gleichzeitig machen und wenn es wieder darum geht, dass zusätzliches Geld gebraucht wird, dass die Bahn als großes Institut der Mobilität in Deutschland und in Europa sich weiterentwickeln muss, dann muss man europaweit sich auch noch mal darum bemühen, diese Perspektive für die Bahn zu eröffnen. Dass es generell darum geht, die Bahn nicht schrumpfen zu lassen, sondern ihr eine Perspektive zu geben, das ist unbestritten. Wir müssen in diesen Tagen, in denen leider so viel Ungutes über die Bahn gesagt wird, wegen der Verstöße gegen den Datenschutz und wegen anderer Dinge auch, daran denken, dass diese Bahn ein großes Gut ist für unsere Volkswirtschaft. Das ist keine Randgröße, sondern das ist eine der Grundlagen für die Prosperität unserer Wirtschaft, und deshalb müssen wir alle alles dafür tun, dass sie eine Zukunft behält. Aber im Augenblick ist die Frage der weitergehenden Teilprivatisierung etwas, was von der Tagesordnung runter ist und über das wir uns vielleicht in einigen Jahren noch mal Gedanken machen müssen, auf absehbare Zeit jedenfalls nicht. In der nächsten Legislaturperiode wird das sicher kein Thema sein.
Spengler: Worauf besteht die SPD, wenn es jetzt darum geht, einen Nachfolger für Herrn Mehdorn zu finden?
Müntefering: Dass das jemand ist, Nachfolger oder Nachfolgerin, die das Geschäft beherrschen, die das können. Das ist ein ganz besonderer Job, den kann man nicht unmittelbar vergleichen mit anderen und da braucht man starke Persönlichkeiten. Dass Herr Mehdorn in diesen Jahren seit 99, als er kam, bei der Bahn Wichtiges geleistet hat, das ist unbestritten und das darf man auch in einem solchen Augenblick wie jetzt nicht vergessen. Es war richtig von ihm, jetzt die Konsequenzen aus den Verfehlungen zu ziehen, die es in Bezug auf den Datenschutz in dem Unternehmen gegeben hat, unabhängig davon, ob er nun davon gewusst hat ja oder nein. Das gehört sich dann für einen, der an der Spitze eines solchen Unternehmens steht. Aber dass er für die Entwicklung der Bahn generell Großes geleistet hat und das Unternehmen modernisiert hat und es ein bisschen nach vorne geholt hat, das ist auch ganz klar.
Spengler: Franz Müntefering, der SPD-Vorsitzende im Deutschlandfunk-Gespräch. Danke für das Gespräch, Herr Müntefering.
Müntefering: Ja, bitte schön und tschüß!
Am Deutschlandfunk-Telefon ist nun Franz Müntefering, der SPD-Vorsitzende. Guten Morgen, Herr Müntefering.
Franz Müntefering: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Spengler: Herr Müntefering, welche Botschaft erwarten Sie von der Kanzlerin heute in Rüsselsheim?
Müntefering: Ich bin sicher, dass sie die richtigen Worte finden wird. Es ist gut, dass sie als Bundeskanzlerin da hinfährt. Das ist ein Besuch, der seit langem vorbereitet war, aber der ist jetzt auch nötig und fällig. Ich glaube, es ist nötig, dass sie mit aller Deutlichkeit erkennbar macht, wir sammeln nicht Argumente, um die Zukunft von Opel abzuschreiben, sondern wir suchen in der Politik in Deutschland Bedingungen dafür, dass Opel Europa entstehen kann und dass die Arbeitsplätze bei Opel und alle die, die damit zusammenhängen, auch Zukunft haben.
Spengler: Sie sagen, Sie als SPD-Chef sagen, Opel hat Produkte, die leistungsfähig sind, Opel ist eine systemrelevante Größe, Opel verdient zu überleben?
Müntefering: Ja, genau so ist es.
Spengler: In den USA hat ein hochkarätiges Expertenteam von Präsident Obama wochenlang überprüft, ob General Motors überlebensfähig ist und weitere Staatsmilliarden verdient. Erst einmal nicht, lautet das Urteil. Wie ist das möglich, dass die SPD das im Falle Opel ohne große Prüfung weiß?
