Jürgen Zurheide: Der Polenbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat uns in dieser Sendung schon mehrfach beschäftigt. Wir wollen noch einmal hinschauen. Freundlich und persönlich, so wird ihre Rede ja umschrieben, und ihr Empfang wird ebenfalls als freundlich bezeichnet. Was heißt das nun für das deutsch-polnische Verhältnis? Dieser Frage wollen wir nachgehen, und als Gesprächspartner begrüße ich ganz herzlich Egon Bahr, den Außenpolitiker der SPD. Guten Morgen Herr Bahr!
Egon Bahr: Schönen guten Morgen Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Bahr, zunächst einmal: Solche auch eher privaten Momente, die es ja heute Morgen zum Beispiel geben soll, zwischen den Präsidentenpaaren, ist so was eigentlich aus Ihrer langjährigen außenpolischen Erfahrung unter dem Strich dann wirklich wichtig, denn selbst wenn man sich gut versteht, bleiben sachliche Unterschiede ja sachliche Unterschiede?
Bahr: Sie sagen es. Die sachlichen Interessen bleiben unverändert, aber es könnte leichter und milder werden, sie zu lösen. Das ist der entscheidende Punkt, und außerdem, ich meine, es ist ja klar, Frau Merkel nimmt ihren Mann mit nach Bayreuth, aber ein Vergnügen, was sie da heute vorhat, ist das nicht. Also muss er ihr helfen.
Zurheide: Wenn wir jetzt einmal zu den rein sachlichen Dingen kommen, die Polen haben ja, ich sage es mal kurz gefasst, ein bisschen Sorge vor der deutschen Großmannsucht. Das wird jedenfalls im Moment von der politischen Führung immer wieder artikuliert. Ist das aus Ihrer Sicht eine wirklich reale Angst, die in Polen ist, oder ist das eher der innenpolitischen Lage geschuldet, wie sehen Sie das?
Bahr: Ich glaube, das ist eine aus der Geschichte herrührende Angst, ungefähr vergleichbar, wir haben ja in Deutschland oder es gibt in Deutschland immer noch genügend Menschen, die Angst vor Russland haben, obwohl es gar nicht berechtigt ist, überhaupt nicht berechtigt. Außerdem sind die Deutschen ja Mitglieder der NATO und die Polen sind Mitglieder NATO, und die NATO schützt die Polen auch vor den Deutschen.
Zurheide: Das heißt, welche Chancen sehen Sie denn, diese Angst zu überwinden? Können Gespräche helfen, oder ist das eher eine tief sitzende, emotionale Angst, an die man mit rationalen Kriterien nur schwer rankommt?
Bahr: Also ich glaube, die kollektive Angst ist schwierig. Die kann man nur durch Erfahrung, das heißt durch Jahre beseitigen, aber man muss die richtigen Weichen stellen, damit man sie abbauen kann. Ich bin der Auffassung, dass Frau Merkel den Ansatzpunkt, den sie gestern gewählt hat, völlig richtig gewählt hat, nämlich Europa. Das heißt, sie muss Polen klar machen, rational, ihr habt in Europa immer mehr zu sagen, als ihr gegenüber Amerika je zu sagen haben könnt, und eurer Lebensstandard, eurer Wohlstand hängst von eurer Mitgliedschaft in Europa, also in der EU, ab. Und das ist übrigens dann auch etwas, was uns berührt. Wenn wir nicht in der Lage sind, Europa handlungsfähig zu machen oder gar das Ziel von Jahrzehnten zu erfüllen, mit einer Stimme zu sprechen, dann geht es euch nicht so gut und uns geht es auch nicht so gut, und in der Welt haben wir nichts zu sagen. Ich finde das den richtigen Ansatzpunkt, und den hat sie von dem Augenblick an, als sie polnischen Boden trat, benutzt.
Zurheide: Das heißt, die europäische Integration und damit auch das Stichwort Europäische Verfassung ist für Sie ein Schlüssel. Sehen Sie denn Bewegung da, denn die Positionen sind ja scheinbar unverrücklich, weil die Polen fürchten, mit dem Verfassungsvertrag etwas weniger Einfluss zu haben, als sie es nach Nizza haben würden?
Bahr: Ich habe den Eindruck, dass das nicht der entscheidende Punkt ist für die Gespräche in Warschau, zumal aus dem einfachen Grunde, weil in diesem Halbjahr kann man allenfalls ein paar Grundsätze vereinbaren. Wenn es überhaupt etwas wird, was ich hoffe, mit dieser Verfassung, dann wird das erst Ende kommenden Jahres sein. Aber man muss jetzt, ich sage es noch mal, die richtigen Weichen stellen.
