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Bajuwarische Ansichten

Samuel Beckett machte als junger Schriftsteller im Jahr 1936/37 eine ausgedehnte Tour durch NS-Deutschland und hielt die Eindrücke in einem Tagebuch fest. Autor Steffen Radlmaier widmet sich dem bayerischen Teil der Reise.

Von Steffen Radlmaier | 11.05.2011
    In Becketts Dubliner Kinderzimmer hingen Dürers "Betende Hände". Der geistige Weg von dieser frommen Ikone hin zu den absurden Endspielen des irischen Schriftstellers mag lang erscheinen – untypisch ist er nicht. Jedenfalls hat Beckett den frommen Renaissance-Meister nicht in pubertärem Hochmut verachtet, im Gegenteil. Und während seiner ausgedehnten Deutschland-Tour im Winter 1936/37 ist der künftige Meister aus Irland nicht nur dem Münchener Komiker Karl Valentin persönlich begegnet, in dem ja immer wieder ein Beckett-Vorläufer erkannt wurde, sondern er hat eben auch zahlreiche klassische Werke von Dürer, Tiepolo, Riemenschneider in Kirchen und Museen aufgesucht und darüber minutiös Protokoll geführt. Die "German Diaries", die über die Reise des Dreißigjährigen berichten, sind unter Verschluss; es darf aus ihnen nicht ausführlich zitiert werden, angeblich sind sie ohne literarischen Wert. Steffen Radlmaier, der Autor des vorliegenden Bändchens, hat in die Hefte nur hineingespixt und sich den Rest zusammengereimt. Dieser Rest plus die Zitate im schönsten deutsch-englischen Sprachmix ist spektakulär genug.

    Becketts Affinität zu Deutschland hat mit seiner Jugendliebe zu tun, einer Cousine, die in Kassel lebte und früh starb. Die halbjährige Reise durch NS-Deutschland liegt nach diesem schmerzlichen Tod; Becketts Stimmung ist nicht die beste. Das Wetter ist meist schlecht, das Geld "more & more knapp", und auch die Kunsterlebnisse enttäuschen oft. Beckett spricht übrigens Deutsch und verbessert seine Kenntnisse während der Reise; er liest Goethe und Hölderlin im Original und notiert sich immer wieder interessante Floskeln und Inschriften, etwa: "Der eine acht's, der andere verlacht's, was macht's", oder das berühmte: "Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn zuvor." Man spürt förmlich, wie sich aus solchen Blüten ein Fundus bildet, aus dem sich der Dichter des "Endspiels" oder der "Glücklichen Tage" später bedienen wird. Einmal notiert Beckett: "To be really wortkarg one must know every Wort", zu Deutsch: Um wirklich lakonisch zu sein, muss man jede Vokabel kennen. Zu diesem Zeitpunkt versteht Beckett noch nicht alles, aber in dem Notat scheint sich bereits der Kern einer Poetik abzubilden: weniger die Lakonie als die Durchlässigkeit von Becketts Prosa für unterschiedliche Grammatiken und semantische Felder. Über den deutschen Schriftsteller Hans Carossa urteilt der Ire: "zu viel Stil, zu wenig Substanz", und später wird er seinen Wechsel ins Französische damit begründen, dass er im Französischen "ohne Stil" schreiben könne.

    Nürnberg findet Beckett übrigens schrecklich, nicht zuletzt wegen der vielen Abdrücke des NS-Geistes in dieser Stadt. Enttäuscht ist er überdies von der Tatsache, dass es kaum etwas von Dürer gibt – das meiste findet er später in der Alten Pinakothek in München, die er ausführlich beehrt. Die drei Lieblingstopoi des Dichters sind Kneipen, Kinos und Museen, weniger die Theater. Im Kino sieht er zum Beispiel Veit Harlans "Kreutzersonate". In einer Bamberger Kneipe lernt er einen obskuren Schneider kennen, der dem – anscheinend nicht uneitlen – Jungschriftsteller einen Maßanzug aufschwatzt und eine Anzahlung verlangt. Aus dem zweifelhaften Deal entwickelt sich eine Burleske. Der Anzug wird zwar, nachdem der Schneider den Dichter mehrmals versetzt hat, Wochen später nach München nachgesendet, immerhin; aber zufrieden ist der Kunde nicht. Auf einer Postkarte schreibt Beckett, der Anzug sei wunderschön, "außer dass er nirgends passt." Der Schriftsteller reist übrigens mit Baedeker, an dessen Ratschläge er sich meist akkurat hält. In Regensburg isst er Bratwürste. Auch München gefällt ihm nicht sonderlich. Die Isar, notiert er, sei verglichen mit Main und Donau "nur eine Pissrinne".

    Becketts Urteile über Städte, Menschen und Kunstwerke sind ebenso eindeutig wie lapidar, das macht die Lektüre des Bändchens von Radlmaier äußerst kurzweilig. Viele vom Baedeker angepriesene Sehenswürdigkeiten lassen den Reisenden völlig kalt; sein Ausdruck dafür heißt "machine", Machwerk. Den Pergamonaltar in Berlin hatte er "a dreadful machine" genannt, und Goethe ist eine "machine à mots", eine Wörtermaschine. Auch wenn solche Markierungen überspitzt oder unzutreffend sind, verraten sie doch den eigenwilligen kritischen Geist. Beckett hat zum Zeitpunkt der Deutschlandreise übrigens zwei Romane geschrieben, "Träume von mehr oder minder schönen Frauen" und "Murphy". Von München reist er nach London und Dublin und noch im selben Jahr nach Paris. Es dauert noch 16 Jahre, bis er mit "Warten auf Godot" groß herauskommt.

    Steffen Radlmaier: Beckett in Bayern. Ich bin froh, wenn ich hier weg bin. Kleebaum Verlag, Bamberg, 88 Seiten, 12,40 Euro.