Müntefering: Wir sprechen schon mit den Menschen, wir gucken uns das schon an, wir sind viel unterwegs gewesen, wir wissen auch, dass Opel gute Geschäfte macht und dass Opel Europa anders als General Motors in den USA insgesamt in sich eine leistungsfähige Größe ist. Es muss allerdings auch so sein, dass Opel Europa nicht mitbezahlt für das, was in den USA in den vergangenen Jahren unklug gelaufen ist, und deshalb ja auch das Konzept der Abschottung. Opel Europa für sich, und zwar so, dass Geld von hieraus nicht in die USA fließen kann. Umgekehrt muss es auch nicht mehr fließen, das ist auch klar. Aber dieses Abschottungskonzept ist eine der Voraussetzungen dafür, dass wir glauben, dass Opel Europa lebensfähig ist, von den Produkten her gar kein Zweifel, auch was die technologische Entwicklung angeht. Allerdings - und das ist natürlich auch wichtig -, es muss Opel Europa auch Zugriff haben auf die Patente, auf die Entwicklungen des Unternehmens insgesamt, die in den vergangenen Zeiten stattgefunden haben, denn Opel muss natürlich auch in Europa sich weiterentwickeln können.
Spengler: Also einerseits Zugriff auf die Patente, andererseits Abschottung darauf, dass deutsches Steuergeld nach Amerika geht. Beides ist im Augenblick noch nicht gewährleistet?
Müntefering: Ja, das wissen wir ja. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass heute nichts Definitives gesagt werden kann, aber es kommt auf die Grundhaltung an. Nimmt man das, was dort bei General Motors und anderswo in vergangener Zeit unprofessionell gemacht worden ist, zum Anlass zu sagen, da kann man nichts machen, oder versuchen wir, das Ganze in eine Form zu bringen. Frank-Walter Steinmeier hat ja vorgeschlagen, dass eine Task Force eingesetzt wird, eine Gruppe, die nun die kurze Zeit, die da ist, nutzt, um wirklich Nägel mit Köpfen zu machen, um so schnell wie möglich dieses Konzept Opel Europa brauchbar zu machen und auch entscheidungsfähig zu machen. Wir sind interessiert, dass es bald zu einer Entscheidung kommen kann, aber ich verstehe, wenn die Kanzlerin heute noch nicht das letzte Wort dazu sprechen kann.
Spengler: Das heißt, eine bedingungslose Staatshilfe für Opel wird es auch aus SPD-Sicht nicht geben können?
Müntefering: Das kann keiner, das können auch die Arbeitnehmer nicht wollen. Wenn man ein Unternehmen gründen würde, das seine Möglichkeiten dann wieder abgeben muss, seine Gewinne an die USA, an General Motors, an die Mutter abtreten muss, dann wäre nichts gewonnen. Wenn das ein Unternehmen wäre, was in das Technische ausschert, dann wäre das auch nichts. Es muss weiterentwickelt werden. Bei all dem, was ich dazu gelernt habe - und ein Großteil davon weiß ich von Klaus Franz, dem Betriebsratsvorsitzenden, der eine segensreiche Rolle in diesem Ganzen spielt - ist es so, dass Opel auf gutem Weg ist, in den kommenden Jahren hochleistungsfähige Autos zu bauen, dass man auch aus dem Grund Opel nicht kaputt gehen lassen darf.
Spengler: Darf denn die Bundesregierung eine Insolvenz von Opel ausschließen?