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade schon mal angesprochen, dass für die Polen eigentlich die europäische Integration wesentlich verlockender sein müsste als die Hinwendung zu den Vereinigten Staaten. Jetzt kommen wir auf das Stichwort Raketen. Wie sehen Sie denn da eine Chance, aus dieser etwas vertrackten Lage raus zu kommen?
Bahr: Also erstmal muss man sagen, die Polen haben jedes Recht, völkerrechtlich, ein solches Abkommen mit den Amerikanern zu schließen. Aber auch das ist natürlich etwas, was Europa stört und Europa spaltet. Wir hatten schon mal das Angebot von Reagan, als der Präsident war, eine solche Raketenabwehr zu installieren in Frankreich, in Großbritannien und in Deutschland, und das war ein Spaltpilz Europas, denn natürlich hätten die Engländer angenommen, natürlich hätten die Franzosen abgelehnt und natürlich hätten wir auch abgelehnt, weil wir den europäischen Motor nicht blockieren wollten. Damals standen Polen und die Tschechei noch nicht zur Verfügung. Jetzt wird das Ganze verlegt nach Osten. Schon damals waren die Russen natürlich überhaupt nicht begeistert. Sie können auch gar nicht jetzt begeistert sein, denn was da mit diesen zehn Raketchen los ist, ist für die russische Interkontinentalwaffe überhaupt nicht bedrohlich. Aber das ist ja der Anfang, und was die Amerikaner auf ihrem exterritorialen Gebiet in der Tschechei ausspähen und was sie dann in Polen umsetzen und was sie da für Köppe draufsetzen, das ist ja nicht zu kontrollieren. Niemand guckt da rein, und das ist doch eine Sache, wo man eben, wenn man raus kommen will, das war ja Ihre eigentliche Frage, sollte man sich daran erinnern, dass schon zu Reagans Zeiten überlegt worden ist, eine gesamteuropäische Raketenabwehr zu machen, mit Amerikanern und Russen und deren beider Techniken. Das wäre dann für Europa etwas, was, na ja, wenn die Iraner, die ja angeblich bald zur Vernunft gebracht werden sollen, in zehn Jahren noch existieren mit dem jetzigen Regime und dann Raketen bauen, das Europa gegen Raketen sichern könnte und Europa an die alte Vorstellung einer friedlichen, freundschaftlichen Zusammenarbeit wieder heranführt.
Egon Bahr: Schönen guten Morgen Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Bahr, zunächst einmal: Solche auch eher privaten Momente, die es ja heute Morgen zum Beispiel geben soll, zwischen den Präsidentenpaaren, ist so was eigentlich aus Ihrer langjährigen außenpolischen Erfahrung unter dem Strich dann wirklich wichtig, denn selbst wenn man sich gut versteht, bleiben sachliche Unterschiede ja sachliche Unterschiede?
Bahr: Sie sagen es. Die sachlichen Interessen bleiben unverändert, aber es könnte leichter und milder werden, sie zu lösen. Das ist der entscheidende Punkt, und außerdem, ich meine, es ist ja klar, Frau Merkel nimmt ihren Mann mit nach Bayreuth, aber ein Vergnügen, was sie da heute vorhat, ist das nicht. Also muss er ihr helfen.
Zurheide: Wenn wir jetzt einmal zu den rein sachlichen Dingen kommen, die Polen haben ja, ich sage es mal kurz gefasst, ein bisschen Sorge vor der deutschen Großmannsucht. Das wird jedenfalls im Moment von der politischen Führung immer wieder artikuliert. Ist das aus Ihrer Sicht eine wirklich reale Angst, die in Polen ist, oder ist das eher der innenpolitischen Lage geschuldet, wie sehen Sie das?
Bahr: Ich glaube, das ist eine aus der Geschichte herrührende Angst, ungefähr vergleichbar, wir haben ja in Deutschland oder es gibt in Deutschland immer noch genügend Menschen, die Angst vor Russland haben, obwohl es gar nicht berechtigt ist, überhaupt nicht berechtigt. Außerdem sind die Deutschen ja Mitglieder der NATO und die Polen sind Mitglieder NATO, und die NATO schützt die Polen auch vor den Deutschen.
Zurheide: Das heißt, welche Chancen sehen Sie denn, diese Angst zu überwinden? Können Gespräche helfen, oder ist das eher eine tief sitzende, emotionale Angst, an die man mit rationalen Kriterien nur schwer rankommt?
