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Baldige Freilassung Rahmans erwartet

Der auf Afghanistan spezialisierte Journalist Martin Gerner rechnet mit der baldigen Freilassung des in Afghanistan wegen seines christlichen Glaubens angeklagten Abdul Rahman und dessen anschließender Ausreise. "Das ist eindeutig ein Erfolg der diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung, von der EU und den USA", sagte Gerner. Rahman war in Deutschland vom Islam zum Christentum konvertiert. Im Koran wird dafür die Todesstrafe angedroht.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: In den Fall Abdul Rahman ist Bewegung gekommen. Der zuständige Richter in Kabul hat den Fall des konvertierten Christen gestern an die Staatsanwaltschaft zurück überwiesen. Die soll nun weitere Untersuchungen über eine eventuelle Unzurechnungsfähigkeit Rahmans veranlassen.

    Bei mir im Studio ist jetzt Martin Gerner. Er ist Journalist und Afghanistan-Kenner. Ich grüße Sie!

    Martin Gerner: Guten Morgen!

    Simon: Herr Gerner, wenn Abdul Rahman frei kommen sollte, wird er als konvertierter Christ in Afghanistan noch einmal seines Lebens froh werden, oder sollte er sicherheitshalber gleich ins Exil gehen?

    Gerner: Ich rechne damit, dass man ihm die Ausreise in dem Fall nahe legen wird. Da gibt es Präzedenzfälle. Vor drei Jahren waren zwei afghanische Journalisten zum Tode verurteilt und von Karsai begnadigt worden. Ihr Vergehen: Sie hatten sich sehr kritisch mit dem Islam aus afghanischer Sicht beschäftigt und sind dann ausgereist, weil es Fanatiker gab, die ihnen nach dem Leben getrachtet haben, sie bedroht haben.

    Die ganze Entwicklung jetzt ist in der Tat positiv zu bewerten. Ich rechne in der Tat damit, dass das jetzt relativ schnell eingestellt wird, dass – wir haben es ja gehört – er vermutlich schnell frei kommt. Das ist eindeutig ein Erfolg der diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung, von der EU und den USA. Es ist keine Garantie dafür, dass so etwas in Zukunft nicht noch mal passiert. Man wird die Begründung noch mal genau lesen müssen. Aus Mangel an Beweisen, Rechtsfehler, heißt es jetzt. Das ist einerseits ein ganz typischer Hinweis auf den Zustand der afghanischen Justiz. Auf der anderen Seite, denke ich, ist das eine Form, technisch, verbal zu kaschieren, dass die Gegner die Machtprobe verloren haben und sie ihr Gesicht wahren sollen.

    Simon: Herr Gerner, einmal abgesehen von diesem speziellen Fall Abdul Rahman. Wie leben denn Christen und vor allem andere religiöse Minderheiten in Afghanistan?

    Gerner: Es gibt einen jüngsten UN-Bericht. Da heißt es, es gibt keine afghanischen Christen. Es gibt auch keine afghanische christliche Kirchengemeinde in Afghanistan. Ich vermute trotzdem, dass es Fälle wie Abdul Rahman auch in Afghanistan hier und da gibt, dass diese Menschen sich bisher aus verständlichen Gründen nicht zu erkennen gegeben haben.

    Historisch gab es den Apostel Thomas, der im 1. Jahrhundert nach Christus missioniert hat in der Gegend des heutigen Afghanistan, mit mäßigem Erfolg wie wir wissen. Die christlichen Hilfsorganisationen, die heute dort missionieren, wissen sehr wohl, dass Missionierung nicht erlaubt ist, und ich glaube sie halten sich auch daran. Wenn trotzdem Afghanen konvertieren, mag das auch daran liegen, dass über die Zeit ein ganz normaler Austausch der Kulturen und eine Annäherung stattfinden und so etwas nicht verhindert werden kann, wenn es eben im Verdeckten geschieht.

    Simon: Gibt es denn in Afghanistan, wo es eine große muslimische Mehrheit gibt, ein weitgehend einheitliches Bild von Christen, von anderen Religionen?

    Gerner: Die Christen sind sozusagen die, die mit den Hilfsorganisationen in den letzten Jahren massenhaft gekommen sind. Das werden mehrere Zehntausend sein. Bei den 3000 Hilfsorganisationen rund sind das bestimmt die Mehrheit, aber auf jeden Fall gut die Hälfte, schätze ich mal, die christlichen Glaubens sind. Das ist die Begegnung, und die ist sehr abhängig vom Grat der Bildung. Je weiter ich aus den Städten raus gefahren bin ins Land, desto mehr war die erste Begegnung nicht von einem Feindbild bestimmt, sondern durchaus manchmal lachender Art. Man hört "Ungläubiger". Die Leute sind natürlich, einerseits die Älteren, vom Bild des Krieges gegen die Sowjetunion noch geprägt, wo es tatsächlich Atheisten waren, die ihnen da begegnet sind, als auch jetzt die Fragen, wer ist Jesus, was ist das Christentum. Häufig wissen das die weniger Gebildeten in der Provinz nicht. Da begegnen einem Fragen wie "Wie viele Frauen dürft ihr im Christentum haben?", "Wer war Jesus?", "Wie häufig betet ihr". In den Städten mit der Bildung ändert sich das. Nichtsdestotrotz ist die Bildung ein Ansatzpunkt, da etwas zu tun, neben der Justizreform.