Müntefering: Im Moment geht es darum, die Bedingungen zu suchen, dass sie vermieden werden kann und dass die Arbeitsplätze bestehen bleiben. Es ist eine Frage der Haltung zu der ganzen Sache, ob man wirklich darum kämpft, ja oder nein. Die Systemrelevanz von Opel, das ist noch ein Thema für sich. Ich meine, wer Deindustrailisierung erlebt hat, wer sie sich in den vergangenen Jahren angeguckt hat, ob das nun Teile des Ruhrgebietes gewesen sind oder Ostdeutschland, der weiß, mit so was geht man nicht leichtfertig um. Wenn Opel kaputt geht, dann werden das große Krater in Deutschland, und zwar nicht nur die 25.000 Menschen, die bei Opel unmittelbar beschäftigt sind, sondern auch die 120-, 150.000, die abgeleitet davon bei Zulieferern beschäftigt sind. Die würden dastehen, und zwar punktuell in einzelnen Städten und Regionen mit aller Massivität betroffen, und deshalb: Das ist schon eine Größe, das würde die Psychologie im Lande dramatisch verschlechtern und verändern. Da sind wir ganz sicher.
Spengler: Herr Müntefering, was sagen Sie zu einem Satz der "Süddeutschen Zeitung", die schreibt, "Wer heute Opel-Jobs subventioniert, der killt morgen Jobs bei Ford, VW, BMW und Daimler"?
Müntefering: Ich halte das für dumm, weil Opel ist konkurrenzfähig, überhaupt keine Frage. Weshalb soll Opel nicht die Chance haben, in der Konkurrenz zu bestehen? Und wenn es tatsächlich so ist, dass zu viele Arbeitsplätze im Autobaubereich auf der Welt vorhanden sind - das kann ja sein -, dann würde ich mich nicht freiwillig melden zu sagen, dann nehme ich mal meine weg, sondern wenn die Deutschen hochleistungsfähig sind - und Opel ist es -, dann sollten wir darum streiten, dass die auch bleiben.
Spengler: Ist nicht das Zeichen, dass bislang noch kein Privatinvestor gefunden ist, das Zeichen dafür, dass Opel eben möglicherweise doch nicht wettbewerbsfähig ist?
Müntefering: Nein, das ist kein Zeichen dafür, denn bisher gibt es Opel ja gar nicht. Bisher gibt es Opel als ein bisschen in Anführungszeichen gesprochen "verlängerte Werkbank von General Motors" und dass sich in das Getümmel da keiner von hieraus reinmischt, das kann man ja wohl sehr gut verstehen. Deshalb zunächst mal: die Eigenständigkeit Opel Europas muss ermöglicht, muss gesichert werden und es muss ein Unternehmen sein, das aus sich selbst heraus sich verantwortet, und das kann Opel von der Leistungsfähigkeit her, kein Zweifel.
Spengler: Das heißt, Frau Merkel kann heute außer Prüfung nichts Sinnvolles versprechen, weil sie nicht weiß, was aus General Motors in den USA wird?
Müntefering: Ich habe der Kanzlerin da keinen Rat zu geben. Ich bin sicher, sie findet die richtigen Worte und sie geht verantwortlich um mit der Interessenslage Deutschlands und der Arbeitnehmer dort, und ich bin ganz sicher, dass ihr Besuch heute dort eine Demonstration der Tatsache ist, dass sie auch mithelfen will, so wie wir auch, dass es Opel gelingen kann und dass dort Mut, neue Zuversicht kommt für die Menschen.
Spengler: Lautet die SPD-Strategie, "Wenn der Staat Opel hilft, dann ist das Steinmeiers Verdienst, und wenn er nicht hilft, ist es Merkels Schuld"?
Müntefering: Nein. Das ist eine Leistung der Politik insgesamt. Wir sind eine Koalition, die in dieser Finanzkrise, glaube ich, insgesamt Gutes geleistet hat. Dass wir dabei eine starke sozialdemokratische Linie gezogen haben, was das Konjunkturpaket angeht und was die Entscheidungen der Sicherung der Spareinlagen angeht, das ist wahr. Dass wir auch stärker noch eine sozialdemokratische Linie ziehen wollen, um die Finanzmärkte neu zu organisieren, die Manager-Gehälter zu deckeln und die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, das ist alles richtig. Da muss man auch streiten, das tun wir auch in den letzten Tagen um die Geschwindigkeit. Aber dass die Koalition insgesamt den Willen hat, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Unternehmen in Deutschland Zukunft zu geben, daran habe ich keinen Zweifel. Sonst wären wir nicht in der Koalition.
