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Banken scheuen das Geldverleihen

411 Milliarden Euro parkten zu Weihnachten die Banken bei der Europäischen Zentralbank (EZB), denn untereinander wollen sie sich kein Geld leihen - und womöglich auch den Unternehmen nicht mehr. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel fordert nun ein starkes Eingreifen der Politik, damit eine drohende Rezession verhindert wird.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Gerd Breker | 28.12.2011
    Gerd Breker: Die Finanzkrise, sie ist noch nicht vorbei. Das Misstrauen im Finanzsystem ist so hoch, wie noch nie. Über Weihnachten schwoll die Angstkasse der Banken bei der Europäischen Zentralbank auf 411 Milliarden Euro an. So viel Geld haben die Kreditinstitute noch nie bei der Europäischen Zentralbank geparkt – und das, obwohl sich viele Geldhäuser noch kurz vor den Feiertagen eben bei der Europäischen Zentralbank mit der gigantischen Summe von fast einer halben Billion Euro eingedeckt hatten und es bei der EZB auch so gut wie keine Zinsen gibt.

    Telefonisch verbunden sind wir nun mit dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Guten Tag, Herr Hickel!

    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!

    Breker: Herr Hickel, die Banken tun offenbar nicht das, was sie tun sollen. Sie verleihen das Geld nicht an die Wirtschaft, sondern geben es der EZB zurück.

    Hickel: Ja, man sieht da ganz deutlich, dass die deutschen Banken oder überhaupt die europäischen Banken innerhalb der EU, dass die in einer sehr, sehr schweren Vertrauenskrisensituation sind. Die Banken trauen sich nicht über den Weg, das heißt also insbesondere, dass das, was normalerweise geradezu das Nervensystem des Bankensystems ist, nämlich, dass die Banken untereinander kurzfristig Geld ausleihen zwischen den Banken – und das passiert zurzeit nicht, deshalb wird im Grunde genommen die Europäische Zentralbank wird so was, wie Sie zu Recht sagen, zu einer Vorsichtskasse, oder aber auch zur Krisenkasse. Alles, was nicht funktioniert auf den Finanzmärkten beziehungsweise Bankenmärkten, das konzentriert sich jetzt sehr stark auf die Europäische Zentralbank. Und ich finde, dass der Europäische-Zentralbank-Präsident Draghi zu Recht gesagt hat: Hier droht eine riesige Kreditklemme. Das heißt also, wenn die Banken sozusagen sich die normale Liquidität untereinander nicht mehr besorgen, weil sie die Angst haben, dass die andere Bank vielleicht zu viele faule Kredite beziehungsweise Staatsanleihen im Portfolio hat, dann kann das natürlich sehr schnell dazu führen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen bei den Krediten unterversorgt werden. Das ist die große Sorge, die brennende Sorge, die dann auch die Europäische Zentralbank solche gigantischen Summen bewegen lässt.

    Breker: Wenn die Banken nicht mehr das tun, was sie tun sollen, eben den kleinen und mittleren Unternehmen Kredite zu gewähren, dann sind sie doch eigentlich gar nicht mehr systemisch, dann müssten Sie doch eigentlich gar nicht mehr vom Steuerzahler gerettet werden?

    Hickel: Wenn man da ganz streng volkswirtschaftlich argumentiert, dann ist es in der Tat so: Eine der wichtigen Funktionen des Bankensystems ist der Interbankenmarkt, das heißt also, dass sich beispielsweise eine Sparkasse oder die Deutsche Bank über Nacht oder für einige Tage Geld ausleiht, um liquide zu sein, andere Banken sind bereit, dafür das Geld zur Verfügung zu stellen. Dafür gibt es einen Zinssatz. Und das ist ja die Ironie der Geschichte, der erheblich höher ist als der Zinssatz, der zurzeit für die Einlagen, vor allem für die Tageseinlagen, bei der Europäischen Zentralbank bezahlt wird. Und insoweit ist die Funktionsweise zusammengebrochen, ist eine schwere Krise, aber – und deshalb muss man, glaube ich, nicht jetzt den Schluss folgern, zu sagen: Wir müssen jetzt im Grunde genommen die Banken abschaffen, nicht mehr zu retten. Sondern man muss diese Vertrauenskrise abbauen. Die hat maßgeblich mit zwei Gründen zu tun: Das Erste ist natürlich die große Krise bezüglich der Staatsanleihen. Keine Bank weiß, wie viel sozusagen an faulen beziehungsweise ramschhaften Staatsanleihen sich aus Griechenland da im Portfolio der anderen Bank befinden. Aber das Zweite, was ich viel, noch viel ernster nehme, ist die Tatsache, dass ich in diesem restriktiven oder zurückhaltenden Verhalten der Banken natürlich auch zeigt, die große Angst vor einer Rezession, von einem Abschwung, der ja gerade auch noch mal vom Internationalen Währungsfonds sehr stark betont worden ist. Das heißt also, es muss wieder zurückkommen, das Vertrauen ins Bankensystem. Dazu müssen einige Maßnahmen eingeleitet werden, aber eins ist ganz wichtig: Gegen alle Schelte, die jetzt losbricht gegen die Europäische Zentralbank, muss ich sagen, die Europäische Zentralbank übernimmt sehr unkonventionell, aber wirklich sehr verantwortungsvoll die Rolle. Eigentlich hat sie nur eine einzige Idee, das Bankensystem in dieser Vertrauenskrise mit genügend Liquidität auszustatten. Und dann kommt das Prinzip Hoffnung. Das Prinzip Hoffnung lautet dann, dass, wenn die Banken wieder genügend Liquidität haben, die sich untereinander nicht besorgen, dass sie dann auch wieder in der Lage sind, Kredite zu vergeben beispielsweise an ein mittelständisches Unternehmen. Aber ob diese Hoffnung in Erfüllung geht, da gibt es derzeit akut ganz viele Zweifel.

