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Bahrain: Sicherheitskräfte schießen auf unbewaffnete Demonstranten

ARD-Korrespondent Carsten Kühntopp beurteilt die Lage in Bahrain als äußert angespannt. Die Regime-Protestler, vorrangig Schiiten, fordern den Sturz des Königs und wollten Reformen, so Kühntopp. Nach seinen Angaben gehe die Armee in blutiger Weise gegen die Demonstranten vor.

Carsten Kühntopp im Gespräch mit Anne Raith | 19.02.2011
    Anne Raith: Über die aktuelle Lage dort möchte ich jetzt mit unserem Korrespondenten Carsten Kühntopp sprechen, er ist gestern nach Bahrain geflogen. Welche Eindrücke haben Sie sich bisher machen können?

    Carsten Kühntopp: Also wenn man vom Flughafen kommt, in die Stadt hineinfährt, dann wirkt es erst mal alles sehr normal und ruhig. Ich habe also gestern zunächst keinen einzigen Panzer gesehen, und ich habe auch nicht mehr Polizei auf den Straßen gesehen als sonst. Die Unruhen, die dann später ausbrachen, die waren so konzentriert an bestimmten Punkten, dass man schon wenige Straßen davon entfernt schon gar nichts mehr mitbekommen hat im Grunde genommen von der Situation. Aber die Lage ist ausgesprochen angespannt. Gestern haben Menschen ein weiteres Mal probiert, zum Perlenplatz zu kommen, diesem zentralen Platz in der Hauptstadt hier in Manama, und auf einem Video, das bei Youtube aufgetaucht ist, sind fürchterliche Szenen zu sehen, man sieht, wie diese Menschen in Richtung von Armeesoldaten gehen, sie laufen mit erhobenen Händen, sie rufen immer wieder "Friedlich, friedlich, friedlich" - plötzlich dann Schüsse, Demonstranten gehen getroffen zu Boden. Diese Bilder scheinen also zu zeigen, wie bahrainische Sicherheitskräfte direkt und aus nächster Nähe scharf auf unbewaffnete Demonstranten geschossen haben.

    Raith: Wie hat denn die zunehmende Gewalt, die Sie beschreiben, die Proteste in den vergangenen Tagen beeinflusst?

    Kühntopp: Also es ist so, dass die Stimmung in der schiitischen Bevölkerungsmehrheit sich doch zu drehen scheint oder zu kippen scheint. In den vergangenen Jahren war es so, dass ihre Vertreter, also die Oppositionsvertreter stets erklärt haben, man wolle nur Reformen, man respektiere das sunnitische Königshaus, die Familie Al Khalifa. Aber bei den Demonstrationen der letzten Tage war dann immer wieder zu hören, der König müsse stürzen, einige riefen dann "Tod den Al Khalifas".

    Raith: Wie stabil ist denn die Regierung nach dem, was Sie schildern? Es soll ja ein erstes Dialogangebot gegeben haben, was die Opposition jetzt ausgeschlagen hat.

    Kühntopp: Ja, der König hat gestern Abend erklärt, er habe den Kronprinzen ermächtigt, einen nationalen Dialog zu beginnen. Der Kronprinz selbst hatte zuvor im staatlichen Fernsehen zur Ruhe aufgerufen, er hat gesagt, es sei nicht die Zeit zu kämpfen, es sei die Zeit, sich zusammenzusetzen und einen Dialog anzufangen. Aber die Oppositionsbewegung Al Wefaq die größte Oppositionskraft, hat heute Morgen dieses Dialogangebot zurückgewiesen und hat gesagt, zunächst einmal muss die Regierung zurücktreten, und die Armee muss von den Straßen verschwinden. Das ist eine tragische Situation, wenn man so will, denn der Kronprinz, von dem weiß man seit Langem, dass er ein Reformer ist, dass er das Land weiter öffnen und liberalisieren möchte im Innern, und Al Wefaq, die große Oppositionskraft, die fährt gleichwohl seit Jahren einen Kurs, wo man sagt: Wir sind bereit, mit dieser Regierung zusammenzuarbeiten, wir sind zu Reformen bereit, wir wollen nicht an der Königsfamilie als solcher kratzen. Es ist also tragisch, dass in dieser Situation diese beiden Kräfte sozusagen nicht zusammenkommen, weil im Regime selbst sich offensichtlich jetzt die Hardliner durchsetzen.

    Raith: Unter welchen Umständen könnte sich dann die Lage überhaupt entspannen in den kommenden Tagen?

    Kühntopp: Also momentan sieht es nicht nach Entspannung aus, der Fraktionschef von Al Wefaq hat heute gesagt, er fürchtet, dass die Lage mittlerweile außer Kontrolle geraten ist und kaum noch zu kontrollieren ist, will sagen, es regiert jetzt wenn man so will die Straße, also das, was auf den Straßen passiert, die Art und Weise, wie mit friedlichen Demonstranten umgegangen wird, das hat eine Eigendynamik entwickelt, und das ist für Politiker dann ganz schwer, das irgendwie wieder unter Kontrolle zu kriegen.

    Raith: Inwiefern haben diese Entwicklungen denn inzwischen auch die Nachbarstaaten auf den Plan gerufen, Iran etwa oder Saudi-Arabien?

    Kühntopp: Saudi-Arabien ist natürlich sehr, sehr besorgt, Saudi-Arabien stützt Bahrain, das Königshaus hier, man weiß, dass das sozusagen die vorderste Front ist. Die Sorge ist groß, dass Unruhen auch auf den östlichen Landesteil von Saudi-Arabien übergreifen könnten, dort wohnen vornehmlich Schiiten, und was die Sache so pikant macht: Das ist genau die Region im Land, in der das Öl produziert wird, und deshalb wird gerade die saudische Regierung alles tun, um das Königshaus in Bahrain zu stützen.

    Raith: Live aus Bahrain Informationen von unserem Korrespondenten Carsten Kühntopp. Vielen Dank!