Bahr: Also ich glaube, die kollektive Angst ist schwierig. Die kann man nur durch Erfahrung, das heißt durch Jahre beseitigen, aber man muss die richtigen Weichen stellen, damit man sie abbauen kann. Ich bin der Auffassung, dass Frau Merkel den Ansatzpunkt, den sie gestern gewählt hat, völlig richtig gewählt hat, nämlich Europa. Das heißt, sie muss Polen klar machen, rational, ihr habt in Europa immer mehr zu sagen, als ihr gegenüber Amerika je zu sagen haben könnt, und eurer Lebensstandard, eurer Wohlstand hängst von eurer Mitgliedschaft in Europa, also in der EU, ab. Und das ist übrigens dann auch etwas, was uns berührt. Wenn wir nicht in der Lage sind, Europa handlungsfähig zu machen oder gar das Ziel von Jahrzehnten zu erfüllen, mit einer Stimme zu sprechen, dann geht es euch nicht so gut und uns geht es auch nicht so gut, und in der Welt haben wir nichts zu sagen. Ich finde das den richtigen Ansatzpunkt, und den hat sie von dem Augenblick an, als sie polnischen Boden trat, benutzt.
Zurheide: Das heißt, die europäische Integration und damit auch das Stichwort Europäische Verfassung ist für Sie ein Schlüssel. Sehen Sie denn Bewegung da, denn die Positionen sind ja scheinbar unverrücklich, weil die Polen fürchten, mit dem Verfassungsvertrag etwas weniger Einfluss zu haben, als sie es nach Nizza haben würden?
Bahr: Ich habe den Eindruck, dass das nicht der entscheidende Punkt ist für die Gespräche in Warschau, zumal aus dem einfachen Grunde, weil in diesem Halbjahr kann man allenfalls ein paar Grundsätze vereinbaren. Wenn es überhaupt etwas wird, was ich hoffe, mit dieser Verfassung, dann wird das erst Ende kommenden Jahres sein. Aber man muss jetzt, ich sage es noch mal, die richtigen Weichen stellen.
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade schon mal angesprochen, dass für die Polen eigentlich die europäische Integration wesentlich verlockender sein müsste als die Hinwendung zu den Vereinigten Staaten. Jetzt kommen wir auf das Stichwort Raketen. Wie sehen Sie denn da eine Chance, aus dieser etwas vertrackten Lage raus zu kommen?
Bahr: Also erstmal muss man sagen, die Polen haben jedes Recht, völkerrechtlich, ein solches Abkommen mit den Amerikanern zu schließen. Aber auch das ist natürlich etwas, was Europa stört und Europa spaltet. Wir hatten schon mal das Angebot von Reagan, als der Präsident war, eine solche Raketenabwehr zu installieren in Frankreich, in Großbritannien und in Deutschland, und das war ein Spaltpilz Europas, denn natürlich hätten die Engländer angenommen, natürlich hätten die Franzosen abgelehnt und natürlich hätten wir auch abgelehnt, weil wir den europäischen Motor nicht blockieren wollten. Damals standen Polen und die Tschechei noch nicht zur Verfügung. Jetzt wird das Ganze verlegt nach Osten. Schon damals waren die Russen natürlich überhaupt nicht begeistert. Sie können auch gar nicht jetzt begeistert sein, denn was da mit diesen zehn Raketchen los ist, ist für die russische Interkontinentalwaffe überhaupt nicht bedrohlich. Aber das ist ja der Anfang, und was die Amerikaner auf ihrem exterritorialen Gebiet in der Tschechei ausspähen und was sie dann in Polen umsetzen und was sie da für Köppe draufsetzen, das ist ja nicht zu kontrollieren. Niemand guckt da rein, und das ist doch eine Sache, wo man eben, wenn man raus kommen will, das war ja Ihre eigentliche Frage, sollte man sich daran erinnern, dass schon zu Reagans Zeiten überlegt worden ist, eine gesamteuropäische Raketenabwehr zu machen, mit Amerikanern und Russen und deren beider Techniken. Das wäre dann für Europa etwas, was, na ja, wenn die Iraner, die ja angeblich bald zur Vernunft gebracht werden sollen, in zehn Jahren noch existieren mit dem jetzigen Regime und dann Raketen bauen, das Europa gegen Raketen sichern könnte und Europa an die alte Vorstellung einer friedlichen, freundschaftlichen Zusammenarbeit wieder heranführt.