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Banken werden "nahe an die 70 Prozent" ihrer Forderungen an Athen abschreiben

Griechenland arbeite "am Rande der Pleite entlang" und brauche ein Entgegenkommen der privaten Gläubiger, sagt Thomas Mayer. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank rechnet mit weiteren Belastungen seiner Branche durch eine Finanztransaktionssteuer: "Die Politik hat sich das in den Kopf gesetzt".

Thomas Mayer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.01.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Über Tage, beinahe über Wochen schien es, als sei die Krise im Euro-Raum wie weggeblasen. Doch nur wenige Tage nach dem Jahreswechsel steht das Thema ganz oben wieder auf der Tagesordnung. Die sogenannte Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission macht sich dieser Tage wieder auf den Weg nach Griechenland, wo Regierungschef Papademos mit deutlichen Worten vor dem Staatsbankrott warnte, sollten keine neuen Hilfsmittel fließen. Der Euro hat zu Beginn der Woche eine Schlappe gegenüber dem Dollar hinnehmen müssen und die Koalition streitet heftig über die Frage, ob die sogenannte Finanztransaktionssteuer, also eine Umsatzsteuer auf Finanzprodukte, notfalls auch ohne Großbritannien eingeführt werden soll.

    Telefonisch sind wir jetzt verbunden mit dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, mit Thomas Mayer. Schönen guten Morgen, Herr Mayer.

    Thomas Mayer: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Mayer, heute wird der italienische Regierungschef Mario Monti in Berlin erwartet. Er warnte vor antieuropäischen Protesten in seinem Land und forderte ein Entgegenkommen der EU, so eine Senkung der Zinsen. Sollte man ihm da nicht entgegenkommen?

    Mayer: Ja, man ist ihm ja schon entgegengekommen. Schauen Sie, die EZB hat die Zinsen letztes Jahr zweimal in Folge um je 25 Basispunkte gesenkt. Sie hat dann Ende Dezember einen enormen Betrag an Geld, knapp 500 Milliarden Euro, in den Bankenmarkt gepumpt. Also die EZB hat die Schleusen geöffnet.

    Heckmann: Aber Monti möchte mehr, und ist nicht eine der Lehren, die man aus Griechenland beispielsweise ziehen muss, dass sich die Länder eben nicht kaputt sparen sollten?

    Mayer: Italien braucht vor allen Dingen jetzt Strukturreformen. Das bedeutet eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, eine Öffnung der vielfältigen Kartelle im Dienstleistungssektor. Monti hat – und das war durchaus richtig – Ende letzten Jahres ein weiteres Fiskal-Sparpaket auf den Weg gebracht. Aber jetzt kommt es darauf an, dass er Reformen auf der Angebotsseite der Wirtschaft durchführt, damit die Wachstumskräfte gestärkt werden.

    Heckmann: Im vergangenen Jahr, Herr Mayer, da jagte ein Sondergipfel den nächsten. Jetzt scheint das Thema Euro wieder ganz oben auf der Tagesordnung zu stehen. Geht das Jahr 2012 also so weiter, wie 2011 endete?

    Mayer: Ich denke schon. Wir haben uns ja einmal herumgedreht. Wir fingen an schon 2010 mit Griechenland, dann ging die Ansteckung von Griechenland weiter bis rein ins Herz der EWU, Italien, ganz zum Schluss kam Frankreich unter Druck. Dieses Jahr fangen wir jetzt, obwohl wir gerade über Italien sprechen, eigentlich wieder mit Griechenland an, denn da sind ja momentan die Gespräche gerade im Gange für das weitere Programm und diese Gespräche sind eigentlich sehr viel brisanter als das, was Monti jetzt führt, denn von diesen Gesprächen wird es abhängen, ob Griechenland dann tatsächlich einen Zahlungsausfall vermeiden kann.

    Heckmann: Also muss man sagen, dass man im Prinzip keinen Schritt weiter ist bei der Rettung Griechenlands, bei der Sanierung Spaniens, Italiens?

    Mayer: Wir sind insofern weiter, als wir in all den Ländern, die Sie gerade erwähnt haben, neue Regierungen haben, die jetzt die Probleme sehr viel entschlossener angehen. Das hat sich verbessert. Die Probleme sind aber schon gewaltig. Wir müssen nachholen, was in beinahe zehn Jahren nicht richtig gemacht wurde, nämlich die Länder fit zu machen für die EWU. Das ist eine Aufgabe, die lässt sich nicht in ein, zwei Jahren erledigen. Ich glaube, da wird man insgesamt für den Rest dieses Jahrzehnts damit beschäftigt sein.

    Heckmann: Der griechische Ministerpräsident Papademos, der hat eine Staatspleite ins Spiel gebracht, sollten keine neuen Mittel fließen. Auch ein Austritt aus der Euro-Zone wird mittlerweile diskutiert. Sind das jetzt Szenarien, die wahrscheinlicher geworden sind?