    Simon: Sie sagen "etwas zu tun". In den letzten Tagen ist auch viel davon geredet worden, das religiös-gesellschaftliche Klima sei ja doch nicht so viel anders als zur Zeit der Taliban. Wie haben Sie das erlebt?

    Gerner: Ich denke schon. Ich war nicht in der Taliban-Zeit dort. Ich denke aber schon, man kann mit Sicherheit sagen, dass die Willkür geringer geworden ist, auch wenn die Afghanen selbst sagen, dass ihnen ein gesetzesloser Zustand allgemein Sorge bereitet. Die Sache, wo der Zusammenhang zwischen der afghanischen Gesellschaft und dem, was die konservativen Richter jetzt machen, gesehen werden muss, ist meiner Meinung nach die Defensive, in der sich ein gewisser Teil der afghanischen Gesellschaft sieht, die Gläubigen, auch die, die am Vorteil der internationalen Organisationen, der ein geldwerter Vorteil für viele Afghanen ist, keinen Anteil haben. Es kommen ja durch die vielen Hilfsorganisationen auch westliche "Segnungen" wie Prostitution, Alkohol, einfach die Macht des Geldes ins Land. Das geschieht sehr schnell. Das geschieht für viele zu schnell. Dieser Kampf wird in den Medien ausgetragen. Das Fernsehen mit westlichen Sendungen ist immer wieder ein Ansatzpunkt auch für Richter und Staatsanwaltschaft, dort aktiv zu werden. Da müssen wir uns klar sein, dass das Tempo der Veränderungen, das wir fordern, möglicherweise eine etwas überzogene Erwartung beinhaltet.

    Wenn ich einfach mal eine religiöse Frage nehme, die Deutschland seit Jahrzehnten bestimmt, die im Grunde aber ein Detail ist: der verkaufsoffene Sonntag. Das was wir jetzt an Veränderung von der afghanischen Gesellschaft erwarten, ist mithin ein weit größerer Schritt. Diese afghanische Gesellschaft war über Jahrhunderte geographisch, gesellschaftlich abgeschottet. Sie kommt aus einer ganz anderen Zeit. Wir können trotzdem an ein, zwei Stellen Reformen und Veränderungen ansetzen.

    Simon: Nur noch mal auf diese konservative Richtung auch in der Richterschaft, die Sie angesprochen haben. Die ist also durchaus repräsentativ für einen großen Teil der Bevölkerung?

    Gerner: Ich glaube was in Deutschland nicht genug rüberkommt ist, dass die afghanische Bevölkerung durchaus in zwei Lager zu teilen ist: ein Lager, das hinter den Modernisierern, hinter Karsai steht und die internationale Präsenz ohne Wenn und Aber größtenteils befürwortet, und ein Lager, das sich zu den Verlierern rechnet, das auch wenig Kontakt zu diesen ganzen Organisationen hat, wo sehr viel Gerüchte schnell gestreut werden und gedeihen können auch in den Freitags-Moscheen, die sehr gläubig sind aus dem Sieg gegen die Sowjetunion im Bürgerkrieg. Das sind die zwei Lager. Dann gibt es noch einen Teil Unentschiedener.

    Ich glaube, wo die internationale Staatengemeinschaft und all die, die das Petersberger Abkommen mit bestimmt haben, jetzt eingreifen können, vielleicht etwas beeinflussen können, ist einmal die Justizreform. Da gibt es ein Mandat sozusagen. Italien ist die führende Nation, die die Justizreform vorantreiben soll. Man kann und man sollte darauf hinwirken, dass Ausbildung von Juristen in Afghanistan zukünftig parallel geschieht. Bisher kann man nach islamischem Recht alleine studieren. Ich denke, alle künftigen Juristen und Richter sollten dort parallel ausgebildet werden, dass sie auch das erlernen, was in der Verfassung steckt, dieses giftige Geschenk der doppelten Islam-Ausrichtung und der westlichen Menschenrechts-Ausrichtung, das beides respektiert wird.

    Etwas anderes ist die Bildung: durchaus gucken, dass öffentlich das Thema diskutiert wird, dass auch auf Suren hingewiesen wird in der Öffentlichkeit. Wie in Sure zwei ist davon die Rede, dass kein Zwang der Religionen bestehen soll. Auch der Koran hat also durchaus Belegstücke, die für Religionsfreiheit sprechen. Nur wie gesagt: Afghanistan kommt aus einer Tradition, die anders ist. Es gibt ja islamische Staaten, die das Todesurteil, wie es jetzt diskutiert wird, nicht in ihrer Verfassung, in ihrer Praxis führen.

    Ganz wichtig vielleicht, Runde Tische der Religionen einzuführen. Vielleicht ist das ein Manko, was man bisher nicht gemacht hat. Die interkulturelle Sensibilisierung für den anderen ist glaube ich die eigentliche Sicherheitspolitik der kommenden Jahre und Jahrzehnte.

    Simon: Das religiöse Klima in Afghanistan. Das war ein Gespräch mit Martin Gerner. Er ist Journalist und Afghanistan-Kenner. Vielen Dank.