    Breker: Ist ja überhaupt die Frage, Herr Hickel: Wer kann denn überhaupt was tun, dass die Banken sich untereinander wieder vertrauen? Also wer kann was tun, das Vertrauen wieder hergestellt wird?

    Hickel: Na, das ist die ganz spannende Frage. Das Erste, es, glaube ich, klingt etwas primitiv, meine Antwort, aber sie ist doch ganz wichtig, dass überhaupt erst mal die Europäische Zentralbank sagt: Wir lassen in der Vertrauenskrise das System sozusagen nicht abkippen. Das Zweite ist – den Punkt habe ich ja schon benannt –, eine der entscheidenden Ursachen bezüglich auch der Kritik oder beziehungsweise des Misstrauens zwischen den Banken sind die Staatsanleihen. Und es spiegelt sich praktisch im Bankenverhalten wider, dass das Vertrauen in die Lösung der Eurokrise auch durch die jetzt vorgenommenen Maßnahmen im Rahmen der europäischen Stabilitätsmechanismen, dass hier das Vertrauen in die Lösung nicht gegeben ist. Man muss einfach sehen, die Banken haben im ersten Vierteljahr des neuen Jahres, rechnen damit, dass über 200 Milliarden an Staatsanleihen fällig werden, die müssen irgendwie bedient werden. Das hießt also, hier muss die Lösung ansetzen, beispielsweise – ich sage es noch mal – eventuell mit einem Gläubigerschnitt, aus dem dann klipp und klar hervorgeht, wie die Bedingungen sind. Und das Zweite ist ganz wichtig, dass man auch die Frage stellt: Kann man da den Abschwung, den wir ja in Deutschland haben, kann man den einigermaßen abbremsen? Und ich finde es doch ein bisschen bedenklich, dass jetzt die ganzen Prognostiker auf das Institut der deutschen Wirtschaft, und Wolfgang Franz, der Vorsitzende des Sachverständigenrates sagt: Ja, und da haben Sie beide recht, wir sind in der Phase des Abschwungs, wir werden gegenüber dem jetzt auslaufenden Jahr von drei Prozent rechnen müssen mit knapp 0,5, vielleicht auch mit null Prozent. Aber was mich etwas irritiert, ist sozusagen die fast autoritäre Behauptung: Aber eine Rezession wird es nicht geben! Die muss es nicht geben, aber man muss jetzt auch die Frage stellen, ob man nicht konjunkturell gegensteuert, ob man die Konjunktur nicht stärkt, weil eines ist klar: Obwohl sich die Binnenwirtschaft etwas besser entwickelt hat, ist sie nicht in der Lage, die Exporteinbrüche aufzufangen, also hier gibt es Handlungsbedarf. Und insoweit hat auch Wirtschaftspolitik etwas damit zu tun, das Vertrauen innerhalb des Bankensystems wieder einigermaßen herzustellen.

    Breker: Also Handlungsbedarf eindeutig an die Politik, an die Regierung Merkel?

    Hickel: Auch an die Regierung Merkel, vor allem an die Europäische Union. Ich glaube, das ganz große, das Kernzentrum, sozusagen das Navigationszentrum dieser Vertrauenskrise ist in der Tat dieses ungelöste Problem mit den Staatsanleihen in den Krisenländern. Und man stelle sich vor, wir beide wären jetzt Bankchefs – Sie bei der Deutschen Bank und ich bei der Commerzbank –, wir würden uns doch wechselseitig kein Geld kurzfristig ausleihen, weil wir die Sorge hätten, ob überhaupt einigermaßen gesichert ist, dass wir die Liquidität wieder zurückbekommen. Und dann stürzen sich die Banken auf die Europäische Zentralbank. Und man sieht ja, wie tief die Vertrauenskrise ist. Das sieht man daran, dass man auf den Geldmärkten, auf den sogenannten Interbankenmärkten, sagen wir mal, einen Zinssatz von 1,7 oder 1,75 Prozent bekommen kann. Für die Ein-Tages-Einlagen, über die wir ursprünglich geredet haben, die sogenannte Einlagenfazilität, oder die Übernachtgelder, die da angelegt werden, gibt es 0,25 Prozent, und für die 500 Milliarden, die sie angesprochen haben, mit denen jetzt künftig die Banken sich sogar über drei Jahre Liquidität besorgen können bei der Europäischen Zentralbank, gibt es den Leitzins am Ende ungefähr im Durchschnitt ein Prozent. Also, man sieht das Misstrauen ist so groß, ein guter Indikator für das Misstrauen, dass man richtig auch mit den Einlagengeschäften bei der Europäischen Zentralbank durchaus auch Zinsverluste kalkuliert.

    Breker: Im Deutschlandfunk die Meinung des Bremer Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel. Herr Hickel, danke für dieses Gespräch!

    Hickel: Schönen Dank, Herr Breker!

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