    Mayer: Na ja, Griechenland braucht im ersten Quartal im Rahmen des neuen Programms knapp 90 Milliarden Euro, 89 Milliarden. Die sind notwendig, damit die Umschuldung des Privatsektors finanziert wird und damit Griechenland seine auslaufenden Schulden zurückbezahlen kann. Wenn sie dieses Geld nicht bekommen, dann ist es in der Tat so, dass sie Pleite gehen und eine ungeordnete Insolvenz im Euro-Raum dann stattfindet. Von daher gesehen sind hier die Bedingungen schon sehr kritisch.

    Heckmann: Und die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen für ein solches Szenario?

    Mayer: Ach, schauen Sie, wir hatten jetzt schon ein paar Mal so Situationen, in der Griechenland kurz vor der Pleite stand. So fing das ganze ja an im April 2010. Da kriegten die Griechen ja buchstäblich Tage, bevor eine große Zahlung fällig wurde, das Hilfsgeld von der EU. Also insofern hat sich nicht allzu viel geändert. Sie arbeiten weiterhin am Rande der Pleite entlang.

    Heckmann: Es hängt auch einiges an der Beteiligung der privaten Gläubiger. Die sollen ja auf 50 Prozent ihrer Forderungen im Fall Griechenlands verzichten. Die Verhandlungen aber mit den Banken und Versicherungen, die ziehen sich hin. Wie sind Sie denn da aufgestellt? Kommen die Banken ihrer Verantwortung nach?

    Mayer: Ich denke schon. Die Banken sind ja bereit, auf 50 Prozent der Forderungen zu verzichten, und für einen Euro, den man in Griechenland investiert hat, soll man ja jetzt 15 Cent in Bar zurückbekommen und dann 35 Cent in einer neuen griechischen Anleihe. Dieser 50-prozentige Forderungsverzicht wird zu Abschreibungen führen, die nahe an die 70 Prozent herangehen. Also der Privatsektor geht da sehr stark in Vorlage. Der öffentliche Sektor verzichtet bisher noch nicht auf seine Forderungen, was dann dazu führt, dass immer noch Zweifel bestehen, ob auch nach diesem Forderungsverzicht des Privatsektors Griechenland langfristig solvent ist.

    Heckmann: Das heißt, die Blicke richten sich aus Ihrer Sicht eher an den öffentlichen Sektor. – Wir sprechen hier im Deutschlandfunk mit dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank, mit Thomas Mayer. Wir haben so ein bisschen ein Knacksen in der Leitung, dafür bitte ich schon jetzt um Verständnis. Aber wir möchten das Gespräch dennoch fortsetzen, denn die Koalition, die streitet ja auch heftig um die Finanztransaktionssteuer, nämlich um die Frage, ob diese auch ohne Großbritannien eingeführt werden soll oder nicht. Sie, nehme ich mal an, sind komplett dagegen, ganz unabhängig davon, ob London mitmacht oder nicht, oder?

    Mayer: Die Finanztransaktionssteuer ist ein Evergreen. Ich meine, die wird schon seit Jahrzehnten diskutiert und die Argumente haben sich nicht geändert. Sie werden sehr wenige Volkswirte finden, die darin ein Mittel sehen, Einnahmen zu erzielen oder die Spekulation auf den Finanzmärkten zu begrenzen. Insofern ist das eher ein politisches Projekt, das vermutlich dazu führen wird, dass sich Finanztransaktionen schlicht und einfach aus der Euro-Zone heraus nach Großbritannien oder dann USA oder Asien verlagern werden, wenn Euro-Land, wie es jetzt aussieht, diese Transaktionssteuer selbst einführen möchte.

    Heckmann: Auch ein Argument, das immer wieder benutzt wird, was Sie ansprechen: Die EU-Kommission möchte aber das sogenannte Ansässigkeitsprinzip zur Geltung bringen. Das bedeutet, dass nicht der Ort der Transaktion, sondern der Sitz der Akteure, der Finanzakteure entscheidend ist und derjenigen, die solche Finanztransaktionen dann tätigen, relevant ist. So würde dann diese Steuer fällig, egal ob das Geschäft in New York, London oder Frankfurt getätigt wird.

    Mayer: Ja, das ist wie beim Golfspiel. Dann bekommen die Banken vom Euro-Land ein größeres Handicap auferlegt, relativ zu denjenigen, die anderswo ansässig sind, und mittelfristig wird es darauf hinauslaufen, dass der Euro-Land-Bankensektor Finanzmarktgeschäfte eher reduziert und dass solche Geschäfte dann von Banken anderswo durchgeführt werden.

    Heckmann: Wie viele Sorgen machen Sie sich, dass diese Finanz-Transaktionssteuer dennoch kommen könnte?

    Mayer: Na ja, die Politik ist sehr entschlossen, das zu machen, und ich denke, dass das wohl passieren wird. Man hat sich jetzt schon so lange darüber unterhalten und es scheint doch jetzt sehr darauf hinzuarbeiten. Wie gesagt, aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das etwas, das aus meiner Sicht zumindest kontraproduktiv ist, aber die Politik hat sich das in den Kopf gesetzt und dann wird das wohl kommen.

    Heckmann: Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Mayer, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Mayer: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.