Spengler: Einige Worte noch zur Bahn nach dem Abgang des Bahnchefs, Herr Müntefering. Sind nun alle Bahnprivatisierungspläne obsolet?
Müntefering: Jedenfalls ist es im Augenblick so, dass weder der Aktienmarkt noch die generelle Bedürftigkeit der Bahn an Geld es erzwingen würde oder vernünftig erscheinen ließe, jetzt so eine Teilprivatisierung zu machen. Ich bin sicher - und das hat Frank-Walter Steinmeier gestern auch gesagt, als wir über die Vorbereitung unseres Regierungsprogramms gesprochen haben -, wir werden in unsere Papiere für die nächste Legislaturperiode reinschreiben können und reinschreiben müssen, da tut sich nichts, da wird sich nichts tun, da ist auf absehbare Zeit überhaupt kein Gedanke mehr dran.
Spengler: Also keine Privatisierung in den nächsten Jahren?
Müntefering: So ist es.
Spengler: Also schon ein Kurswechsel?
Müntefering: Das ist ein Wechsel, der sich ergibt aus der Situation, in der wir uns zurzeit befinden. Ich meine, wer würde denn im Moment an den Aktienmarkt gehen in einer solchen Situation. Und im Übrigen: Das Geld, was wir brauchen für die Bahn, um die nötigen Investitionen zu machen, das ist da, auch weil wir da draufgelegt haben. Man kann nicht alles gleichzeitig machen und wenn es wieder darum geht, dass zusätzliches Geld gebraucht wird, dass die Bahn als großes Institut der Mobilität in Deutschland und in Europa sich weiterentwickeln muss, dann muss man europaweit sich auch noch mal darum bemühen, diese Perspektive für die Bahn zu eröffnen. Dass es generell darum geht, die Bahn nicht schrumpfen zu lassen, sondern ihr eine Perspektive zu geben, das ist unbestritten. Wir müssen in diesen Tagen, in denen leider so viel Ungutes über die Bahn gesagt wird, wegen der Verstöße gegen den Datenschutz und wegen anderer Dinge auch, daran denken, dass diese Bahn ein großes Gut ist für unsere Volkswirtschaft. Das ist keine Randgröße, sondern das ist eine der Grundlagen für die Prosperität unserer Wirtschaft, und deshalb müssen wir alle alles dafür tun, dass sie eine Zukunft behält. Aber im Augenblick ist die Frage der weitergehenden Teilprivatisierung etwas, was von der Tagesordnung runter ist und über das wir uns vielleicht in einigen Jahren noch mal Gedanken machen müssen, auf absehbare Zeit jedenfalls nicht. In der nächsten Legislaturperiode wird das sicher kein Thema sein.
Spengler: Worauf besteht die SPD, wenn es jetzt darum geht, einen Nachfolger für Herrn Mehdorn zu finden?
Müntefering: Dass das jemand ist, Nachfolger oder Nachfolgerin, die das Geschäft beherrschen, die das können. Das ist ein ganz besonderer Job, den kann man nicht unmittelbar vergleichen mit anderen und da braucht man starke Persönlichkeiten. Dass Herr Mehdorn in diesen Jahren seit 99, als er kam, bei der Bahn Wichtiges geleistet hat, das ist unbestritten und das darf man auch in einem solchen Augenblick wie jetzt nicht vergessen. Es war richtig von ihm, jetzt die Konsequenzen aus den Verfehlungen zu ziehen, die es in Bezug auf den Datenschutz in dem Unternehmen gegeben hat, unabhängig davon, ob er nun davon gewusst hat ja oder nein. Das gehört sich dann für einen, der an der Spitze eines solchen Unternehmens steht. Aber dass er für die Entwicklung der Bahn generell Großes geleistet hat und das Unternehmen modernisiert hat und es ein bisschen nach vorne geholt hat, das ist auch ganz klar.
Spengler: Franz Müntefering, der SPD-Vorsitzende im Deutschlandfunk-Gespräch. Danke für das Gespräch, Herr Müntefering.
Müntefering: Ja, bitte schön und tschüß!